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Beate Meyer

Fritz Benscher

Ein Holocaust-Überlebender
als Rundfunk- und Fernsehstar
in der Bundesrepublik

 

 

 

 

 

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Für Hubert, Gudrun und Ingrid

 

 

 

 

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet

diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet

über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

 

 

© Wallstein Verlag, Göttingen 2017

www.wallstein-verlag.de

Umschlag: Susanne Gerhards, Düsseldorf

Umschlagfotos: Fritz Benscher als Rundfunksprecher 1949 (SZ-Photo),

Befreiung des KZ-Außenlagers Allach 1945 (SZ-Photo),

Autogrammkarte von Fritz Benscher 1950er Jahre (Privat)

ISBN (Print) 978-3-8353-3001-6

ISBN (E-Book, pdf) 978-3-8353-4079-4

ISBN (E-Book, epub) 978-3-8353-4080-0

Inhalt

Einleitung

Hamburg – Berlin – und zurück
(1904 – 1943)

Erste Schritte ins Leben und auf die Bühne

Von der NORAG in die weite Welt

»Herr Schauspieler, die Nazis sind da«

Im jüdischen Kulturghetto

Die Schlinge zieht sich zu (1938/39)

Sargtischler Benscher

Im Lager
(1943 – 1945)

Theresienstadt

Auschwitz

Dachau-Kaufering

Neue Heimat München
(1945 – 1949)

Neuanfang

Entnazifizierung und Reeducation

Rückschläge

Freier Mitarbeiter

Hörspiele: Unterhaltung und Lehrstück

Von Radio Munich zum Bayerischen Rundfunk

Lieben oder hassen – der ›private‹ Fritz Benscher

Ein Patriarch

Freunde

Die Einsamkeit des ehemaligen KZ-Häftlings

Der Ruf

Ein Kampf gegen Windmühlen
(1949 – 1956)

Benscher gegen den Rest der Welt – die Welt gegen Benscher

Unverblümter Antisemitismus – Die Auseinandersetzungen um die Möhlstraße

»Unbayerisch«

Richtiger und falscher Frieden

Die »Affäre Auerbach« und die Folgen für Fritz Benscher

Keine Wiedergutmachung

Rückblick: Fritz von Gotthard

Wieder auferstanden: Militarismus und Neonazismus

Später Ruhm
(1958 – 1970)

Auf dem Weg zum Erfolg

Der ›private‹ Fritz Benscher der 1950er Jahre

Ein Fernsehstar wird geboren

Werbung: nicht gefährliche Manipulation, sondern zusätzliches Einkommen

Theater, Theater

Mainstream-Künstler und kritischer Bürger

Ein Komiker für den Totensonntag

Eretz Israel

Ein Hamburger Jung

»Und ich lach dann noch mal« – Fritz Benschers Tod

Anhang

Anmerkungen

Dank

Literatur

Archive und Bestände

Internetquellen

Eigene Interviews

Zeitungsartikel

Film und Fernsehen

Hörspiele

Bildnachweis

Personenverzeichnis

Einleitung

Eine Biographie über Fritz Benscher, warum eigentlich? Der Rundfunkmoderator, Sprecher, Schauspieler, Regisseur, Kabarettist, Komiker und Quizmaster ist fast in Vergessenheit geraten. Nur ältere Bundesbürger verknüpfen mit seinem Namen noch das Fernsehquiz Tick-Tack in den 1960er Jahren, und bayerische Radiohörer erinnern sich an seine Autofahrersendungen, die er mit unverwechselbarer, leicht norddeutsch eingefärbter Stimme sonntags darbot. Nachgeborene hingegen verbinden nichts mehr mit dem Namen. Konfrontiert mit ein paar Informationen aus seinem Leben, schlagen einige immerhin die Brücke zu Hans »Hänschen« Rosenthal, ebenfalls Quizmaster der frühen Fernsehzeit, ebenfalls jüdisch. Tatsächlich weisen beider Lebenswege und ihr Erfolg beim Funk- und Fernsehpublikum viele Ähnlichkeiten auf, aber auch gravierende Unterschiede.

1945 lag hinter beiden Genannten ein langer Leidensweg: Sie gehörten zu den ca. 15.000 Juden, die sich am Ende des Zweiten Weltkrieges noch in Deutschland befanden. Diese ungefähre Zahl – eine genauere ist nicht bekannt – setzte sich zusammen aus denen, die im fragilen Schutz einer Mischehe oder im Versteck überlebt hatten, und solchen, die aus den befreiten Ghettos und Konzentrationslagern kamen. Einige Zeit später kehrten die ersten Emigranten zurück. In allen genannten Gruppen befand sich eine kleine Zahl darstellender Künstler.

Obwohl diese Reste des deutschen und österreichischen Judentums in der Literatur meist als eine Gruppe betrachtet werden, lagen doch höchst unterschiedliche Erfahrungen hinter ihnen: Wohl hatten Emigranten, Versteckte und Häftlinge allesamt unter Ausgrenzung, Diskriminierung, Berufsverbot, Zwangsarbeit, dem Verlust von Wohnung und Vermögen gelitten. Doch während die einen in einer Mischehe (wie Ida Ehre) oder im Versteck (wie Hans Rosenthal) trotz alledem immer auch lebensrettende Hilfe und Solidarität erfahren hatten (für die sich ihre »arischen« Helfer oftmals in große Gefahr begaben), blickten die anderen, zu denen Fritz Benscher gehörte, nicht auf solche Unterstützung zurück. Die jüdischen Ex-Häftlinge hatten die katastrophalen Arbeits- und Lebensbedingungen im Lager auf sich allein gestellt, vielleicht unterstützt von Mithäftlingen, durchleben müssen, hatten bei Mangelernährung Schwerstarbeit geleistet, waren Gewalt, Willkür und Sadismus ausgesetzt gewesen und hatten in menschliche Abgründe geblickt. Ihnen fiel es naturgemäß am schwersten, nach Kriegsende in Deutschland zu bleiben; die meisten emigrierten. Manche, wie Coco Schumann, der in Theresienstadt bei den Ghetto-Swingers mitgespielt hatte und auf einem Todesmarsch vom KZ Dachau-Kaufering befreit wurde,[1] versuchten, in Deutschland Fuß zu fassen, emigrierten dann, kehrten zurück und gingen wieder. Auch Esther Bejarano vom »Mädchenorchester Auschwitz«, die Auschwitz und Ravensbrück überlebte, wanderte nach Palästina/Israel aus und kam 1960 zurück.[2]

1945 bedeutete im »Land der Täter« zu bleiben, dass jede Person, die ihnen begegnete – ausgenommen DPs und Besatzungssoldaten – noch kurze Zeit zuvor zu den Verfolgern gehört oder das Unrecht billigend oder gleichgültig in Kauf genommen oder – wie ein Nachruf auf Fritz Benscher es zuspitzte – »auf der anderen Seite des Stacheldrahts« gestanden hatte. Ein Versteckter wie Hans Rosenthal hingegen konnte später über seine Helferinnen sagen: »Ihre Hilfe ermöglichte mir, nach dieser schrecklichen Zeit für uns Juden, unbefangen in Deutschland zu leben, ohne Hass zu fühlen, und ein Bürger dieses Landes zu sein.«[3]

Fritz Benscher, geb. 1904, und der 21 Jahre jüngere Hans Rosenthal blieben in Deutschland und stiegen zu beliebten Rundfunk- und Fernsehstars auf. Wie war das möglich? Welche Voraussetzungen brachten sie mit? Was erwartete ihr Publikum von ihnen, und welche Ziele verfolgten sie selbst nach zwölf Jahren Ausgrenzung?

