image

Gertrud Kolmar

Briefe

Herausgegeben von Johanna Woltmann

Durchgesehen von Johanna Egger
und Regina Nörtemann

image

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet
diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Briefe

Briefe an Hilde Wenzel und andere Angehörige 1920 – 1943

Briefe an Walter Benjamin 1934

Briefe an Leni Steinberg 1937

Briefe an Jacob Picard 1937 – 1939

Anhang

Editorischer Bericht

Kommentar

Nachwort

Zeittafel

Verzeichnis der Briefe

Bibliographie

Stammbaum der Familie Gertrud Kolmars

Register

Briefe

Briefe an Hilde Wenzel
und andere Angehörige
1920 – 1943

[1]

[5. Juli 1920]

Westend, d. 5. Juli 20.

Mein liebes, gutes Hillechen!

[…] Gestern war in der Haeselerstrasse nach 6 Jahren zum ersten Mal wieder Kinderfest mit Musik und bengalischer Beleuchtung, mit Würfelbuden und Fackelzug, mit Raketen, Schießen und sonstigem Lärm. Das letzte Fest, im Jahre 1914, haben Eichhorns auch noch gesehen. Trudchen, Jörgchen und Kurt sind auf eine Weile hingegangen; Margot hat Ilse Benario, die nochimmer liegen muß, Gesellschaft geleistet. […]

Liebe Hilde, Zwar habe ich Deinen Brief noch nicht gelesen, aber Vati hat mir schon freudevoll berichtet, wie schön ausführlich Du wieder geschrieben hast. Ich weiß nun hier nichts Besseres zu tun als Vati’s Schilderung vom Kinderfest noch etwas zu ergänzen. »Kinderfest« ist eigentlich insofern nicht ganz richtig, als die Erwachsenen (besonders zwischen 18 und 20 Jahren) hervorragend daran beteiligt waren. Im letzten Hof, in der Königin-Elisabethstraße, tanzten sie Walzer nach den Klängen von: »Es geht bei gedämpfter Trommel Klang …« Sinnvoll! An selbigem Orte fand man auch Kirschen- und Eiswaffeltische, Glücksrad und Kegelbahn. Das Glücksrad wurde von 2 halb als Indianer halb als Mohren ausstaffierten Individuen bedient, die Gewinne bestanden aus Papierblumen, Tonengeln, Tafelaufsätzen aus Glas und Blech und ähnlichen Herrlichkeiten. Den einzigen wirklichen »Wertgegenstand«, der immer dabei war, stellte ein ganzer Laib Brot vor; allerdings war dieser Gewinn wohl nur für die Verwandten oder Bekannten des Veranstalters bestimmt. In einem der vorderen Höfe gab es ein Scheibenschießen für Erwachsene, woanders schossen die Kleinen mit der Armbrust nach einem rot, gelb und grün bemalten Doppeladler. Da das Scheibenschießen in Wlukas Hof stattfand, hatte der Junge Kurten anfangs vorgeredet, Wlukas hätten Würste dazugestiftet und sie an Strippen aufgehängt; wem es gelänge, die Strippe zu durchschießen, dem gehörte die herunterfallende Wurst. Übrigens, wie immer waren die Teilnehmer an der Festlichkeit zumeist etwas »verkleidet«; einige kleine Mädchen trugen bunte Krepp-Papierröcke, in denen sie steckten wie Topfblumen in der Manschette, ein paar kleine Jungen liefen als Pierrots umher, und die Großen hatten zum guten Teil Ulkmützen auf den Köpfen. Frau Wächter guckte aus ihrem Fenster, weißgekleidet mit einer grünen Papierhaube, die gelbe Bänder schmückten; der Junge meinte, sie sähe aus wie Brunhild. Sehr komisch war ein Clown mit rotem Zylinderhut, gleichfarbiger Nase, langen, schwarzen Papierlocken und altfränkischem grellkarriertem Anzug; er sah so etwas wie die Karrikatur eines reisenden Engländers aus und tanzte zu einer plötzlich auf offener Straße improvisierten Geigenmusik, immer mit einem Mädchen nach dem andern, ohne je außer Atem zu kommen. – Nun sei auch recht fröhlich, wenn auch auf andere Art, und grüße alle bestens von

Trude.

[2]

[8. Juli 1920]

Liebe Hilde,

Besten Dank für den Brief. Schon die kleinen Klebeplaketten auf den Umschlägen gefallen mir immer so gut. Ich führe weiter ein stilles Leben hier, helfe Mutti, soweit ich kann – und soweit sie sich helfen läßt! – und gehe alle paar Nachmittage herüber zu Ilse Benario. Sie macht jetzt schon einmal täglich einen kurzen Spaziergang durch den Flur, am Stock und mit Unterstützung; es wird wohl noch eine Weile dauern, bis sie sich wie früher bewegen kann. –

Gestern nachmittag war ich zum 1. Mal nach langer Zeit wieder mitten in der Stadt, bei Wertheim; ich habe auch meine Lehrerinnen vom Seminar besucht und an ihnen gefunden, was ich überhaupt hier allgemein feststellte: Alle Menschen sehen jetzt viel besser aus als im November, da ich Berlin verließ. Auch die Preise verschiedener Fabrikwaren scheinen mir seither gefallen zu sein, und die Ernährungsverhältnisse sind so schlimm nicht, wie man ich es sich im lieben Bayern vorstellt, vielleicht auch vorzustellen liebt, denn für den rechten Bayer kann es den Saupreußen und besonders den verhaßten Berlinern gar nicht dreckig genug gehn kann. Aber ich will das Land nicht schelten, das jedenfalls mir Gastfreundschaft gewährt.

Und hiermit mache ich Schluß und grüße Dich und Helene herzlich.

Trude.

[3]

[25. April 1927]

Auch ich, liebe Tante Martha, gratuliere Dir herzlich zum Geburtstage und schließe mich Vatis guten Wünschen »in vollem Umfange« an. Es grüßt Dich und die ganze Familie Crzellitzer viele Male

Deine Nichte

Trude.

[4]

[18. August 1927]

Neu-Finkenkrug, d. 18.8.27.

Mein liebes Meisterchen!

[…] Bei Deinem Durchfahren durch Finkenkrug hat Vati Dich gesehen, Trude nicht, u. auch von die Schokolade hat sie nicht gefunden. Es schien ihr so, als wenn jemand etwas herauswarf, aber sie hat beim Suchen nur ein leeres Stollwerkschächtelchen, das gewiß schon längst dort lag, gesehen. Ich war auch an dem Übergang, wußte aber nichts von Eurer Vereinbarung auf der andren Seite u. stand diesseits, es that mir leid, ich hatte mich so beeilt, um rechtzeitig hinzukommen. Trude war schon vorausgegangen u. sah mich erst im letzten Moment auf der falschen Seite stehen. […]

Liebe Hilde, Also besten Dank für die Chokolade, die ich leider nicht ergattert habe. Hoffentlich war’s keine 250 g Tafel, die mir so entgangen ist. – Wenn Du Goldschmidts siehst, grüße sie von mir. An Dich schönen Gruß von Lenchen, und Du sollst Dich nur recht erholen.

Herzlich grüßt Dich

Trude.

[5]

[5. Dezember 1928]

Finkenkrug, d. 5.12.1928.

