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Gabriele Kögl

Mutterseele

Roman

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1

Meine angeheiratete Nichte war da, aus Amerika. Fesch schaut sie aus, die Waltraud, mit ihren blonden Haaren, und schlank ist sie geworden, weil er es so möchte, ihr Amerikaner, den sie geheiratet hat, drüben in Florida. So einen Mann hätte man kriegen müssen, und oft denke ich an den meinigen, wie lange er schon unter der Erde liegt. Wenigstens ein paar Tausender Witwenpension hat er mir zurückgelassen, wenn er mich schon nicht auf Händen getragen hat, wie der Amerikaner die Waltraud auf den Händen tragen wird, durch ein ganzes amerikanisches Eheleben. Dabei hat es für die Waltraud nicht gut ausgesehen, damals, als sie nach Amerika gegangen ist, ohne eine abgeschlossene Schulbildung und nur mit der Au-pair-Adresse im Gepäck. Aber es heißt nicht umsonst: Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, denn wo hätte die Waltraud mit ihrem bißchen Englisch das alles erreichen können, was sie heute hat. Natürlich hat sie auch Glück gehabt, daß sie zu einer richtigen Familie gekommen ist, die Einfluß hat und Geld, sonst wäre die Waltraud nicht so schnell aufs Boot gekommen, auf diese Jacht, mit der sie die Schönen und Reichen hinauf- und hinuntergegondelt hat, zwischen Miami und New York, einen ganzen Sommer lang. Auf dem Boot hat sie dann auch ihren Mann kennengelernt, den James, der dort gearbeitet hat, als Schiffsdesigner. Was er genau gemacht hat, weiß ich nicht, ich habe auch nicht nachgefragt, weil ich davon sowieso nichts verstehe. Ich will nicht noch blöder dastehen, als ich es ohnehin schon tu, weil ich nie hinausgekommen bin in die große Welt und weil ich alles, was ich weiß, nur aus dem Fernsehen kenne.

Aber die Waltraud hat lauter wichtige Leute kennengelernt, und heute ist sie eine gemachte Frau. Sie hat erzählt, daß sie jetzt selber Designerin sei und die Häuser der Reichen einrichte, mit ihrem europäischen Geschmack und mit ihrem Gefühl für Materialien. Das Schiff sei wichtig gewesen, um die richtigen Leute kennenzulernen, aber auf Dauer wäre das kein Leben gewesen, heute hier, morgen dort, man habe doch Wurzeln und möchte wissen, wohin man gehört.

Ein großes Appartement sollen sie haben, in Palm Beach, wo die Schönen und Reichen daheim sind. Sie hat Fotos mitgehabt, aber man sieht nicht genau, wie groß und schön das alles wirklich ist, auf den kleinen Bildern. Ihre Mutter hat erzählt, als sie die Waltraud besucht hat, in Amerika, habe sie in einem Gästezimmer gewohnt, mit einem eigenen Bad. Und überallhin sei man mit dem Auto gefahren, bis vor die Tür, und das sei praktisch gewesen, weil es überall genügend Parkplätze gegeben habe. Einmal wollte die Mutter von der Waltraud spazierengehen in dem schönen Park, den man von der Wohnung aus gesehen hat, aber die Waltraud hat geschimpft, daß spazierengehen viel zu gefährlich sei. Wenn sie unbedingt Bewegung machen möchte, solle sie ins Gym gehen, das direkt im Haus sei und eine Klimaanlage habe. Aber die Mutter hat nicht auf die Waltraud gehört und ist lieber schwimmen gegangen, in den Pool, der zur Wohnanlage dazugehört, aber da hat die Waltraud einen ordentlichen Anschiß gekriegt von der Hausverwaltung, weil der Pool nur betreten werden dürfe, wenn ein Lebensretter dabei sei. Der Pool sei aber nur ein Meter fünfzig tief, hat die Mutter von der Waltraud erzählt, und daß sie genug habe von Amerika und nicht mehr hinüberfliege, wenn sie nicht einmal spazierengehen und schwimmen darf, wann und wo sie möchte.