Fritz Benscher hatte sich bereits vor 1933, in seinem ›ersten Leben‹, beim jungen Rundfunk und als Schauspieler etabliert; er spielte 1933 bis 1945, im ›zweiten Leben‹, Theater, wann immer es ging, in Theresienstadt, aber auch in Dachau-Kaufering; gleich nach der Befreiung 1945 begann sein ›drittes Leben‹ beim US-Sender Radio München, dem späteren Bayerischen Rundfunk. Hans Rosenthal, der früh Vater und Mutter verloren hatte, entdeckte in der Zeit 1943 bis 1945 im Versteck seine Affinität zum Rundfunk, eine der wenigen Verbindungen zur Außenwelt; er begab sich nach der Befreiung 1945 sofort zum (sowjetisch kontrollierten) Sender Radio Berlin, dem späteren Berliner Rundfunk, in der britisch besetzten Zone und blieb dort, bis er 1948 zum Sender RIAS in der amerikanisch besetzten Zone wechselte.

Beide arbeiteten als Conférenciers, Sprecher, Regisseure, Allroundtalente im Unterhaltungsbereich, beide gestalteten auch Kabarettsendungen. Benscher übernahm darüber hinaus auch Rollen beim Film und im Theater.

Die jüdische Herkunft von Künstlern und deren Erfahrungen in der NS-Zeit wurden in der frühen Nachkriegszeit weder von den Schauspielern, Regisseuren oder Autoren noch von den Medienanstalten herausgestellt, in denen sie tätig waren.[4] Was Zuschauer und Rundfunkhörer von ihnen erwarteten, formulierte ein Kritiker bezogen auf den remigrierten Schauspieler Ernst Deutsch: Er zollte ihm höchstes Lob für die Darstellung eines jüdischen Professors, der alles sah, aber trotzdem tat, als habe er nichts bemerkt, ein Jude, der alles verzieh, obgleich er seinen Mörder kannte. »Klarer«, so Deutschs Biographin, »kann nicht ausgedrückt werden, was man von Juden nach 1945 erwartete, forderte und wofür sie Beifall erwarten konnten. Ernst Deutsch hielt sich daran und wurde zum erfolgreichsten Schauspieler der Nachkriegszeit.«[5]

Auch Rosenthal befolgte ähnliche indirekte Forderungen: Zwar arbeitete er seit den 1960er Jahren im Zentralrat der Juden in Deutschland mit und hielt dieses Engagement keineswegs geheim, aber er trennte es viele Jahre strikt von seiner Arbeit als Rundfunk- und Fernsehunterhalter. So begleitete bis in die frühen 1970er Jahre »nur eine latente Kommunikation« über sein Judentum das erfolgreiche Schaffen und seinen Weg in den Mainstream der deutschen Fernsehunterhaltung.[6] Aber – so die Historikerin Anne Giebel – er ging vorher offensichtlich davon aus, dass die jüdische Herkunft bekannt sei. 1980 veröffentlichte er seine Autobiographie. Erst jetzt war die Zeit reif dafür.[7]

Fritz Benscher ging anders mit seinem Judentum um. Nach der NS-Zeit war seine jüdische Identität unauflöslich mit der Erfahrung der Verfolgung verwoben. Dies machte er in seinen Sendungen öffentlich, beispielsweise bei den Gedenkfeiern der Jüdischen Gemeinde oder Veranstaltungen, die der bayerische Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte, Philipp Auerbach, initiierte. Benschers jüdische Herkunft war als integraler Bestandteil seiner Person stets präsent. Er wollte, dass alle um sein Judentum wussten, stellte seine Arbeit in den Dienst des Gedenkens, um die Erinnerung an die Verfolgung wachzuhalten. Die Deutschen wollte er umerziehen. Als einer unter vielen in einem Verband zu wirken wie Rosenthal, war ihm völlig fremd. Heinz Galinski, Leiter der Jüdischen Gemeinde Berlins, bezeichnete Rosenthal einmal als »besten Botschafter« des Judentums.[8] Eine solche Bezeichnung hätte wohl niemand für Fritz Benscher gefunden: sein Judentum nach Kriegsende war viel zu wenig religiös, er verstand sich nicht mehr als Teil der jüdischen Gemeinschaft, sondern definierte sich radikal individuell. Bis zu seiner Deportation 1943 war dies anders gewesen: religiös erzogen, Mitglied und Mitarbeiter der Jüdischen Gemeinde Hamburgs, Freund des Oberrabbiners, hatte er sich stets für seine Glaubensgenossen eingesetzt. Nach 1945 gehörte er zwar eine Zeitlang der Jüdischen Gemeinde Münchens an, verließ sie aber, als er sich über die Reaktion der Gemeindemitglieder auf eine Darbietung ärgerte, vermutlich befand er, sie hätten als Publikum versagt.

Ob nun demonstrativ auf das Judentum hingewiesen oder dies im Hintergrund gelebt wurde: antisemitischen Angriffen sahen sich beide Künstler über Jahrzehnte immer wieder ausgesetzt. Während Rosenthal dazu öffentlich keine Stellung nahm, sondern im Gegenteil davon ausging, sein Erfolg sei der beste Beweis für die Überwindung des Antisemitismus, parierte Benscher diese gern.

Reeducation war in den ersten Nachkriegsjahren Benschers ureigenstes Anliegen und Auftrag seines Senders zugleich. Die von den Besatzungsmächten verordnete und von den Deutschen angenommene Demokratie zu bewahren, verstand auch Rosenthal (wie er Anfang der 1980er Jahre erklärte) als seine Aufgabe in der Öffentlichkeit. Aus seinen Äußerungen spricht ein starkes Bedürfnis nach Stabilität und Angst vor politischen Extremen: für Rosenthal führte ein kurzer Weg von Kritik zur Staatsverdrossenheit bis zum Ruf nach dem »starken Mann«. Er engagierte sich mit dem Ziel, dazu beizutragen, den in Deutschland lebenden Juden ein ruhiges Leben zu garantieren.[9] Vor diesem Hintergrund verurteilte Rosenthal auch die Aktionen der Studentenbewegung.[10] In seinen Sendungen wahrte er weitgehend politische Abstinenz.