Liebe Hilde,

Besten Dank für Dein Schreiben. Also, mit dem Buddha ist es nichts. Ich glaubte nämlich, daß, da wir Band 2 haben, mit dem Einkauf von Band 1 das Werk vollständig wäre; aber wenn man nun noch ganze 3 Bände hinzuerwerben muß … Soviel macht sich Vati, denke ich, nicht daraus.

Stattdessen Folgendes: Vati hat sich einmal die deutsche Ausgabe von »Georg Brandes, Julius Caesar« gewünscht, und Mutti, die heute bei Herrn Ring Einiges kaufte, hat festgestellt, daß das Buch bei Reiß (Berlin?) erschienen ist und ca. 20 M kostet. Nach diesen Angaben wirst Du es wohl ausmitteln und bestellen können. An diesem Buche möchte ich mich gern beteiligen (der Junge hat etwas anderes); lehnst Du aber die Beteiligung ab, so möchte [ich] Dich bitten, für mich beim Verlage J. B. Metzler, Stuttgart, »Hans Naumann, die Deutsche Dichtung der Gegenwart« (Ganzleinen 10 M) zu besorgen. Ein solches Werk fehlt uns nämlich, da unser Leixner so ungefähr mit Ge[r]hart Hauptmann aufhört. Die angeführte Literaturgeschichte kenne ich freilich nicht, weiß aber auch keine andere, und wenn die Kritiken nur halbwegs stimmen, kann sie nicht schlecht sein. Ist Dir selbst jedoch auf diesem Gebiete etwas Besseres bekannt, so kannst Du natürlich das besorgen.

Noch eins: Mutti findet, daß 2 Bücher für uns (und besonders für Dich) eine zu große Geldausgabe wären. Nun könnten wir ja dann beide zusammen den Cäsar schenken; aber Mutti ist – nicht mit Unrecht – mehr für den Ankauf der Literaturgeschichte, weil sie, wie gesagt, einmal tatsächlich etwas ist, was uns fehlt. Wiederum wird sie Dir, da sie ja nur 10 M kostet, vielleicht als ein zu kleines Geschenk für 2 Personen erscheinen. Und daß Du sie allein schenkst, möchte ich nicht; denn ich habe mir doch die Mühe gemacht, etwas Schönes und Nützliches auszudenken, und Du erntest dann den Dank dafür, während ich jetzt erst einmal wieder ohne Geschenk dasitze. Schließlich kommt es dabei auf den Preis nicht an, und Vati wird sich über den 10 M-Band genau so freuen wie über ein teureres Werk. –

Wo wohnt jetzt eigentlich Ella? Wenn sie mir nicht zum 10. schreibt, kann ich ihr nicht gratulieren, weil ich dann ihre Adresse nicht habe. Sie hat doch am 15. Geburtstag. (Vati hat mich, im Hinblick auf ihr Schreib-Versprechen, allerdings gefragt, ob ich noch an Wunder glaubte?)

Sonst nichts Neues. Wenn Du inzwischen Ella siehst, grüß’ sie und erinnere sie an ihr Versprechen. Und sei selbst herzlich gegrüßt von

Deiner

Trude.

Mein liebes Hillechen!

Meine Ansicht betreffs des Buches hat Trudchen schon geschrieben. Ich glaube, daß Vati sich mehr freut, wenn Ihr nicht so viel Geld ausgebt, u. es kommt doch nicht darauf an, daß eine Sache besonders viel kostet, um zu gefallen. Eine neuere Litteraturgeschichte wäre jedenfalls sehr was Schönes u. käme auch besonders der Allgemeinheit zu gute. Nun weißt Du, denke ich, Bescheid. Für mich nur auch nicht zu viel Geld ausgeben, Du bist immer viel zu nobel. Gestern war ich bei Ring, habe Lörke für Trude gekauft u. das neue Buch über Goethe’s Vater von Glaser, das sehr gut sein soll. Letzteres für Vati. […]

[6]

[10. Dezember 1928]

Liebe Hilde!

Hier nur kurzen, aber herzlichen Dank für Brief und Geschenke. Besorge bitte den Naumann (gebunden); denn den Witkop kenne ich nicht, und wenn der Bartels mit dem Literarhistoriker identisch ist, den ich kenne, dann verspreche ich mir von seinem Werk nicht viel. Ich möchte doch lieber bei Dir bestellen als bei Herrn R.; der Verlag ist ja in Stuttgart, und dann hat R. für Mutti auch Porto berechnet. – Von Ella habe ich bisher nichts, glaube auch kaum, daß ich noch was bekomme. Bis zu ausführlicherem Schreiben die besten Grüße!

Trude.

[7]

[13. Dezember 1928]

Finkenkrug, d. 13./XII.28.

Liebe Hilde,

Heute erhältst auch Du von mir ein schönes Gekrakel; denn erstens habe ich aus Mutti’s Schreibtisch eine merkwürdige neue Feder erwischt, die dauernd »aussetzt«; zweitens und in der Hauptsache aber habe ich meinen Brillenbügel abgebrochen, und ohne Brille bin ich nicht mehr zu schreiben gewohnt.

Dieses Letztere ist die Entschuldigung mit der ich vorerst jeden Geburtstagsdankbrief einleiten muß. Sie bildet den ersten Teil meines Schreibens; nun kommt der zweite, persönlicher gehaltene.

Er beginnt mit einem recht herzlichen Dank für Deine drei Geschenke. Über die Bahnhofsansichten habe ich mich natürlich besonders gefreut; ich bekam ordentlich Lust, wieder einmal nach Stuttgart zu fahren – schon um dieses bewunderungswürdige Bauwerk wiederzusehn. Mit Deinem Buche passierte mir Folgendes (was die Einbildung macht!): Ich durchblätterte es, noch ehe ich Deinen Brief gelesen, merkte keineswegs, daß Du mir Dein Exemplar geschickt, sondern stellte fest, daß sich diese Ausgabe von der Deinen durch gewisse kleine Veränderungen unterschied! Die Mandarine hielt ich für Marzipan, bis Mutti sie für Seife erklärte; ich kann »letztere« eigentlich noch besser gebrauchen als »ersteres.«

Von meinem Geburtstag ist nicht weiter Großes zu melden. Wir feierten ihn »in aller Stille«, da ich die ganze vorige Woche stark erkältet gewesen war und keine Lust gehabt hatte, Einladungen zu versenden. Ich will meine Geschenke nicht im einzelnen aufzählen, möchte aber erwähnen, daß ich außer Briefpapier, Konfekt und Büchern, eine Winter-Schlupfhose (von Helene) bekam – womit ich, wie ich glaube, Deinen Rekord bald brechen werde – und ferner einen Schirm (dunkelblau; von Vati und Mutti) – ein Gegenstand, dessen »Nichtbenutzung« man mir kaum wird vorwerfen können.

Gestern übrigens war ich bei Herrn Ring, wo ich Deine »Deutschen Liebeslieder« die er uns geschickt hatte, von Muttis Geld bezahlte. Herr R. selbst war nicht zu sehn, dafür machte ich die Bekanntschaft von Herrn Bl., der, finde ich, gar nicht so entsetzlich häßlich ist, wie Du ihn einmal schildertest. Er fragte nach Dir, läßt Dich grüßen. –

Punkt. Strich. – Weißt Du, was ich gestern gesehen habe? Ich lege meine Betten zum Lüften ins |Seiten-|fenster, und während ich noch dabei bin, gibt es ein Knacken und Krachen im Kiefernwipfel dicht vor mir, und da sitzt ein großes Tier (wirklich ein großes Tier!) ganz ruhig und fest: ein Mäusebussard. Er blieb ein Weilchen und |flog| dann zu Grieshabers ab.