Amerika ist ein freies Land, hat die Mutter von der Waltraud gesagt, und sie ist auch frei, und jetzt nimmt sie sich die Freiheit, daß sie nicht wieder hinüberfliegt in das Land mit den unbegrenzten Möglichkeiten.

Die Waltraud geht jetzt bei den nobelsten Leuten ein und aus. Diese Leute haben echte europäische Möbel in ihren amerikanischen Villen, und die Waltraud ist oft mit ihnen am großen, alten Holztisch gesessen und hat Lachs und Kaviar mit ihnen gegessen.

Ich mag das Zeug ja nicht. Da beutelt es mich gleich vor Grausen, wenn ich daran denke. Ich kann mich noch gut erinnern, als meine Tochter uns einmal einen Lachs aus Wien mitgebracht hat. Zum Schluß hat ihn die Katz gefressen, weil uns nichts gewesen ist darum. Aber die noblen Herrschaften haben einen anderen Geschmack als wir einfachen Leute.

Hier könne sie nimmer leben, hat die Waltraud gesagt, und sie hat gestöhnt unter der Hitze. Drüben in Amerika hätten sie überall Klimaanlagen, da könne es draußen noch so heiß sein, dort muß man nirgends schwitzen. Und freundlich seien die Leute dort, ganz anders als da, jeder rede gleich ein paar Worte, wenn man sich im Haus trifft, und in den Restaurants sind die Kellner nicht solche Muffel wie bei uns in den Gasthäusern.

Die Waltraud hat sich wirklich was getraut, wenn man bedenkt, daß sie ganz allein so weit weggegangen ist, und dann auch noch die fremde Sprache. Meine Tochter ist auch weggegangen, und einer von meinen beiden Söhnen hat es auch getan, und wir haben gesehen, wohin es geführt hat, und recht ist es mir nie gewesen, aber meine Tochter ist zum Glück nur bis nach Wien gekommen, da hätte man auch einmal nachfahren können und schauen, wie es ihr geht. Aber das war Gott sei Dank nicht notwendig, sie hat immer gesagt, daß es ihr gutgehe, wenn ich sie gefragt habe. Aber gleich bis nach Amerika, das ist schon zu bewundern. Ihr Vater ist einmal nachgeflogen und hat ihr Schilcherwein und Kernöl gebracht, damit sie die Heimat nicht ganz vergißt, und dann ist das Kernöl aufgegangen im Flieger, und die grünschwarze Soße ist durch das Flugzeug geronnen.

Ihr fehle überhaupt nichts drüben, hat die Waltraud gesagt, und sie wäre auch jetzt nicht auf Besuch gekommen, wenn die Eltern ihr und dem James nicht den Flug gezahlt hätten. Weil sie hoffen, daß die Waltraud vielleicht zurückkommt, wenn sie die Heimat wiedersieht und alle Verwandten und Bekannten. Die Eltern waren auch dagegen, daß sie den Amerikaner heiratet, und als sie geschrieben hat, daß er ihr einen Brillantring geschenkt habe, ist die Mutter böse geworden und hat zurückgeschrieben, daß sie von ihrem Vater auch einen Ring haben könne, deshalb müsse sie nicht gleich einen Wildfremden heiraten, außerdem, wie lange kenne sie den Ami schon, vielleicht sei er von irgendeiner Sekte oder so und wolle die Waltraud nur ausnehmen und Gehirnwäsche machen bei ihr. Da ist die Waltraud zornig geworden und hat zurückgeschrieben, wie er sie denn ausnehmen solle, da sie doch nichts mitbekommen habe von daheim, und das, was sie verdiene, brauche sie zum Leben.