Benscher hingegen, bereits vor 1933 im Reichsbanner und zwischen SPD und KPD politisch engagiert, verstand sich bis an sein Lebensende als politisch-humoristischer Aufklärer. Nach dem Krieg gehörte er zeitweise der SPD an. Er wollte die bundesdeutsche Demokratie kritisch und unüberhörbar begleiten und nutzte jede Gelegenheit: Als Oberspielleiter testete er die politische Gesinnung und die Reaktionsfähigkeit von künftigen Mitarbeitern, indem er ihnen Platz auf einem Stuhl mit Kissen anbot, in das ein Hakenkreuz eingestickt war. Seinen ersten Hund nannte er »Führer«. Mit seinen kabarettistischen Rundfunkbeiträgen zog er sich den Zorn des Münchner Weihbischofs zu, der die Moral gefährdet sah; Justizminister Müller verübelte ihm, dass er blamable Redepassagen ungeschnitten über den Äther gehen ließ; ein Witz über den Ministerpräsidenten Ehard trug Benscher vier Wochen Sprechverbot ein. Immer wieder wurde er als »unbayerisch« kritisiert, u. a. weil er die Widerständigkeit der »Freiheitsaktion Bayern« in Frage stellte, und verdächtigt, eine »Benscherjugend« statt einer »Bayernjugend« heranziehen zu wollen. Er rief Jugendliche zur Kriegsdienstverweigerung auf und unterschrieb 1950 den kommunistisch initiierten Stockholmer Appell zur Ächtung von Atomwaffen, was ihm (und seinem Kollegen Helmuth M. Backhaus) ein bundesweit beachtetes monatelanges Redeverbot eintrug, das er mit »Ich bin für den Frieden, egal woher er kommt«, parierte. Die Deutsche Soldatenzeitung verklagte ihn wegen Verunglimpfung der deutschen Marschmusik – und er sie wegen Verleumdung seiner Person. Er gewann in allen Instanzen. Gerade in den 1950er Jahren erhob er immer wieder seine Stimme gegen nazistisches Gedankengut, NS-belastete Kollegen, die zur Tagesordnung übergehen wollten, und gegen die Wiederbewaffnung. In den 1960er Jahren, nun erfolgreicher Entertainer und Schauspieler, verlagerte er seine politischen Aktivitäten weitgehend in den Privatbereich. Er verfolgte aufmerksam die Auschwitz-Prozesse, unterschrieb eine Anzeige gegen den rechtsradikalen Druffelverlag – und im Gegensatz zu Hans Rosenthal begrüßte er die Aktionen der Studentenbewegung, die ihm eine notwendige Reaktion auf die Notstandsgesetze zu sein schienen.

Rosenthal und Benscher profitierten beide vom rasanten Bedeutungszuwachs, den die Medien Rundfunk und Fernsehen in den 1950er und 1960er Jahren erfuhren. Damit einher ging ein weitverbreitetes Bedürfnis nach leichter Unterhaltung, und dies konnten sie befriedigen.

Welches berufliche Können, welche Inhalte brachte Fritz Benscher dort ein? Kurz gesagt: alles, was er in seinen »Lehrjahren« auf den Theaterbühnen in der Weimarer Republik erworben hatte. Der damalige Zeitgeist war ihm günstig gewesen: Im lebhaften, vielfältigen, immer auf neue Sensationen ausgerichteten Kulturleben der 1920er Jahre herrschte (noch) eine friedliche Koexistenz von Avantgarde und Massenkultur. Überall entstand Neues, Formen und Regeln schienen dazu einzuladen, sie zu ignorieren, mit ihnen zu spielen und die Grenzen der Genres aufzuweichen. Für Juden waren mit dem Kaiserreich die letzten formellen und informellen Schranken gefallen, sie konnten sich als Akteure in die Weimarer Öffentlichkeit und Kultur einbringen.[11] Der Kulturhistoriker Peter Gay formulierte zugespitzt: Die Weimarer Republik gab Außenseitern, d. h. Demokraten, Kosmopoliten und Juden, die Möglichkeit, zu gestalten, was den »eigenartigen, einzigartigen Charakter« der Zeit prägte: »lebhaft, hektisch, produktiv, aber auch gefährdet«.[12] So schloss der Anfänger Fritz Benscher ebenso Bekanntschaft mit einem Theater, das die Arbeiterklasse als Publikum gewinnen (Oldenburger Landestheater/Renato Mordo) oder dessen soziale Probleme thematisieren wollte (Schiller-Theater Hamburg/Karl Ellern) oder aber mit den Varieté- und Operettenbühnen der Brüder Rotter, die das Publikum in erster Linie unterhalten wollten. Insbesondere in der »Vergnügungsmetropole« Berlin, wo er eine Zeit in der Künstlerkolonie lebte, entstand eine »Populärkultur ganz eigener Art«,[13] gedacht für und konsumiert von einem Massenpublikum. Mit der Begeisterung eines Schauspielers, der noch nicht festgelegt war, probierte er alles: spielte und sang in der Operette, die eigentlich im Abstieg begriffen war und sich jetzt einer unverhofften Wiederbelebung erfreute;[14] er übernahm die Conférence in Revuen, die die Bühnen in dieser Zeit für neue Publikumsschichten öffneten und »das pulsierende Leben der Zeit sichtbar machten«.[15] Als Kritiker monierten, der Revue fehle es an Gesinnung, begegneten etliche Künstler dem mit einer Verbindung von Kabarettsatire und Revue, was auch als späteres Markenzeichen Fritz Benschers gelten kann. Das Lustspiel, fester Bestandteil vieler Programme, gehörte zu den beliebten Darbietungen, die Benscher ebenfalls sehr schätzte. Ende der 1920er/Anfang der 1930er Jahre konkurrierten Theater und Kinos um ein Publikum, das sich von wirtschaftlichen Sorgen ablenken und vergnügen wollte.[16] Neue Technik hielt Einzug, die ersten Rundfunksender entstanden und der Tonfilm erzeugte einen explosionsartigen Anstieg von Filmproduktionen und Lichtspielhäusern. Der junge Fritz Benscher ergriff jede Gelegenheit, die sich ihm bot, Theater zu spielen, zu singen, zu tanzen, die Choreographie zu üben, beim Rundfunk als Allroundman und als gehobener Statist beim Tonfilm zu arbeiten.