Mit diesem Erlebnis schließe ich. Noch dies: Deine guten Wünsche in betreff des Nobelpreises haben mir Spaß gemacht. So alt bin ich denn doch noch nicht. Denn Du weißt wohl, daß man den Preis als »Altersversorgungsanstalt« bezeichnet hat, weil er immer nur an reichlich bejahrte Dichter – meist auch solche, die es nicht mehr nötig haben – verliehen wird. Die diesjährige Preisträgerin ist zwar, glaube ich, erst in den Vierzigern, bildet aber auch bisher nur die Ausnahme, welche die Regel bestätigt. –

Nun leb’ wohl. Nochmals vielen Dank und Herzliche Grüße!

Trude.

[8]

[22. Januar 1929]

Liebe Hilde,

Gestern nachmittag war ich bei Schmollers, bin zu Ring mit herangegangen und habe bei Herrn Bl. Deinen Kalender bezahlt. 3.55 M, einschl. Porto, so daß Du jetzt noch ein paar Groschen Schulden bei mir hast. Herr Bl. kennt den Herrn Augenfeld (was Du vielleicht schon weißt), aus Heringsdorf, glaub’ ich, denkt aber wenig gut von ihm; er nannte ihn einen »sehr schäbigen Kerl.« Was da vorliegt, weiß ich nicht; ich teile Dir das bloß mit.

A propos »Gruscha«: Der Name stammt von mir, ist russisch und eine Koseform für »Agrafjena« (latein. »Agrippina«); außerdem heißt »Gruscha« »die Birne«.

Auf einandermal! Gruß an Ella und Dich von

Trude.

[9]

[12. Juni 1936]

Liebe Hilde, »Püppi« ist mir eine wertvolle Hilfe. Sie deckt den Tisch, räumt ab, füttert die Hühner mit Löwenzahnblättern und gießt die Erdbeeren mit einer kleinen »Dießtanne.« – Mit vielen schönen Grüßen

Trude.

[10]

[16. Juni 1936]

Liebe Mutti,

Wenn ich morgens aufwache und rufe, so muß »Tjude« sich entweder erst anziehn oder sie behauptet, sehr müde zu sein und legt sich noch mal ins Bett. Jedenfalls wird mir dann irgendetwas übergeworfen, damit ich mich nicht erkälte, und ich sitze in Trudens Zimmer am Fenster vor einer von ihr »Schreibtisch« genannten Kiste auf einem von mir »Fußbank« genannten Tritt, studiere Bücher und Zeitungen oder schreibe Rechnungen über »Eine Mark« aus. Heute aber erklärte ich: »Mutti treibt Brief,«; das war aber kein Brief, den Mutti an mich, sondern – wie ich Trude klarmachte – einer, den ich an Mutti geschrieben hatte; Trude hat ihn mir vorgelesen. Ich habe übrigens neuerdings bei ihr das Amt einer »Kosmetikerin« übernommen; sie hat leider auf Hautpflege bisher zu wenig Wert gelegt. Während sie sich das Haar macht, tupfe ich ihr aus einer leeren Cremedose »Puder« auf die Backen, in die ich dabei mit |meine| sämtlichen fünf Finger kräftig hineindrücke; heute habe ich auch ihre Lippen mit einem Stift in Gestalt einer winzigen, leeren Parfümflasche bearbeitet – es tat ihr ein bißchen weh; aber das macht nichts, Hoffart muß Zwang leiden, und unsere »Wege zu Kraft und Schönheit« sind so eingeteilt, daß ich den Weg der Kraft beschreite, damit Trude den der Schönheit gehen kann. Sie läßt übrigens meine liebe Mutti schön grüßen, und ich selbst lege Mutti die Ärmchen um den Hals und habe sie »doll dieb«.

Sabine, gen. Püppi.

[11]

[zwischen 1935 und 1937]

Liebe Hilde,

Zuerst einmal vielen herzlichen Dank für das entzückende Buch; ich kann mich gar nicht satt an den Bildern sehn, und wenn man sie nur in einer gewissen Weise in das Lampenlicht oder die Sonne hält, so schimmern die goldüberhaupten Schuppen, und die Fische sehn wirklich wie gemalt und nicht wie gedruckt aus. Ich hatte den Titel des Büchlein[s] schon in einer Verlagsanzeige gelesen und, weil er mir so gefiel, daran gedacht, es mir zeigen zu lassen, wenn ich wieder einmal zu Euch käme …

Am liebsten würde ich noch weiter über das Fischbuch fabeln – Du siehst, ich bin wahrhaft darein verliebt – aber dann ist der Bogen »alle, alle« (würde Sabine sagen) und ich habe Dir noch nicht einmal meinen Geburtstagsglückwunsch geschickt. So wünsche ich Dir denn, daß Du im neuen Lebensjahr recht oft solche Freude erleben möchtest, wie ich sie an Deinem Büchlein hatte; es grüßt Euch alle viele Male

Trude.

[12]

[zwischen 1935 und 1937]

bitte vorm Auspacken lesen!

Liebe Hilde,

Einige Erklärungen zu dem Paket: Die kleinen weißen und braunen Pfefferkuchen haben den gleichen Mehl- und Honiggehalt; die großen braunen Kuchen mit Mandeln enthalten etwas mehr Honig als die andern und sind deshalb vielleicht für Sabine am besten. Auch soll Sabine das Silbertöpfchen (Inhalt Pfeffernüsse) haben als Geschenk von Helene. Dir selbst schenkt Helene die Butter, die sie sich extra aus Köntopf hat schicken lassen. Mein kleines Geschenk für Dich ist das Parfüm. Es gehörte Mutti, Vati hatte es mir geschenkt; ich denke aber, Du kannst es besser gebrauchen als ich. Sollte es nichts taugen – was ich aber nicht glaube, so erhältst Du etwas anderes nachgeliefert. Schmeiß’ die paar Marzipankartoffeln u.s.w. nicht beim Auspacken heraus; sie sind nur lose in eine Papierserviette gewickelt. Die Spargeldose ist ein teil eines Konservengeschenks von Vati; andere Konserven harren noch der Abholung.

Laßt Euch alles gut schmecken!

Trude.

[13]

[19. April 1938]

F. d. 19.IV.38.

Mein liebes Meisterchen!