Die Mutter von der Waltraud hat die Tochter nie weglassen wollen. Das wäre auch nicht notwendig gewesen, ihre Eltern haben gute Beziehungen zur Post oder zur Gemeinde gehabt, wo man die Waltraud hätte unterbringen können. Und mit den Burschen ist das so eine Sache gewesen, als sie noch hier gelebt hat. Ein paarmal ist sie ausgegangen, aber ihre Mutter hätte nie zugelassen, daß einer bei ihnen übernachten würde. Sie hat gleich jedem, der ins Haus gekommen ist, gezeigt, daß er ihr nicht recht ist, weil ihre Tochter etwas Besonderes sei, und etwas die Burschen wirklich wollen, weiß man sowieso.

Beim Sohn hat sie das nicht gestört, im Gegenteil, dem hat sie immer fest zugeredet, daß er viele Mädels haben und es mit keinem ernst meinen soll, aber bei der Tochter müsse man aufpassen, da sei es anders. Die Waltraud hätte zu Hause alles haben können, die Mutter hätte ihr sogar die Garage zu einer kleinen Wohnung umgebaut, wenn sie geblieben wäre, aber sie hat unbedingt wegwollen, als ob es woanders besser wäre als daheim.

Natürlich hat die Mutter von der Waltraud nicht wissen können, daß ihre Tochter so einen netten Mann wie den James kennenlernen würde, der nicht trinkt und der nicht raucht und der seiner Waltraud sogar beim Einkaufen hilft. Nur daß er kein Deutsch kann, paßt der Mutter nicht, weil die Waltraud immer alles übersetzen muß, wenn man sich mit ihm unterhalten will, aber sonst scheint er ein netter Bursch zu sein.

Natürlich, so fesch und gescheit wie der Bruder von der Waltraud ist er nicht, aber das braucht man in Amerika auch nicht, wenn man tüchtig ist.

Die Mutter von der Waltraud hätte nichts dagegen gehabt, daß sie einmal gekommen wäre mit dem James, bevor sie ihn geheiratet hat, da hätte man ihn vorher noch anschauen und ihr vielleicht noch ausreden können, aber daß sie ihre Eltern gleich vor vollendete Tatsachen gestellt hat, wird ihr die Mutter nie verzeihen.

Eigentlich hätte es sich gehört, daß der James ein paar Worte Deutsch lernt, wenn er seine Schwiegereltern besucht, denn die Waltraud redet auch Englisch mit seinen Eltern, und ihre Mutter wird nicht auf ihre alten Tage anfangen Englisch zu lernen, nur weil der Herr Schwiegersohn glaubt, daß sich die ganze Welt nach ihm richten muß.

Auch wenn die Mutter von der Waltraud noch ein paar Brocken Englisch kann, die sie beim Volkshochschulkurs gelernt hat, vor ein paar Jahren, bevor sie mit der Tischlerinnung nach England gefahren ist. Im eigenen Haus redet sie keine fremde Sprache, da kann kommen, wer will.

Ob die Waltraud uns noch einmal besuchen wird, bei den vielen Einladungen, die sie hat? Bei allen Verwandten und Bekannten soll sie vorbeischauen, da wird sie kaum über die Runden kommen in den zwei Wochen, die sie da ist. Sie wäre gern länger geblieben, aber drüben hat man nicht soviel Urlaub wie hier. Drüben ist das Leben hart, und der Job ist gleich weg, wenn man länger ausbleibt.

Dem James gefällt es hier, weil es auch im Freien kühl ist, und mit dem Vater von der Waltraud geht er jeden Tag in den Wald, denn ihr Vater ist Aufsichtsjäger und inspiziert sein Revier jeden Tag, und nachher geht es in ein ordentliches Gasthaus, wo alle Freunde vom Vater zusammenkommen und sich den Schwiegersohn anschauen. Und dort lachen sie ihn aus, weil er nicht trinkt und nicht raucht.

So ein Sturschädel, den würden wir schon umgewöhnen, wenn er länger bei uns wäre, hat der Vater von der Waltraud gesagt. Wir haben ja auch was zu bieten. Die haben drüben zwar Autobahnen, die dreimal so breit sind wie bei uns, aber die brauchen sie auch, wenn sie nur fahren dürfen wie die Weinbergschnecken.