Der Historiker Michael Brenner hat aufgezeigt, dass sich in diesen Jahren auch eine eigenständige jüdische Kultur entwickelte, die versuchte, eine Antwort darauf zu geben, wie jüdische Existenz in der modernen säkularen Gesellschaft aussehen, welche Form und welchen Inhalt sie haben könnte.[17] Fritz Benscher engagierte sich hier nicht. Endlich der Enge des Elternhauses entflohen, nutzte er alle Chancen, die sich ihm boten, Eingang in ein Künstlermilieu zu finden, das Bühne und Leben vereinte, ungeachtet der Herkunft oder religiösen Zugehörigkeit. Dazu gehörten für ihn selbstverständlich viele jüdische Künstler, Regisseure und Theaterbetreiber (wie Mordo, Ellern und die Rotter-Brüder). Doch erst unter den völlig veränderten Verhältnissen des Nationalsozialismus brachte er notgedrungen sein Können in einem ausschließlich jüdischen Umfeld ein. Die Verantwortlichen des Jüdischen Kulturbundes beabsichtigten mit den Darbietungen durchaus, die jüdische Identität zu stärken, sie kamen aber nicht umhin, der bedrückenden Situation ihres Publikums auch mit heiteren, ablenkenden Stücken Rechnung zu tragen. Fritz Benscher stand nur selten auf der Liste dezidiert jüdischer Stücke wie einmal bei »Amcha«, er bevorzugte weiter die Unterhaltung, was er – in reduzierter Form – auf den Lagerbühnen und wieder in voller Bandbreite und mit politischen Intentionen nach dem Krieg bei Rundfunk und Fernsehen fortsetzte. 1976 beklagte der stellvertretende Programmdirektor des ZDF, Peter Gerlach, dass das Fernsehen immer noch von dem »schmalen Erbe« lebe, vom »Nachwuchs« – dazu zählte er Peter Frankenfeld, Günther Neumann, Heinz Schenk, Fritz Benscher, Hans Rosenthal und Curth Flatow –, der seine Profession auf den Bühnen der Weimarer Republik erlernt habe.[18] Dieser Blick auf Unterhaltung als rein handwerkliches Können, das ehemalige Truppenbetreuer, Soldaten, KZ-Häftlinge oder Versteckte in einem Atemzug nannte, hätte Fritz Benscher zwanzig Jahre früher sicher als Vorlage für ein Bonmot gedient.

Fritz Benscher profitierte ab Mai 1945 also weiter von seinen Literaturkenntnissen, der Schauspielkunst und Rundfunktätigkeit der Weimarer Zeit, nun angereichert mit politischer Belehrung und Elementen der Spannung, wenn er beispielsweise Kriminalhörspiele inszenierte.

Hans Rosenthal fehlte aufgrund seiner Jugend dieser Hintergrund, aber er moderierte bereits frühzeitig für den Funk Quizsendungen. Benscher hatte zwar ein Radio-Kriminalquiz produziert, so richtig kam er aber erst über das aufkommende Fernsehen zu diesem Genre. Beide wurden schnell bekannte und beliebte Quizmaster, fassten aber ihr ›Amt‹ völlig gegensätzlich auf: Während Rosenthal harmoniebestrebt mit seinen Kandidaten umging und deren Antworten prinzipienfest nach ›richtig‹ und ›falsch‹ beurteilte, also an »Korrektheit als Rollenmaske«[19] festhielt, riss Benscher gern mal einen Witz auf Kosten der Kandidaten und nahm die Richtigkeit der Antworten weniger wichtig als einen Situationsgag, der ihm Lacher sicherte.[20] Beide versuchten, die Existenz jüdischer Menschen oder Gemeinden als Selbstverständlichkeit in ihre Sendungen einzubeziehen. So lud Benscher schon mal jüdische Kandidaten ein und Rosenthal ließ eine Sendung in den Räumen der Jüdischen Gemeinde Berlins aufzeichnen.

Beide kreierten darüber hinaus innovative Sendeformate, sei es Rosenthals Versuch, Sendezeiten für Teneriffa zu kaufen und dort Rundfunkprogramme für deutsche Touristen anzubieten (was nach einiger Zeit an ausbleibenden Werbeeinnahmen scheiterte) oder Benschers erfolgreiche erste Autofahrersendung der Bundesrepublik »Nimm’s Gas weg«, die er von 1955 bis zu seinem Tod 1970 präsentierte.

Ob die beiden sich jemals begegnet sind, wissen wir nicht, eine engere Beziehung bestand jedenfalls nicht zwischen ihnen.

Ab ca. 1960 wurden Juden im Fernsehspiel der Bundesrepublik entdeckt: als Opfer der Verfolgung. Einer solchen öffentlichen Rollenzuweisung verweigerten sich Benscher wie Rosenthal unisono. Benscher nahm zwar gern Rollen in Fernsehspielen an, aber solche nicht. Seinen demonstrativ offenen Umgang mit Verfolgung und Lagerhaft gestaltete er durchgehend so, dass er sich immer gleichzeitig schützte und keinen Einblick in sein persönliches Erleben oder gar seine Gefühle bot. Oftmals verdichtete er die Zeit auch in Anekdoten bzw. Pointen. Seine Erzählstruktur garantierte, dass er immer Akteur und Urteilender blieb, selbst 1960 in einem Feature zum 15. Jahrestag der Befreiung Dachaus, als er auf dem KZ-Gelände über seine Haft Auskunft gab. Benscher starb 1970. Erst ca. zehn Jahre später, in den 1980er Jahren, wurde in der Bundesrepublik der Zeitzeuge »entdeckt«, dessen Leiden, Widerstand und Umgangsstrategien mit der Verfolgung große Resonanz in den Medien, Schulen oder bei Veranstaltungen fanden. Vielleicht hätte diese veränderte Haltung Benscher andere Möglichkeiten des Umgangs mit der eigenen Vergangenheit geboten, denn – wie er stets betonte – es benötigt ja jede Geschichte einen begabten Zuhörer. Hans Rosenthal hingegen äußerte sich in den 1970er Jahren erstmals öffentlich zu seiner Verfolgungs- bzw. Rettungsgeschichte und konnte in den 1980er Jahren mit seiner Autobiographie, in Interviews und vor Schulklassen von dieser gesellschaftlichen Entwicklung profitieren, bevor er 1987 starb.[21]