[…] Die Feiertage sind nun vorüber. Der Charfreitag hatte ein gradezu paradiesesches Wetter. Sonne lag auf allen Wegen, auf allen Wesen, goldige, lichte, warme Sonne. Und ich ging mit meinem Binelein und Flora durch den grünen Wald, durch die Tausende weißer und rosafarbner Anemonen. Und Dein Vater teilt, si parva licet comparare magnis, die Tragik Goethes: ein junges Fühlen, ein jugendliches Schwärmen im alten, schwachen Körper. […]

Trudchen hatte ein Dutzend Ostereier versteckt und das Püppchen hat sie alle gesucht und gefunden und schließlich sogar noch den Hasen gesehen, der durch unsren Zaun schlüpfte. […] Am Abend dieses Tages kamen, unangemeldet, Tante Clara mit Onkel Alex, um sich zu verabschieden. Sie werden uns in einigen Tagen für immer verlassen. Gestern Montag war großer Trubel. Zu Tisch: Jörgchen, Thea, Wölfchen, Peter, zum Nachmittags-Kaffee noch Fritz mit seiner blondgefärbten und auch sonst schön bemalten Braut Mali. Nun mache ich Schluß, um für Trudchen noch ein wenig Platz zu lassen […]

Liebe Hilde! Da nun eben Deine beiden Osterkarten von Peter hergeschickt worden sind, wissen wir doch, daß Du dem Osterhasen von Sabines Artigkeit erzählt hast. Sie hat nämlich angesichts der vielen Eier immer wieder erstaunt gesagt: »Der Osterhase weiß wohl gar nicht, daß ich so oft |manchmal| unartig bin.« Z. Z. ist sie mit »Opa« spazieren gegangen und läßt ihre Mutti grüßen. Auch von mir schönen Gruß und Dank für die eben eingetroffene Karte. Erhole Dich gut und grüße auch Minnie und Onkel Siege vielmals von

Trude.

[14]

[12. Juni 1938]

Mein liebes Ungeheuer!

Denkst Du noch manchmal an unsere »schönen Abende«, an die Lieder und Verschen und an die Geschichten von der Brille und von der dummen Mutti, die dem Kind eine Wurst um den Hals gelegt hat? Und an das »Ungeheuerspiel«, wenn Du zum Kaffee aufstehn solltest? Ich selbst denke oft an Dich und grüße Dich von Herzen.

Deine Tante Trude.

[15]

[17. Juli 1938]

F. 17. Juli 1938.

Mein liebes Hillechen!

[…] Heute ist Muttis Geburtstag, aber ich war schon gestern auf dem Friedhof, weil der Verkehr auf der Bahn am Sonntag für mich zu stark und deshalb kein Sitzplatz zu finden ist. Ich traf Peter auf dem Rückwege mit einem schönen Rosentopf. […]

Trudchen ist heute herausgefahren und hat rote und rosa Rosen aus unserem Garten mitgenommen, dazu ein großes, tiefes Glas, so daß die Rosen sich im Wasser einige Zeit halten können. […]

Wissings sind gut in Sao-Paolo angekommen. Tante Martha, die mit Onkel Fritz am 2. Juli den ganzen Tag über unsere Gäste waren, hat einen langen Brief von Tante Clara erhalten. Sie haben mir einen alten Herder in 40 Bänden (Cotta’sche Ausgabe von 1853) als Andenken gelassen. Ich blättere viel darin. Besonders hat mir der Spruch, den ich Dir geschrieben, gefallen und ich habe ihn jetzt stets auf den Lippen, wie der Raucher eine Cigarette, ebenso beruhigend und doch weniger schädlich als Nikotin. […]

Liebe Hilde, Rechts an der Buchsbaumeinfassung des Grabes lagen noch ein paar Kienäpfel, so wie sie offenbar vor langer Zeit Sabine beim Spielen aufgehäuft hatte, und ich dachte, als ich da auf der Bank saß, an sie und an Dich …… – Es ist übrigens ganz »stilecht«, daß Ihr in der Scheuchzerstr. wohnt, da ich ja Sabine immer »mein liebes Ungeheuer« nenne, und Scheuchzer war als Naturforscher sozusagen »Spezialist« für alle möglichen Ungeheuer, die er erfand oder an deren Vorhandensein er glaubte. Mein »kleines Ungeheuer« wird ja, wenn der Brief ankommt, auch nicht mehr »vorhanden«, sondern schon im Kinderheim sein – dennoch ihr und Dir viele herzliche Grüße von

Trude.

[16]

[3. August 1938]

Liebe Hilde! Was soll ich Dir von hier Neues und Interessantes berichten? Ich stecke jetzt mitten im Johannisbeerpflükken, das bei mächtiger Hitze vor sich geht; insofern »trainiere« ich für Palästina. Du kannst meinem »lieben Ungeheuer« erzählen, daß am Montag Leonor und seine Mutti den ganzen Tag lang hier draußen waren. Die Mutti ist »meine« Rezitatorin und Leonor ihr jetzt 15jähriger Sohn, für den Püppi, als sie ihn vor etwa zwei Jahren bei uns kennen lernte, eine Liebe auf den ersten Blick empfand, der sie durch intensives Anschauen, Wangenstreicheln u. s. w. sehr drollig Ausdruck gab; sie sprach auch immer wieder von ihm, wenn sie hier war. Übrigens hat sie keinen schlechten Geschmack; denn er ist sehr hübsch.

Dein Brief hat mich sehr gefreut, besonders natürlich das, was Du vom »Ungeheuer« erzähltest, auch das Bild; ich finde, sie ist sehr gewachsen, seit ich sie nicht mehr sah. Grüße sie schön von mir, und sei selbst herzlich gegrüßt

von Trude.

Helene läßt schön grüßen.

[17]

[29. August 1938]

F. 29.8.38. Nachm. 5 1/2 Uhr.

Mein liebes Meisterchen!

[…] Peter, Jörgchen, Thea und Wolfgang waren unsere Gäste. Eine hohe Freude hat mir Trudchen bereitet durch den Band ihrer Gedichte, die Du mit gleicher Post erhältst. Trotz alles Schmerzes, der mich durchzittert, trotz all des Herben, durch das ich schreiten mußte, trotz aller Sorgen um meine Kinder, erhebt mich doch der Gedanke und hält mich aufrecht: »Deine Kinder sind alle ohne Ausnahme, ein jedes in seiner Art, bedeutsame Menschen, Edelgewächse.« Es lohnt sich für sie gearbeitet zu haben, für sie zu leben. Darum allen Gewalten zum Trotz sich erhalten, rufet die Arme der Götter herbei. Das Krumme wird gerade, und die Zeit, die allmächtige, klärt, was in der Gegenwart dunkel, verwirrt und quälend ist. […]

Liebe Hilde, Vati hat mich beauftragt, Dir noch zu schreiben, was er mitzuteilen vergaß: am 14. d. M. war er auf Fritzens Hochzeit. Wir waren beide zur Trauung und zum Essen eingeladen und haben uns in die »Arbeit« geteilt: ich fuhr zur Trauung in Schöneberg und er nach Bahnhof Börse zum Essen, d. h. es war ein »geselliges Beisammensein« mit Wein-Eis- und Kaffeetafel, wobei er den Damentoast halten mußte, was ich übrigens erst gestern erfuhr. – Was ich selbst Dir noch zu sagen habe, findest Du diesmal in dem Büchlein. Küsse das kleine Ungeheuer, nach dem ich oft »Heimweh« habe, und sei herzlich gegrüßt von

Trude.

[18]

[13. September 1938]

Finkenkrug, d. 13.9.1938.