Der James hat sich sehr gefreut auf das Autofahren bei uns, und er hat geglaubt, hier wäre auch die deutsche Autobahn. Daß man so schnell fahren darf, wie man will, kann sich der James gar nicht vorstellen. Ich habe ihm gesagt, dafür brauche man keine Autobahn, das würden die jungen Burschen auf der Landstraße auch tun und sich zu Tode fahren dabei.

Sehr sauber sollen sie es haben drüben, hat die Waltraud erzählt, dort bleibe kein Wassertropfen im Abwaschbecken, und bei ihrer Mutter habe sie zuerst geputzt, bevor sie was gegessen habe.

Dabei ist ihre Mutter eine reinliche Frau. Aber der James will es noch sauberer, als es bei der Mutter ist, und die Hauptmahlzeit möchte er am Abend und nicht zu Mittag, wie es bei uns üblich ist.

Ganz anders ist die Waltraud drüben geworden, in der Fremde. Sie hat sogar ein eigenes Auto und fährt herum in Miami und Palm Beach, als wäre sie aufgewachsen mit den Wirbelstürmen und mit den großen Autos. Dabei war sie immer ein verschrecktes Kind, das dauernd hinter dem Rockzipfel der Mutter hergelaufen und ständig krank gewesen ist.

2

Die Waltraud und der James werden herziehen zu uns. Mitten im Sommer sollen sie kommen. Dabei ist es ihnen so gutgegangen in Florida.

Aber seit die Waltraud das Kind hat, kommt ihnen das Leben hier sicherer vor als drüben, und jetzt, mit den Anschlägen in Amerika. Gewalt und Drogen und das alles. Wenn man Kinder bekommt, fängt man anders zu denken an. Außerdem können sie hier im alten Haus ihrer Eltern wohnen, und drüben müssen sie Miete zahlen. So billig wird das Leben nicht gewesen sein. Solange man zu zweit ist, geht alles, aber jetzt muß der James drei Mäuler stopfen, die Waldraud kann nicht mehr arbeiten gehen, und allzuviel wird es nicht sein, was der James verdient, seit er nicht mehr auf dem Schiff arbeitet. Er ist jetzt Autoverkäufer. Ich weiß nicht einmal, ob er überhaupt eine Ausbildung hat und wie das in Amerika ist, ob man dort überhaupt eine Ausbildung braucht für einen Beruf. Ich glaube, das ist nicht so wie bei uns, und ohne Ausbildung wird er es nicht so dick haben, sie werden sich das schon ausgerechnet haben, wo es sich besser ausgeht mit dem Leben, dort oder da. Außerdem darf man nicht vergessen, daß die Waltraud hier auch noch ihre Eltern hat zum Kinderschauen, sie kann wieder arbeiten gehen, zur Post vielleicht, das hätte ihr Vater immer gern gehabt, oder zu ihrem Bruder ins Büro, er kann sie vielleicht brauchen, so ungeschickt wird sie sich nicht anstellen, nachdem sie in Amerika war, obwohl man dort drüben gleich einmal was ist. Ich glaube nicht, daß man dort soviel können muß wie bei uns, und schlampiger ist auch alles, die Häuser sind reine Pappendeckelgebäude, das sieht man ja, wenn einmal ein Sturm kommt und alles wegbläst wie Zeitungspapier. Ich verstehe nicht, warum sie nicht einmal ordentlich bauen, dann wäre Ruhe. Aber nein, sie stellen wieder ihre Pappendeckel auf, bis zum nächsten Wirbelwind. Bei uns geht auch jedes Jahr einmal ein Sturm, und wenn wir so bauen würden, dann würden wir auch schön aus den Trümmern schauen, und die Handarbeit dort soll man nicht anschauen können, denn wenn man genau hinschaut, sieht man, daß alles nur Pfusch ist, hat der Bruder von der Waltraud erzählt. Er war drüben und hat sich das angeschaut. Kultur hätten sie keine, hat er gesagt, beim Wohnen nicht und beim Essen sowieso nicht. Die Wohnung, die der James und die Waltraud haben, soll ganz schön sein, aber genau hinschauen dürfe man nirgends, hat der Bruder von der Waltraud gesagt. Alles sei so schlampig gemacht, das würde bei uns nicht einmal auf einem öffentlichen Bau durchgehen, und das will was heißen. Die Fenster, sagt der Bruder, und da muß er sich auskennen als Tischlermeister, seien alle aus Plastik, und drinnen, hauchdünne Scheiben, so daß man sie mit der bloßen Hand eindrücken kann, und dick mit Silikon in das Plastik hineingeschmiert seien sie, kein Wunder, daß die Kriminalität so hoch ist, wenn man überall mir nichts, dir nichts hineinkann.