Über Hans Rosenthal geben die Autobiographie, Aufsätze und eine im Entstehen begriffene Doktorarbeit Auskunft.[22] Zudem sind in den letzten 20 Jahren eine Vielzahl von Arbeiten über versteckte Juden und ihre Helfer entstanden, die die größeren Zusammenhänge erhellen.[23] Über Fritz Benschers Leben hingegen ist kaum etwas bekannt. Verfolgungs- und Konzentrationslagererfahrungen – und dann eine Karriere als Unterhaltungskünstler, im »schweren Gewerbe Humor« (Gong)? Das schaffte kaum einer der wenigen Künstler, die überlebten, und schon gar nicht so erfolgreich wie Fritz Benscher. Bobby John, ebenfalls Kabarettist in Theresienstadt und Wegbegleiter Benschers über Auschwitz bis Kaufering, blieb nach dem Krieg in München der Erfolg versagt. Hans Hofer, in dessen Kabarett Benscher in Theresienstadt gespielt hatte, der ebenfalls diesen Weg mit ihm ging, gelang ansatzweise in der Tschechoslowakei und ab 1960 in der DDR eine Theaterkarriere.[24] Deutschland-Ost vereinnahmte seine jüdischen Künstler je nach politischer Wetterlage, wie David Shneer jüngst eindrucksvoll gezeigt hat: Lin Jaldati, eine aus den Niederlanden stammende Sängerin, die die Konzentrationslager Auschwitz und Bergen-Belsen überlebt hatte und nach dem Krieg mit ihrem deutschen Ehemann in die DDR ging, musste den jüdischen Teil ihrer Identität auf Weisung manchmal aus der öffentlichen Präsentation herauslassen, dann wieder diente sie als jüdische »Botschafterin« der DDR in der internationalen kulturellen Öffentlichkeit.[25] Deutschland-West stellte solche expliziten Anforderungen an seine Künstler nicht. Hier war die Abhängigkeit vom Publikumserfolg größer, und die Politik der Rundfunk- und Fernsehräte dirigierte Auf- und Abstiege subtiler.

Fritz Benscher gelang das Kunststück, 25 Jahre die Erwartungen der bayerischen und bundesdeutschen Zuhörer und Zuschauer an die Medien und die der Rundfunk- und Fernsehräte an »ihre« Sender gleichzeitig so zu erfüllen und zu ignorieren, dass er »im Geschäft« blieb. Auch deshalb ist eine biographische Annäherung an ihn sinnvoll. Wie vereinbarte er seine persönliche Geschichte und den Alltag im Nachkriegsdeutschland mit seinem künstlerischen Schaffen? Woher nahm er die Kraft zur unermüdlichen Arbeit? Eine Biographie – so meine Ausgangsüberlegung – könnte Einblick geben, wie ein »öffentlicher« Künstler, Jude, Linker, Hamburger in Bayern, der seine Geschichte immer wieder zum Gegenstand machte, mit den Verfolgungserfahrungen umging. Benschers Popularität gründete sich auf sein flinkes Mundwerk, die Schlagfertigkeit, seine überraschenden Assoziationen und seinen Humor mit einem Zug ins Boshafte. Das hatte ihm bereits vor 1945 geholfen, mit gravierenden Problemen fertigzuwerden und entwickelte sich danach zu seinem Markenzeichen.

Benscher, um es vorwegzunehmen, kannte keine Trennung von Arbeit und Freizeit, Ehe und Beruf, Freundschaft und Kollegialität. Er formte seine eigene Geschichte und die anderer immer wieder zu Geschichten, Anekdoten, Pointen, kurz: Sein Leben wurde ihm Stoff für Inszenierungen. Und er verwandelte seine jeweilige Umgebung in ein Probepublikum, um zu testen, wie die Gestalt, die ein Thema nun angenommen hatte, dort ankam, welche Reaktionen sie auslöste. Sein Werk selbst rechtfertige eine Biographie nicht, eher der Lebenslauf, urteilte sein Freund und Kollege Willy Purucker, und andere hoben hervor, dass Benschers Darbietung und Interpretation oftmals die Schwäche der Texte überdeckte. Aber den Lebenslauf hinter all den Formen nachzuvollziehen, ist eine mühevolle, manchmal unmögliche Aufgabe. Benscher hatte auf der Theaterbühne, vor allem aber im Konzentrationslager gelernt, sich immer wieder neu zu erfinden. Je nachdem, was in einer Situation nützen oder schaden konnte, veränderte er seine Biographie, »erfand« oder adaptierte Begebenheiten, variierte Zahlen und Daten, angefangen bei seinem Geburtsdatum, das er mal mit 1904, 1906, 1909, 1919 (das erste ist richtig) angab. Ihm kam es nicht auf die Wahrhaftigkeit oder den dauerhaften Wert eines einzelnen Textes an, sondern auf dessen sofortige Wirkung, darauf, ob ein avisiertes Ziel erreicht wurde oder nicht. Er bot Geschichten an, geformte, verdichtete Erzählungen, in denen er zwar etwas von sich preisgab, aber er beabsichtigte nie, damit seine Gefühle, sein Inneres offenzulegen. Beim nächsten Menschen, in der nächsten Sendung variierte er schon. Das Medium Rundfunk kam ihm dabei entgegen: Als Ich-Erzähler konnte er die Identität je nach Sendung und Text vom befreiten KZ-Häftling zum zurückgekehrten Kriegsgefangenen, vom einkaufenden Bürger oder zum Plauderer wechseln, der das Rauchen aufgeben möchte.

Wer eine Biographie über Fritz Benscher schreiben will, steht damit allerdings vor einer fast unlösbaren Aufgabe: Benscher verfasste keine Autobiographie, und es existiert nur ein rudimentärer Nachlass; der Öffentlichkeit ließ er zwar eine Vielzahl von Informationen zukommen, die inhaltlich jedoch stark voneinander abweichen. So gab er beispielsweise bei diversen Gelegenheiten höchst unterschiedliche Haftzeiten im Konzentrationslager an: zwölf, drei, sechs oder acht Jahre (es waren zwei); auch sprach er von kurzfristigen Festnahmen. Deshalb geben seine Verlautbarungen eher Hinweise, was überprüft werden müsste – soweit dies möglich ist. Wo Akten fehlen und Zeitzeugen nicht mehr zur Verfügung stehen, bleiben notwendigerweise Lücken, die nicht gefüllt werden können, oder Informationen, die keine Entsprechung in Dokumenten finden – und Fritz Benschers meist zeitlich sehr viel später gelieferten pointierten Kurzfassungen, die in diesem Buch jeweils zum entsprechenden Lebensabschnitt hinzugefügt sind. Als hätte sich diese Abstinenz des Faktischen auf seine Umgebung übertragen, existieren auch keine Personalakten von ihm, weder beim Military Government of Bavaria/Radio Munich, noch bei seinem Sender, wo er erst als Festangestellter und viele Jahre als freier Mitarbeiter wirkte. Die Leserpost fiel dem Reißwolf ebenso zum Opfer wie die Antwortschreiben (seiner Frau) auf dieselbe. Auch seine berufliche oder persönliche Korrespondenz ist nicht erhalten. Als hätten alle Institutionen und Personen zusammengewirkt, um Benscher einen letzten Wunsch zu erfüllen, nämlich ihn nicht auf eine Wahrheit festzulegen.