Liebe Hilde,

Deinen Brief habe ich keinem gezeigt; er hat mich tief berührt, um nicht zu sagen, erschüttert. »… denn,« schreibst Du, »es gibt nichts, was ich mehr liebe als meinen Laden und die Arbeit.« Das habe ich nicht gewußt … Versteh’ mich nicht falsch: natürlich war ich nie so blind und grob, um nicht zu sehn und zu fühlen, wie sehr Du an Deiner Tätigkeit hingst; aber ich bildete mir ein, dies käme daher, weil Du Deinem Mann an »buchhändlerischen Fähigkeiten« überlegen wärst – würde es umgekehrt sein, würde er in allem sich als der Überlegene zeigen und das Geschäft auch ohne Deine Mitarbeit blühn und gedeihen können, so, glaubte ich, würde auch Deine »Liebe zum Laden« minder stark sein … (Es ist durchaus möglich, daß das, was ich hier sage, ein Körnchen Wahrheit enthält.) Eine gleichsam »absolute« Liebe zu einem Berufe, der mit Mann und Kind nichts zu tun hat, kann ich mir zwar denken; aber ich kann sie nicht mitempfinden. Dies ist kein Werturteil. Und wenn Du meinst, daß Du glücklicher wärst, wenn ich Du eine andere weniger »männliche« Einstellung hättest, so muß ich leider bekennen, daß ich viele, viele Jahre meines Lebens hindurch minder unglücklich gewesen wäre, wenn ich selbst solche »männliche« Einstellung gehabt und meinen Beruf nicht bloß als eine Art Notbehelf betrachtet hätte. Ich entsinne mich, daß mir Ella während meiner Dolmetscherzeit öfters Vorwürfe gemacht, weil ich trotz all meiner durchaus echten Lust und Liebe zur Sache sofort bereit gewesen wäre, die gesamte Post stehn und liegen zu lassen, wenn – – – Aber so geht’s, dem Einen fehlt der Wein und dem Andern der Becher, und wenn Du meinst, daß ich nicht »in den Ansätzen stecken geblieben« sei, so muß ich hinzufügen, daß ich für diese Vollendung einen sehr, sehr hohen Preis bezahlt habe. Heute freilich weiß ich, daß ich beim Kauf nicht betrogen worden bin, daß, was ich empfing, wert war, was ich entrichtet – ich wünsche Dir, daß Du eines Tages für Dich selbst zum gleichen Ergebnis kommst, und hoffe, Dein Kind wird dafür sorgen … Ich habe mich, offen gesagt, in den vergangenen Jahren manchmal förmlich »gegrault«, wenn es wieder für eine längere Zeit zu uns kommen sollte, nicht etwa irgendwelcher Mehrarbeit wegen, durchaus nicht, sondern weil mich sein Da-Sein so stark und schmerzend an das erinnerte |gemahnte|, was ich nicht besaß … Und trotzdem war ich oft auch ganz glücklich, »das kleine Ungeheuer« hier zu haben; zuweilen fehlt mir’s jetzt sehr, und ich zitiere tagtäglich seine Aussprüche, um mich wenigstens zu erinnern. Du sagst, das Kind sei keine »persönliche Leistung«; aber sind es denn immer bloß persönliche Leistungen, die uns beschenken und beglücken? Jemand hat erklärt, daß gerade die besten Gaben uns unverdient in den Schoß fielen; das mag stimmen oder nicht: jedenfalls war meine Kunst früher auch nur etwas, für das ich »nichts konnte«. Gewiß, ich habe inzwischen das Meinige zur Entwicklung der Pflanze beigetragen; aber das Samenkorn war doch erst einmal ohne mein Zutun da. –

Wußtest Du übrigens, daß die Gemahlin Kaiser Hadrians Sabine hieß? Ich habe das neulich erst dem Brockhaus entnommen.

Die beiden gewünschten Exemplare meines Buches will ich Dir gerne schicken, ersehe aber aus dem, was Du schreibst, nicht genau, ob die Widmung, um die Du bittest, in eins dieser beiden Exemplare kommen soll und ob Du sie jetzt für Dich oder später für Sabine haben willst. Wenn sie für Dich sein soll, so habe ich mir dies ausgedacht: Du suchst Dir von all meinen Gedichten dasjenige aus, das Dir am besten gefällt, und ich widme es Dir. Und wenn Du diese Widmung in dem Bändchen stehn haben möchtest, das ich Dir schon zugesandt habe, so kann ich sie vielleicht auf ein Stückchen gummiertes Papier schreiben, und Du klebst sie Dir ein. Du brauchst mir, wenn Dir nicht danach zumut ist, gar nicht zu antworten |schreiben|, Du kannst ja meine Fragen in einem Deiner Briefe an Peter beantworten, der mir dann durch Postkarte Mitteilung machen kann; jedenfalls gehen die beiden Bändchen erst dann an Dich ab, wenn ich Nachricht von Dir habe.

Vati würde gewiß auch gern anschreiben, doch mag ich ihm diesen Brief nicht zeigen und grüße Dich deshalb allein, aber herzlich.

Deine Schwester Trude.

P. S. Dem »Ungeheuer« haben Vati und ich neulich eine Karte ins Heim geschickt, die hoffentlich angekommen ist.

[19]

[18. September 1938]

Liebe Hilde, meine guten Wünsche für Dich waren ja schon in meinem letzten Briefe enthalten; ich könnte sie hier nur wiederholen. Mögest Du in Deinem Leben finden, daß, wie hoch auch immer der Preis war, den Du zahltest, das empfangene Gut die Summe wert gewesen ist. Und wenn Du’s nicht heute schon finden kannst, dann eines Tages … Der gewünschten Bücher wegen schrieb ich Dir ja ausführlich, und Du gibst vielleicht Peter Nachricht. Ich möchte doch nicht eine Widmung in ein Exemplar schreiben, das Du etwa weitergeben wolltest. Mit vielen schönen Grüßen für Dich und die »Hauptperson«

Trude.

[20]

[16. Oktober 1938]

d. 16.10.1938.

Liebe Hilde,

Nein, ich bin Dir nicht böse, weil Du mir jetzt erst geantwortet hast, und Du wiederum wirst mir nicht böse sein, wenn ich Dir umgehend schreibe. Heut ist Sonntag – und in der nächsten Zeit werde ich an den Wochentagen kaum Muße und Lust zum Briefbeantworten haben. Ich habe mich nämlich entschlossen, noch einmal kochen zu lernen; seit vergangenem Montag nehme ich Unterricht bei »meiner« Rezitatorin, die eine sehr gute, erfahrene Köchin ist und bisher ihre Kunst auch im Großen geübt, nämlich für die Kinder einer Schule gekocht hat. Sie wohnt, sehr bequem für mich, in Eichkamp, und wir haben als Tischgast z. Z. einen Strohwitwer, der essen muß, was wir kochen. Der Unterricht macht mir Freude und ihr, glaube ich, auch. (Helene weiß davon nichts und soll auch vorläufig nichts davon wissen; sie nimmt wohl an, daß ich irgendwo Schreibarbeiten mache.)