Wenn ich daran denke, wie ich aufpasse, wenn ich allein bin. Ich sperre immer zu und schaue zuerst beim Fenster hinaus, ob ich den kenne, der da läutet. Jetzt kommen dauernd Neger vorbei, man könnte glauben, man sei in Amerika, dort gibt es auch so viele, und die wollen Bilder verkaufen, Heiligenbilder, schön, das schon, aber ich brauche sie nicht, ich brauche sowieso nichts mehr, die paar Jahre, die ich noch habe, nicht einmal ein Heiligenbild. Ich habe noch nie ein Bild genommen, aber die Schwiegertochter gibt ihnen immer Geld, wenn sie daheim ist, nur ich schicke die Neger immer gleich fort, bevor die Schwiegertochter einen von ihnen sieht, weil ich nicht will, daß sie das Geld zum Fenster hinauswirft, denn wer weiß, was die Neger damit tun. Auf der anderen Seite haben wir dauernd fremde Kinder im Haus, weil die Schwiegertochter Nachhilfeunterricht gibt, damit sie etwas dazuverdient zu ihrem Lehrerinnengehalt, und dann schiebt sie den Negern das Geld vorne und hinten hinein, und das mit der Nachhilfe ist mir auch nicht recht, weil sie das nicht notwendig hat, daß sie dazuverdient. Sie soll lieber ordentlich bügeln und putzen. Für diese Arbeit möchte sie am liebsten jemanden ins Haus holen.

Sie sagt zwar immer, sie mache das nicht wegen des Geldes, ihr ist es wichtig, daß die Kinder eine Chance haben, einen ordentlichen Beruf zu erlernen, wenn sie mit der Schule fertig sind. Aber sollen sie doch selber schauen, wie sie weiterkommen. Um meine Kinder hat sich auch niemand gekümmert und trotzdem ist was geworden aus ihnen. Die Schwiegertochter hat mit den eigenen Kindern genug zu tun, sie muß sich nicht auch noch um die fremden kümmern. Und um die Neger. Auf allen Kirchtagen muß sie tanzen, die Schwiegertochter, anstatt daß sie einmal daheim bliebe und sich um den Haushalt kümmern würde. Ich sperre die Tür immer zu, wenn die Neger kommen, und den Hund habe ich auch im Haus herinnen, weil man nie weiß, was passiert, wenn sie kommen, die Schwarzen.