Benscher erhob die genannten Merkmale, über die er sich definierte – Jude, KZ-Überlebender, Linker und Hamburger in Bayern – zu seinem Markenzeichen, zum Alleinstellungsmerkmal, das er mit Witz und Bissigkeit bei jeder Gelegenheit einbrachte und verteidigte. Sie hoben ihn aus dem Kreis der Kollegen heraus. Und er provozierte laufend: Er politisierte in nahezu jedem Sendeformat, weigerte sich aber strikt, in die Politikredaktion zu wechseln, er übernahm die Conférence bei »Bunten Abenden« und agitierte dort gegen Militarismus und Nazismus. Ungeachtet der Ost-West-Konfrontation im Kalten Krieg unterschrieb er den kommunistisch initiierten Stockholmer Friedensappell – und nutzte die Sanktionen, um sein Anliegen noch besser in Szene zu setzen. Die Reihe ließe sich beliebig fortführen. 50 Prozent des Publikums empörten sich, aber 50 Prozent dankten es ihm und protestierten gegen Redeverbote und Sanktionen, auch sie und ihre Haltung gehören zur bundesdeutschen Nachkriegszeit. Und: Das Publikum nahm nicht – wie vielleicht angenommen werden könnte – erst in den 1960er Jahren für Benscher und seine Art der Rundfunkgestaltung Partei, sondern bereits zu Zeiten von Radio Munich gehörten seine Sendereihen zu den beliebtesten. Dies setzte sich offensichtlich in den 1950er Jahren fort, und bei jeder Maßnahme, die gegen Benscher verhängt wurde, trafen – so Presseberichte – waschkörbeweise Zuschriften ein, die deren Rücknahme forderten. Ohne diese Rückendeckung hätte er sich wohl nicht so lange erfolgreich im Bayerischen Rundfunk halten können. Immerhin besaß er nur noch einen Status als freier Mitarbeiter.

Fritz Benscher geriet nach seinem Tod weitgehend, aber doch nicht überall in Vergessenheit. Ungefähr zehn Jahre sei sie noch auf ihn angesprochen worden, erzählte seine Ehefrau, dann nicht mehr. Woran lag das? Fritz Benschers Nachkriegskarriere war lange vor dem Aufkommen des Internets beendet, seine Sendungen werden in den Archiven der Rundfunk- und Fernsehanstalten verwahrt und sind bis auf »Das Streichquartett« und einen Ajax-Werbespot nicht auf You Tube zugänglich. Das mag ebenso dazu beigetragen haben wie die Tatsache, dass seine Texte oft Gebrauchsliteratur waren, schnell entstanden, in der gesprochenen oder gespielten Version eindrucksvoll, aber nicht literarisch verdichtet, und dort, wo sie brisant waren, oft auch sehr zeitgebunden. Mit Ausnahme der Autofahrerglossen »Nimm’s Gas weg« und Zeitungskolumnen wurden sie nicht gedruckt. Aber dennoch: Manche früheren Hörer erinnern sich an seine Stimme und seine (letzten) Sendungen. Blickt der Bayerische Rundfunk bei Jubiläen auf die eigene Geschichte zurück, fällt Benschers Name,[26] und auch bei Berufskollegen der nächsten Generation ist er keineswegs ganz vergessen. So schrieb mir Kabarettist der Jochen Busse: »Leider, und das meine ich nicht als Floskel, habe ich Fritz Benscher nicht persönlich kennen gelernt, obwohl ich bereits mit neunzehn Jahren nach dem ersten Hören seiner samstäglichen Rundfunksendung mit der Figur eines Trikotagenhändlers zum absoluten Fan wurde. Mein Freund Dieter Hildebrandt, der mit ihm später den Sylvesterdauerbrenner ›Streichquartett‹ erarbeitete, erzählte voller Bewunderung von ihm und seinem lakonischen Umgang mit Kalauern, die er wohl gleichsam aus dem Ärmel schütteln konnte. So wurde bei ihm die G-Saite zum Bürgersteig. Auch Kurt Wilhelm, Regisseur beim BR, erzählte, dass F. Benscher eines Tages in die Kantine kam mit den Worten: ›Auf der Toilette liegt ein Toter. Soll das sein?‹

Er war im München jener Tage ein solcher Star, dass er, um pünktlich zur Vorstellung in der ›Kleinen Komödie‹ auftreten zu können, sogar mit Polizeieskorte vom BR zum Max II Denkmal geleitet wurde. Das Stück hieß: Da Capo, in der Hauptrolle Johannes Heesters, der einen Dirigenten gab, und sein Manager war Fritz Benscher. Eine schwache Rolle, aus der Benscher mit Präsenz, Originalität und Komik ein Kabinettstück machte. Mich haben in jungen Jahren viele Komiker beeindruckt. Geprägt haben mich nicht allzu viele. Einer davon war Fritz Benscher.«[27]

Die Entstehungsgeschichte dieses Buches beginnt in den 1980er Jahren. Damals führte ich in Hamburg Interviews mit Verfolgten, unter anderem mit Hubert Riemann und seiner Schwester Ingrid Wecker. Sie hatten in der NS-Zeit in einer doppelt bedrückenden Situation gelebt: Ihre Mutter war jüdisch, und ihr nichtjüdischer Vater, ein früherer Polizeioffizier, wurde psychisch krank und fiel 1941 der »Euthanasie-Aktion« zum Opfer. Die Mutter fürchtete, in die anlaufenden Deportationen einbezogen zu werden, die Kinder, diskriminiert als »jüdische Mischlinge«, liefen zudem Gefahr, wegen der Krankheit des Vaters als erbkrank eingestuft und entsprechend behandelt zu werden. In diese düstere Zeit brachte nur der Untermieter etwas Licht: Fritz Benscher. Er teilte mit ihnen die Wohnung, brachte sie zum Lachen und milderte mit seinem Humor so manche Ängste, zeigte in seinen politischen Äußerungen, dass es auch etwas anderes als die nationalsozialistische Ausgrenzungswut und Unterdrückung gab. Er bewies Mut, als er zwei Tage bevor der Judenstern getragen werden musste, demonstrativ mit dem Stern eine stark befahrene Straße auf und ab radelte. Nicht zuletzt verdankten sie seinem Ideenreichtum indirekt ihr Überleben, weil er die Mutter zu einer Abstammungsklage ermutigte.[28] Noch zu Zeiten der Interviews in den 1980er und 1990er Jahren hing an Hubert Riemanns Pinnwand ein aus der Fernsehzeitschrift ausgeschnittenes Foto Fritz Benschers, das er mir stolz zeigte. Damals keimte die Idee, eines Tages über diesen Fritz Benscher zu schreiben. Doch der Gedanke rückte im Arbeitsalltag in weite Ferne, bis ich 2011 im Jüdischen Museum München die Ausstellung »Das war spitze! Jüdisches in der deutschen Fernsehunterhaltung« besuchte und erfreut auf eine Station über Fritz Benscher stieß. Der Begleitband hingegen beschränkte sich auf wenige Informationen über ihn:[29] mangels Material, wie ich später erfuhr. Eine Biographie stand – wie ich dann in Bibliothekskatalogen recherchierte – immer noch aus. Die Kuratorin der Ausstellung, Ulrike Heikaus, bestärkte und unterstütze mich sehr, Fritz Benschers Lebensgeschichte zum Forschungsthema zu machen. Aus meiner dreijährigen Arbeit ist aus den oben erklärten Gründen keine lückenlose Biographie entstanden, jedoch die vermutlich weitestgehende mögliche Annäherung an eine vielschichtige Person.