Das Kochen lerne ich, wie Du Dein Englisch und Spanisch, auch ohne zu wissen, ob ich meine Kenntnisse je recht verwerten werde. Aber abgesehen davon, daß Können nie schadet, ist das bloße Gefühl des Könnens schon eine rechte Herzstärkung. Als ich selbst Sprachen zu lernen begann, ahnte ich natürlich nicht, daß Sprachen eines Tages »Trumpf« sein würden; wenn ich mich aber jetzt in besserer seelischer Verfassung befinde als viele, denen es sonst nicht schlechter geht als mir, so verdanke ich das wohl zum Teil dem Bewußtsein: »Du magst kommen, wohin Du willst, Du wirst Dich bestimmt entweder gleich oder binnen kurzem verständigen können.« Natürlich ist es, wie gesagt, nicht bloß dieses Bewußtsein, das mich aufrecht erhält …

Du wirst, liebe Hilde, nach allem, was Du mir schriebst, vielleicht einige »aufmunternde« Worte von mir vermissen. Ich möchte sie gerne sagen; aber – es geht einfach nicht. Ich meine, daß, wer nicht in Deiner Lage ist, sich mit allem guten Willen nicht hineinversetzen kann und daß etwelche »Tröstungen« nur ausgesprochene »Billigkeiten« wären. Ich käme mir mit allem Mut-Zusprechen nur vor wie jemand, der einem Hungrigen, statt ihm Brot zu geben, auf die Schulter klopft: »Verzagen Sie nicht, guter Mann, in unserem Ort wohnen mildtätige Leute, da werden Sie schon irgendwo was bekommen.« Verzeih’ diese Offenheit – vielleicht, nein, hoffentlich wirst Du an Deinem Orte »schon irgendwo was bekommen«.

Soeben habe ich zwei Bücher (eins davon mit Widmung) »zwischendurch« eingepackt; das Päckchen soll am Dienstag an Dich abgehn. Es sind jetzt überall Besprechungen erschienen – vielfach »ganz groß« – deren Verfasser »Die Frau und die Tiere« meist noch vorbehaltloser bewundern und loben als gerade der Berichterstatter der »C. V.« Bei der Auffälligkeit unseres Namens hat sich der Inhalt ihrer Aufsätze nun auch schon in weitesten Kreisen herumgesprochen, und ich muß zuweilen an Byrons Bemerkung denken: ›I awoke one morning and found myself famous‹. (Ganz so schlimm ist’s bei mir allerdings noch nicht!) Aber selbst wenn ich zur »bedeutendsten jüdischen Lyrikerin seit der Else Lasker-Schüler« erklärt werde, so macht das Vati mehr Freude als mir; mich erregt es nicht sehr. Es gab eine Zeit, da mich fremdes Lob erfreuen und fördern konnte (nur forderte ich es damals selten heraus und hatt’ es drum meistens nicht); heut weiß ich auch ohne Kritiker, was ich als Dichterin wert bin, was ich kann und was ich nicht kann … Ich habe gar kein Verständnis für Nero, der sich in der Arena von allem Volk Beifall klatschen ließ; ich hätte an seiner Stelle meine Dichtungen als kostbare, nur Auserwählten zu spendende Gaben betrachtet …

Über Jean Giono habe ich öfter, von ihm noch nichts gelesen und selbst zuweilen gedacht, daß ich es einmal tun sollte. In der letzten Zeit aber wurde es mir immer irgendwie schwer, Romane zu lesen, auch wenn sie gut waren. Vielleicht weil man jetzt welche erlebt, mit denen die geschriebenen sich nicht vergleichen lassen …

Sabine müßten jetzt dauernd die Ohren klingen, da ich ihre Aussprüche bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit zitiere. Aber sie selbst wird ja über diese kindlichen Äußerungen jetzt längst hinaus sein. Und da sie nun älter und verständiger ist – was für schöne Geschichten könnte ich ihr erzählen, wenn sie hier wäre!

Lindenheims schrieben uns vorgestern; sie haben sich sehr mit Deiner Karte gefreut. Auch Vati läßt Dir für den Brief danken; besonders gern hat er gehört, daß Du zu den Verwandten von Frau B. Beziehungen angeknüpft hast; er hofft, das wird gut für euch sein.

Nun lebe wohl und nimm noch herzlichen Gruß

von

Trude.

[21]

[24. November 1938]

d. 24.11.38.

Liebe Hilde,

ich bin kein Freund von heute »ja« und morgen »nein«. Aber ich muß Dich bitten, die englische Sache vorläufig in der Schwebe zu lassen; es tut mir nur leid, daß Du vielleicht schon Mühe und Unkosten gehabt hast. Aber wir sind nicht Herren über den Lauf der Dinge. Wir haben gestern unser Haus verkauft, müssen voraussichtlich in 4 – 8 Wochen ausziehn; Helene will sich auf ihr Altenteil zurückziehn und da die Pläne, die Vati für den Fall, daß ich als Erzieherin nach England ginge, gemacht hatte, vorläufig auch ad acta gelegt werden müssen, so will ich zunächst noch bleiben. Denn ich will und kann Vati bei seinem Alter und in seiner Lage jetzt nicht allein lassen. Nicht wahr, Du verstehst das und bist mir nicht böse? …

Später erfährst Du mehr (wenn wir selbst erst mehr wissen).

Grüße, falls Du es inzwischen siehst, das liebe Kind und sei selbst herzlich gegrüßt von Vati und

Trude.

[22]

[23. Dezember 1938]

Liebe Hilde,

Hab’ Dank für Deinen Brief und für die Mühe, die Du Dir um meinetwillen gegeben hast. Ich habe in dieser Sache schon telephoniert, werde sie |aber| richtig erst betreiben können, wenn wir in Berlin wohnen; denn, ernstlich in Angriff genommen, verlangt sie allerhand Laufereien, die ihrerseits wieder Zeit brauchen – und Zeit habe ich jetzt gar keine. Wir müssen zwischen dem 15. und 31. Januar hier heraus und müssen und wollen uns sehr »verkleinern«, und Du kannst Dir vorstellen – oder nein, Du kannst Dir nicht vorstellen, was sich seit 1923 oder schon seit 1894 in unserem Haushalte alles angesammelt hat und nun ausgepackt, gesammelt, gesichtet und zum größten Teil fortgegeben werden muß (wofern sich jemand findet, der es haben will). Ich habe gleich nach dem Hausverkauf mit der Arbeit begonnen und verzweifle, obwohl ich zumeist von morgens bis abends »krame«, zuweilen doch daran, bis Mitte Januar »durchzukommen« … Aber ich schreibe ja nicht, um Dir etwas »vorzuklönen und vorzustöhnen« – Du selbst hast es schwer genug – sondern um Dir die guten Wünsche, die Du zu meinem Geburtstage aussprachst, zu dem Deinigen wiederzugeben. Alles, alles Gute Dir und dem »Püppi«, das während der Weihnachtstage gewiß bei Dir ist! Hier liegt dicker Schnee; ich muß daran denken, wie ich im vorigen Winter das Kind auf dem Schlitten gefahren habe … Ich entsinne mich auch noch, daß Vati ihr einmal im »Brehm« die Riesenschmetterlinge zeigte und sagte, die gäbe es in Amerika, in Brasilien, und sie erklärte, daß sie hinfahren und welche holen wollte, wenn sie groß sei … »Wenn Püppi droß bist.« Nun ist sie groß … – Ich habe Dir noch nicht für den Giono gedankt; das werde ich erst richtig tun, wenn ich zum Lesen komme, was hoffentlich nach dem Umzuge der Fall sein wird.

Nun nur noch viele herzliche Grüße von

Trude.

[23]

[15. Februar 1939]

d. 15.II.39.