Die Quellenlage für diese Arbeit krankte immer dort, wo Selbstzeugnisse oder private Dokumente erforderlich gewesen wären. Als gut erwies sie sich vor allem dort, wo Fritz Benscher mit staatlichen Institutionen oder Gerichten in Konflikt geriet. So wissen wir fast nichts über seine Kindheit, aber seine Zeit als Künstler und dann als Sargtischler in Diensten der Jüdischen Gemeinde Hamburgs lässt sich anhand der Bestände im Hamburger Staatsarchiv ebenso gut nachvollziehen wie die »Arisierung« seines Familienbesitzes und die Flucht seiner Angehörigen aus Deutschland. Meine Interviews, gesammelt in der Werkstatt der Erinnerung in der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, ergänzen diese Zeitperiode durch die Sicht Dritter auf Benscher. Über seine Haftzeiten in Theresienstadt, Auschwitz und Dachau konnte ich Material vom Internationalen Suchdienst in Arolsen, vor allem aber im Archiv der Gedenkstätte Dachau finden, meist allerdings indirekte Hinweise in den Selbstzeugnissen seiner Leidensgenossen. Aus der Nachkriegszeit existieren unzählige Zeitungsartikel von 1945 bis 1970 (und darüber hinaus), gesammelt in diversen Archiven, die sie mir freundlich zur Verfügung stellten. Vor allem aber besaß Tamara Benscher eine fast lückenlose Sammlung derselben, auf die ich mich in dieser Arbeit stützen konnte (in den Nachweisen als »Konvolut Benscher« bezeichnet). Über Konflikte um eine Benscher zugewiesene Wohnung für Verfolgte fand ich Material im Stadtarchiv München, über seine Verwicklung in den Prozess gegen Philipp Auerbach im Bayerischen Staatsarchiv und die gescheiterten Wiedergutmachungsanträge im Staatsarchiv Ludwigsburg. Zudem konnte ich Benschers Manuskripte und Sendeaufzeichnungen im Historischen Archiv des Bayerischen Rundfunks im Bereich Hörfunk wie Fernsehen sichten bzw. anschauen. Einige Interviews und Korrespondenzen mit seiner Nichte und Zeitgenossen, die ihn noch gekannt hatten, ergänzen die Informationen ebenso wie Memoiren zeitgenössischer Künstler, die ich herangezogen habe.

Hamburg – Berlin – und zurück
(1904 – 1943)

Erste Schritte ins Leben und auf die Bühne

Als Fritz Benscher am 13. November 1904 geboren wurde,[1] hatten seine Eltern Gotthard und Pauline Benscher bereits zwei Söhne: Siegfried (geb. 1899) und Hugo (geb. 1903).

Gotthard Benscher betrieb im Grindelgebiet eine Ledergroßhandlung, die als »Agentur und Commission« firmierte. Die Firma hatte er 1899 gegründet und am 3.9.1900 ins Handelsregister eintragen lassen.[2] Die Familie bewohnte ein Haus in Blankenese, das zu dieser Zeit noch nicht zu Hamburg gehörte. In der ruhigen Seitenstraße Am Klingenberg 23, unweit des Blankeneser Bahnhofs, hatten wohlhabende, aber nicht reiche Bürger kleine Villen bauen lassen, die von Gärten umgeben waren. Mit der S-Bahn konnten sie schnell ihre Kontore und Geschäfte in Hamburg erreichen. Gotthard Benschers Büro lag am Schlump, später im Grindelgebiet, also im Hauptwohnviertel der Hamburger Juden, bis er ein Grundstück im Cremon im Hafengebiet erwarb. Auch die Söhne fuhren mit der Bahn zur Schule in Hamburg.

Nur wenig ist über das Familienleben der Benschers bekannt: Sie führten ein Leben nach den Regeln der jüdischen Religion, gleichzeitig dokumentierte der Vater seine Liebe zu Deutschland, indem er deutschnational wählte und den Söhnen entsprechende Vornamen gab. Er herrschte als Patriarch über die Seinen: Zwei Kindheitserinnerungen, die Fritz Benscher später kolportierte, mögen die Atmosphäre im Elternhaus beschreiben: Die eine betraf Waldspaziergänge der Jungen mit dem Vater, bei denen sie lautstark zu viert »Oh du schöner deutscher Wald« schmetterten, während die Mutter, die sich dessen schämte, ihnen folgte.[3] Die andere, die Fritz später seiner Frau weitergab, war die an einen Sommerausflug der Söhne mit der Mutter ans Wasser, vermutlich die nahe gelegene Elbe. Sie hatte vom Vater eine Uhrzeit für die Rückkehr mitbekommen. Als sie diese nicht einhielt, verweigerte er allen vieren den Zugang zum Haus. Selbst als die Nacht hereinbrach, öffnete er die Haustür nicht. Fritz Benscher, so seine Ehefrau, sei zeitlebens seinem Vater in »Hassliebe« eng verbunden geblieben, »einesteils hat er ihn bewundert, andernteils total abgelehnt.«[4] Auch der längst erwachsene Fritz suchte weiter die Anerkennung des Vaters, fand sie aber weder mit dem, wie er sein Leben gestaltete, noch mit seinen beruflichen Fähigkeiten oder seinem späteren Ruhm. Von der Mutter blieben ihm offensichtlich nur die Kochkünste in Erinnerung: So erwähnte er später in Sendungen ein Gericht aus Graupen, weißen Bohnen und Kalbfleisch, das sein Großvater »Schwurgericht« genannt habe, »weil es so schwur im Magen liegt«.[5] Diesen »Schalet« oder »Scholet«, wobei er den Namen des jüdischen Gerichts nicht erwähnte, habe die Familie am Heiligabend zu sich genommen …

Die Bildung seiner Söhne ließ Gotthard Benscher sich etwas kosten: Sie besuchten schulgeldpflichtige Vorschulen, bevor sie an die jüdische Talmud-Tora-Schule wechselten. Während Siegfried an der Rackow-Schule gewesen war, ging Fritz »zur Bertram«: Die Gustav-Bertram-Vorschule, nahe am Dammtor-Bahnhof gelegen und vom Namensgeber selbst geführt, zählte die Söhne wohlhabender christlicher wie jüdischer Familien zu ihren Schülern. Die Namensliste liest sich wie ein Who’s who des großbürgerlichen Hamburgs mit seinen Reedern, Großkaufleuten oder Bankiers. Es gehörten die Amsincks, Sievekings, Mönckebergs, Burchards, de Chapeaurouges oder die Hagenbecks ebenso dazu wie die arrivierten jüdischen Ballins, Bandmanns oder Warburgs.[6] Auf Rechnen legte Gustav Bertram, der jeden Schüler persönlich kannte, besonderen Wert.