Liebe Hilde,

Vatis Brief wartet nun schon seit ein paar Tagen auf mein Anschreiben; abends war ich immer todmüde, und tagsüber hatte ich keine Zeit – ich hatte auch heute nachmittag keine Zeit; da nahm ich sie mir eben. Denn der Ende November begonnene Umzug hat mit der Übersiedlung in die Speyererstraße für mich noch kein Ende gefunden; es muß noch so viel ausgeräumt, umgepackt, weggeschafft werden! Ich weiß nicht, ob Dir schon bekannt ist, daß wir in den in Aussicht genommenen 3 Zimmern (2 Vorderzimmer wollten wir als Leerzimmer vermieten) unsere Siebensachen trotz alles »Abstoßens« nicht unterbringen konnten; so mußten wir alle 5 Zimmer einrichten und haben nur das hinterste an eine Dame vermietet, die nichts dafür zahlt, mir aber am Vormittag Haushaltshilfe leistet. Sie ist freundlich und gutwillig; aber ein völliger Neuling in jeder körperlichen Arbeit (wozu bei ihr z. B. auch das Kaffeemahlen rechnet), und ihr unerschöpflicher Redefluß, sowie ihre Unfähigkeit, allein zu sein und die Neigung, alle Viertelstunden mit irgendeiner neuen Nachricht, einer neuen Bitte, irgendeinem neuen Quatsch zu mir zu kommen, dies alles macht den Umgang mit ihr für mich viel anstrengender als jede Hausarbeit. Ich würde sie wegschicken und versuchen, mich trotz aller Überbürdung ohne sie zu behelfen; aber da sie 52 Jahre alt, heim- und arbeitslos ist, tut sie mir leid, und ich will versuchen, mich gegen ihre Redewut mit einem freundlichen, aber hartnäckigen Schweigen zu wappnen. Das habe ich heute bereits getan und bin nun tatsächlich nicht so zerschlagen und müde wie für gewöhnlich …

Was mir übrigens Freude macht und wofür ich gern mehr Zeit übrig haben würde, ist das Kochen. Ob ich, ohne es zu wissen, dafür doch Begabung mitbringe oder ob es nur das Verdienst meiner ausgezeichneten Lehrerin ist, genug, mir ist bisher nicht nur nichts mißlungen, sondern alles ausnehmend gut geraten; besonders haben einige Nachspeisen eigener Erfindung Vatis Beifall geerntet. Vielleicht ist für eine phantasiebegabte Frau das Kochen auch eine Art Dichten …

Ich sehe eben, daß diese Zeilen sehr prosaisch, sehr »hausbacken« sind; aber so etwas »muß auch mal sein«. Gern hätte ich mehr von Dir gesprochen, auch Deinen letzten lieben Brief – für den ich Dir noch danken muß – beantwortet; aber ich habe ihn nicht zur Hand, da ich meine braungestrichene Stärkekiste, in der er wohlverwahrt liegt, noch nicht ausgepackt habe. Aber über die »Englandsache« will ich mit Dir reden.

So oft ich daran denke, tut es mir leid, daß Du Dir bei Deiner Arbeitsanhäufung um meinetwillen noch Mühe und Kosten gemacht hast. Es war ja so geplant: ich sollte zusehn, nach England zu kommen und dann versuchen, Vati auf irgendeine Art »nachzuholen«; er wollte, wenn ich selbst fortginge, die Wohnung aufgeben, die Sachen teils verkaufen, teils auf einen Speicher geben und in eine Pension, ein Heim ziehn. Dies aber, was er für sich geplant hat, ist jetzt nicht mehr ausführbar – teils aus rein äußeren, teils aus inneren Gründen – und so kommt auch für meine nächste Zukunft nur eine Lösung |Gestaltung| in Frage, bei der die seine mitinbegriffen ist. Wir sind gerade dabei, etwas zu unternehmen, doch kann darüber noch nicht gesprochen werden …

Vielleicht hast Du mir übrigens die Adressen doch nicht umsonst geschickt. – Ich habe immer das Gefühl, mich wegen unnötiger Inanspruchnahme, obwohl ich doch gar nichts »dafür kann«, bei Dir entschuldigen zu müssen; aber Du bist mir deswegen nicht böse, nicht wahr?

Das kleine Bienelein habe ich bei dem Umzuge recht vermißt; sie wäre natürlich überall im Wege gewesen; aber ich stelle mir oft vor, mit welcher Freude sie an all diesen hochinteressanten Dingen teilgenommen hätte – »Opa helfen, Männer sehn«. Die Packer, die Transportarbeiter, das Sammeln, Einpacken und Wegtragen aller Sachen, das Leermachen des ganzen Hauses, bei allem wäre sie sicher mit größtem Eifer dabeigewesen. Lugano ist sicher subjek objektiv schöner als ein Umzug – aber subjektiv – für ein Kind?

Vielleicht werde ich in nächster Zeit doch wenigstens nach dem Abendbrot noch ein bißchen zum Lesen kommen; dann will ich als erstes Buch den Giono vornehmen, den der Packer glücklicherweise so in der Bibliothek untergebracht hat, daß ich ihn nicht, wie manches andere, erst suchen muß.

Der Junge war heute vormittag hier und erzählte Vati (ich war nicht da und kam erst, als er ging), daß er Nachricht von Dir hätte. – Nun ist es Zeit zum Abendbrottischdecken. Lebe recht wohl, grüße das kleine Ungeheuer – auch Peter, wenn er noch dort ist – und berichte bald etwas Erfreuliches von Euren Zukunftsaussichten.

Es denkt sehr viel und mit dem Herzen an Dich

Deine Schwester Trude.

[24]

[17. März 1939]

Mein kleines, liebes Ungeheuer!

Wenn jemand Dich »Ungeheuer« nennt, so weißt Du gewiß schon, wer das ist, der Dir schreibt. Ja, es ist Tante Trude, und sie hat oft Sehnsucht nach ihrem Püppi, das jetzt wohl schon gar kein »Püppi« mehr, sondern fast ein Schulmädel ist. Jetzt ist kein Kind hier, dem ich abends beim Ausziehn und Zubettbringen meine schönen Geschichten erzählen und Gedichte und Verschen aufsagen und Lieder vorsingen kann. Gewiß hast Du schon alle vergessen oder weißt Du noch welche? »Blau, ja, blau ist alle meine Farbe« und »Tanze, Püppi, tanze, ich schenk’ Dir auch ein Huhn« und »Hans Hinnerk wohnt in der Lammer-Lammerstraß’, // Kann machen, was er will«? Aber das ist nun lange her … Hier im Hause wohnen Leute, die haben einen Hund, der sieht beinah so aus wie Flora, bloß, daß er nicht ganz weiß ist, sondern im Fell ein paar schwarze Flecken hat. Wir hätten Flora gern hierher mitgenommen; aber das ging nicht; denn wenn sie hier quer über den Damm läuft, wie sie’s gewohnt ist, dann kommt gleich ein Auto und überfährt sie, und das wollten wir doch nicht und darum ist sie in Finkenkrug geblieben. Und der Jackie auch; denn hier hat er ja keinen Garten, in dem er herumfliegen und -laufen kann. Aber Du kannst jetzt in einem schönen Garten herumlaufen, nicht wahr? Viele herzliche Grüße an Dich und auch – unbekannterweise – an die, die so freundlich für Dich sorgen,

von

Tante Trude.

[25]

[26. März 1939]

Berlin, d. 26.III.1939

Liebe Hilde,

Vati war gestern in Stahnsdorf, ich wollte heute fahren; aber am Morgen kam vom Himmel solch häßlicher Schneeregen, daß Vati mich nicht fortlassen wollte. Es sei, sagte ich er, da draußen noch ganz winterlich, alles verschneit, und die Friedhofsgärtnereien hätten noch gar keine blühenden Töpfe. Gestern schien wenigstens die Sonne, und so hoffe ich, an einem Schönwettertag im Laufe der Woche zu fahren. –

Um hier gleich mit dem Schluß Deines Briefes vom 15.3. den Anfang zu machen:

Ich kann es verstehn, daß Du gleichsam nach einer neuen Aufgabe hungerst, ich weiß auch, wie sehr die eigene Leistung erfreut; aber ich sehe heute (was ich nicht immer sah), daß die Zeit der Vorbereitung auf diese Aufgabe, diese Leistung, die noch völlig im Dunkel stecken, ebenso wichtig und wertvoll ist. Der Keim kann nur sichtbar werden, wenn er zunächst eine Weile unsichtbar, unter der Erde wächst. Das hat mir, als ich selbst jünger war, keiner gesagt; aber vielleicht ist es gut, daß ich es Dir heute sage. Vielleicht ist für Dich jetzt die Zeit der Vorbereitung gekommen, auch wenn Du selbst kaum darum weißt. Denn wenn ich jetzt Deine Briefe lese, habe ich manchmal ein Gefühl, das ich nie hatte, wenn Du früher hier mit mir sprachst; es scheint mir, daß Du eine Wanderung angetreten hast, die ich den »Weg nach Innen« nennen möchte. (Gibt es nicht ein Buch von Hermann Hesse mit dem gleichen oder einem ähnlichen Titel?) »Bereit sein ist alles.« Ich halte das Bereitsein zur Leistung für mindestens ebenso wichtig wie die Leistung selbst und die Leistung ihrerseits für viel wichtiger als den Erfolg, den sie zeitigt. Ich denke dabei nicht bloß an den Erfolg im schlechten, sondern auch an den Erfolg im guten Sinne, und es mag Dich am Ende merkwürdig berühren, wenn ich gestehe: die Tatsache, daß mein Schaffen anderen Menschen etwas gibt, macht mir, so erfreulich sie ist, doch nicht solche Freude wie das Schaffen selbst. Es geht mir mit meinen kleinen Werken wie einer Mutter mit ihrem neugeborenen Kind; natürlich freut sie sich über die Begeisterung des Vaters, der Großeltern, die Glückwünsche der Verwandten, jedoch die Hauptsache bleibt, die größte Freude ist ihr, daß sie es zur Welt gebracht hat. So sind mir meine liebsten Dichtungen die beiden letzten (und besten) die, weil noch unveröffentlicht, noch gar keinen Widerhall fanden. Ich spreche davon, weil ich hier eine Bitte an Dich habe: ich möchte Dir |je eine Abschrift von| diesen beiden Werken (Verszyklus und Drama) übersenden, Du sollst sie gewissermaßen ins »Depot«, in Verwahrung nehmen, da ich nicht weiß, was das Schicksal mit mir selbst vorhat, wohin es mich verschlagen wird. Selbstverständlich sollst Du sie auch lesen, wenn Du magst. Gib mir bitte Bescheid in Deinem nächsten Schreiben, ob Dir die Zusendung recht ist. –

Gestern nachmittag war ich zu Besuch bei dem Dichter Jakob Picard, und er übergab mir einen Aufsatz, den Frau Bertha Badt-Strauß für den »Morgen« über mich geschrieben und ihm für mich zugeschickt hatte. Die Korrekturbogen waren schon fertig, als der »Morgen« sein Erscheinen einstellen mußte, sodaß das Referat zwar schon gedruckt, aber nicht veröffentlicht ist. Ich habe der Verfasserin schon telephonisch gedankt, und sie wünschte, mich kennen zu lernen. Wenn das geschieht, will ich zusehn, ob ich von ihr noch einen Korrekturbogen für Dich bekommen kann; anderenfalls schreibe ich Dir, wenn Du den Aufsatz lesen willst, ihn gelegentlich einmal ab. Vati meint, je später die Rezensionen kämen, desto besser wären sie.

Nun will ich aber aufhören, bloß von mir selbst zu reden, und zusehn, ob ich alle Themen Deines Briefes berührt habe.

Also, die Schwierigkeiten mit der Hausgenossin haben sich für mich nicht gegeben; bloß bin ich jetzt dahingelangt (vor allem, weil es sich ja hoffentlich um keinen Dauerzustand handelt), die Dinge und den Menschen von der humoristischen Seite zu nehmen. »Lotte, Du alte, dicke, sentimentale Wartheflunder,« (sie stammt aus Landsberg) redete ein Neffe sie brieflich an, welche Anrede sie vortrefflich kennzeichnet. Daß sie heute in Tränen zerfließt, weil gute Freunde von ihr nach Kenya gehen, das ist bei ihrer Art schon verständlich; sie tut mir leid; aber die Kundgabe ihres Entschlusses, an gebrochenem Herzen zu sterben, wirkte eher auf meine Lachmuskeln als auf mein Gemüt. Ein 52jähriger Backfisch …

Daß Du selbst daran schuld bist, wenn Du mit Margot nicht »zu Rande kommst«, das glaube ich kaum; denn Deine Zeilen über ihren Aufenthalt in Zürich bestätigten nur meine eigene Erfahrung. Ich hätte Dir über ihre Finkenkruger Besuche in den letzten Jahren sehr Ähnliches sagen können. Aber warum das alles so war, könnte ich auch ohne eingehendere Untersuchung nicht erklären; zu solcher Untersuchung jedoch habe ich zur Zeit wenig Lust.

Um von Erfreulicherem zu sprechen: Was mag jetzt das kleine Ungeheuer treiben? Vati und ich haben ihr einen längeren Brief nach Montagnola geschrieben. Wer weiß, ob wann und ob ich sie je wiedersehn werde; aber es macht mir schon Freude zu denken, daß sie irgendwo in einer schönen Landschaft unter |der Obhut| liebevoller Menschen lebt und spielt und fröhlich ist …

Vati läßt Dir für den gestern erhaltenen Brief vorerst durch mich herzlich danken. Er ist heute vormittag – schon zum zweiten Male – von Frau Dr. Horwitz gezeichnet worden; ihr mangeln jetzt oft geeignete Modelle, und sie bat ihn durch mich, ihr zu sitzen.

Nun will ich Schluß machen; ich habe an diesem Briefe mit Unterbrechungen vor- und nachmittags geschrieben, doch ich schreibe Dir gern. Und Mutti würde gewiß nicht böse darüber sein, daß ich, anstatt nach Stahnsdorf zu fahren, ihrer jüngsten und liebsten Tochter einen Gruß geschickt habe.

Ich bin

Deine Schwester Trude.

[26]

[30. März 1939]

Berlin, W. 30. Speyererstr. 10
d. 30. März 39.

Mein liebes, gutes Püppchen!