Fritz Benscher (1951):

»Wenn Sie mich nach der Art unserer Sendung fragen … die stammt von meinem Mathematiklehrer. Der flüsterte mir immer Rechenergebnisse ins Ohr, wenn ich nicht weiterwusste, und dann gab’s eine Ohrfeige.«[7]

In kleinen Klassen lernten die Jungen lesen und schreiben, zunächst ohne Hausaufgaben. Druck und Stress sollten insbesondere am Schulanfang und wenn der Übergang zu einer höheren Schule nahte, weitgehend vermieden werden. Deshalb erhielten die Schuljungen auch täglich ihre Zensuren, so dass ihnen ihr Leistungsstand stets bekannt war und sie (oder ihre Eltern) bei Problemen sofort Abhilfe schaffen konnten. Vor allem aber drohten keine bösen Überraschungen, wenn die Zeugnisse verteilt wurden. Von April 1910 bis April 1914 führte Fritz’ Weg also zur Vorschule, dann wechselte er zur Talmud-Tora-Realschule am Grindelhof. Der Direktor Joseph Goldschmidt leitete sie mit strenger Hand.

Der Erste Weltkrieg veränderte das dortige Schulleben von Grund auf: Lehrer wurden eingezogen, bald trafen etliche Todesnachrichten ein.[8] Der Krieg wurde Thema unzähliger Unterrichtsstunden, Landkarten zeigten die Vormärsche der Truppen. Schüler wie Lehrer identifizierten sich mit den Kriegszielen, sie sammelten viel Geld, um sie aktiv zu unterstützen.

Der Historiker Ulrich Herbert hat für die in den Jahren 1900 bis 1912 geborenen (männlichen) Jugendlichen den Begriff der »Kriegsjugendgeneration« geprägt. Er meint die aufgrund ihres Alters noch nicht zum Wehrdienst eingezogenen Jungen, die die »Frontbewährung« verpassten, aber in die schwierigen Jahre der Weimarer Republik hineinwuchsen. Diese Generation war für ideologische Radikalisierungen besonders anfällig, sie stützte und trug später das NS-Regime ideologisch wie emotional, insbesondere als Mitglieder der SS.[9] Die jüdischen Jugendlichen wie Fritz Benscher, anfänglich kriegsbegeistert, wurden jedoch jäh aus der scheinbaren Gemeinschaft aller Generationen und Schichten ausgeschlossen: Fritz Benscher war 12 Jahre, als der Kriegsminister die antisemitisch motivierte »Judenzählung« zur Erfassung angeblicher »jüdischer Drückeberger« anordnete, was zur bitteren Ernüchterung der jüdischen Patrioten aller Altersgruppen führte. Eben noch mit dem kriegsführenden Deutschland identifiziert, wurden sie von der nichtjüdischen Umwelt wegen ihrer Religion und Abstammung nun argwöhnisch beobachtet und ausgegrenzt. Hinzu kam, dass das Ergebnis der Zählung bis nach dem Kriegsende geheim gehalten wurde, was das Misstrauen berechtigt erscheinen ließ. Tatsächlich ergab die Erhebung, dass kein nennenswerter Unterschied in der Kriegsbeteilung von Juden und Nichtjuden bestand.[10] Jedenfalls blieben bei Fritz Benscher keine Reste von Kriegsbegeisterung erhalten.

Fritz Benscher (1960er Jahre):

»Wir hatten [als Schüler, B. M.] statt eines Standpunkts etwas anderes, wir hatten Pickel und Gehorsam. Und alle diese Dinge waren sehr ungünstig für eine Entwicklung. Beispielsweise sagte man uns: mach einen schönen Diener, also eine Verbeugung. Das prägte sich dann so in dem Rückgrat aus, dass man vielleicht später dachte, wie kommt es, dass Menschen sich […] so wie jene benahmen, die in der fraglichen Zeit nicht dazu beitrugen, Deutschlands Ansehen zu heben. Sie hatten so viele Diener gemacht, dass das Rückgrat vollkommen krumm und zerschunden war und sie später auf jeden Deppen gehört haben.«[11]

Zudem gab der weitere Verlauf des Krieges in den nächsten beiden Jahren auch keine Hoffnung mehr auf einen glücklichen Ausgang. Jetzt sammelten die Schüler nicht mehr Geld, sondern Gummiabfälle, Altpapier, Obstkerne und anderes zur Wiederverwertung. In der nahe gelegenen Hartungstraße bereiteten Helferinnen des Israelitischen Humanitären Frauenvereins Schulspeisungen vor, die eine Gruppe Schüler abholte und im Keller der Schule ausgab. Nun stand »Wehrturnen« als Pflichtfach auf dem Stundenplan, dafür exerzierten die Schüler mit einem Lehrer auf dem Schulhof. Der Winter 1916/1917 ging als »Steckrübenwinter« in die Geschichte ein, der Herbst 1918 brachte eine Grippewelle unbekannten Ausmaßes. Wie alle Lehranstalten musste die Talmud-Tora-Schule einige Wochen schließen. Im November 1918 schwappte der Kieler Matrosenaufstand nach Hamburg über, vier Monate regierte ein Arbeiter- und Soldatenrat im ehrwürdigen Rathaus. Wie erlebte der Jugendliche Fritz Benscher diese bewegten Zeiten? Wir wissen es nicht. Er verlor in keinem Interview oder Kommentar ein Wort darüber.

Einen seiner Mitschüler von der Talmud-Tora-Schule, der dort ein Jahr vor ihm eingeschult worden war, sollte er übrigens später in München wiedertreffen: Philipp Auerbach.[12] Der Sohn eines Großhändlers für Chemikalien, Erze und Metalle besuchte die Schule bis 1922. Auch er überlebte während der NS-Zeit mehrere Konzentrationslager und wurde 1946 in München zum Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte ernannt.

Als sich Fritz’ Schulzeit dem Ende näherte, bewegten sich seine Noten meist zwischen Drei und Vier. Lediglich in Erdkunde, Biologie, Turnen und Rechnen – vielleicht eine positive Auswirkung der Vorschule – erhielt er eine Zwei.[13] 1920 attestierten die Lehrer ihm, er sei mäßig begabt, »zerfahren«, zwar »nicht unfleißig«, doch seine Reife schien ihnen zweifelhaft. So gewarnt, verbesserte sich Fritz schnell, erhielt in Rechnen, Religion, Physik und Turnen sogar eine Eins, ebenso im »Betragen« (statt einer Drei) und im »Fleiß«. Allerdings hielten seine Anstrengungen nicht lange vor, und er erwarb die Realschulreife, das »Einjährige«, nachdem er in der Abschlussprüfung beim Abschreiben erwischt und verwarnt worden war, mit mäßig-durchschnittlichen Zensuren.

[14]