Ich habe zwar noch nie gehört, daß etwas weggekommen ist, aber es ist trotzdem nicht mehr so wie früher, daß man alles offen stehenlassen kann. Man erfährt auch nicht mehr, was los ist in der Umgebung. Früher sind die Leute vorbeigekommen auf ein Glas Most, sie haben sich in die Stube gesetzt und erzählt, was sich tut in der Welt. Heute telefonieren sie nur mehr, aber sie kommen nicht mehr her, und ich telefoniere nicht gern, und die Jungen erzählen mir auch nicht immer, was los ist, und wenn man nicht ständig fernschaut, weiß man überhaupt nicht mehr, was um einen herum passiert. Nicht, daß ich von Einbrüchen gehört hätte, aber die Leute werden schon gut aufpassen, bei uns drückt man eine Scheibe nicht so leicht ein wie in Amerika, und wenn einer mit dem Hammer eine Scheibe zerschlägt, dann hört das schon jemand im Dorf und kommt nachschauen, obwohl ich nicht nachschauen ginge, ich hätte zuviel Angst am Abend, oder in der Nacht, ich würde vielleicht einen Nachbarn anrufen und ihn bitten, daß er nachschauen gehen soll, mit einem Gewehr. Denn nebenan, da geht es zu, ich hätte nicht gedacht, daß so etwas einmal herkommen würde zu uns. Sie haben auf dem Nachbargrundstück Sozialwohnungen gebaut. Den Stall, wo früher die Schweine waren und das Vieh gestanden ist, haben sie umgebaut zu Wohnungen, und dort leben jetzt irgendwelche Leute, die sich kein Haus und keinen Hof leisten können, die meisten sind arbeitslos. Ob sie keine Arbeit finden oder keine Arbeit finden wollen, wer weiß das schon. Aber wenn einer in einen ehemaligen Stall wohnen geht, dann kann man sich vorstellen, wo er herkommt. Erst im letzten Frühjahr hat sich eine junge Frau erhängt, dort drüben im Obstgarten, mein Sohn hat sie baumeln sehen. Er hat sie auch gleich heruntergeschnitten vom Birnenbaum, aber sie war schon kalt, und wahrscheinlich hat sie schon die ganze Nacht dort gehangen. In der Hoffnung ist sie gewesen, und Zwillinge hätte sie kriegen sollen. Ich verstehe das, wenn du allein bist und Zwillinge kriegst, da kannst du dich gleich erhängen. Ich weiß, wie das ist, mit einem ledigen Kind, ich habe es auch nicht leicht gehabt, damals. Und dann die Nachrede bei den Leuten. Aber großteils ist das schon ein Gesindel, hier nebenan. Im Sommer, wenn die Fenster offenstehen, hört man sie in der Nacht schreien und plärren: ich bring dich um, und man hört sie ordinär lachen, auch die Frauen, wenn sie vom Gasthaus heimtorkeln, rauchend und speiend, und die Kinder sind frech, wenn man zu ihnen etwas sagt, hängen sie einem eine Goschen an. Jede Woche ist die Gendarmerie einmal drüben, weil sie einander dauernd anzeigen, gegenseitig.

Natürlich haben wir auch manchmal gestritten, mein Mann und ich. Aber nicht so. Ich habe mich fürchterlich ärgern können, wenn er mit einem Spitz heimgekommen ist, ein hochrotes Gesicht gehabt hat und geschaut hat wie der hellerleuchtete Leibhaftige selbst. Dann habe ich meinen Mund auch nicht immer halten können, noch dazu, wo der Schwiegervater auch gesoffen hat und seine Frau geschlagen hat im Rausch. Es ist schon manchmal zugegangen bei uns. Ich habe viel mitgemacht in diesem Haus, und zu mir war der Schwiegervater immer grauslich. Mich hat er nicht mögen, weil ich das ledige Kind gehabt habe, das ich nicht mitbringen durfte ins Haus. Und weil ich so sauber war, habe ich manchmal einen Wirbel gemacht, wenn er mit den dreckigen Stallzockeln hereingegangen ist. Wenn ich den Boden frisch gerieben hatte, und wenn er dann auf den Boden gespuckt hat, dann habe ich meinen Mund auch nicht immer halten können.

Die Schwiegermutter hat nie etwas gesagt, sie hat sowieso nichts zu reden gehabt. Der Schwiegervater hat jeden Groschen versoffen, und sie ist ihn um jedes Scheit Holz fragen gegangen, bevor sie zur Triste gegangen ist. Kohlen haben sie sowieso keine gehabt, eiskalt war die Bude im Winter, aber als die Kinder gekommen sind, habe ich Kohle gekauft, sie wären mir sonst erfroren in der Kälte. Aber der Schwiegervater hat es nicht zugelassen, daß ich die Kinder in der warmen Stube gewickelt habe. Es hat ihm gegraust vor dem Geruch, und ich habe mit ihnen ins kalte Stübel wickeln gehen müssen, so war das. Die Kinder waren auch dauernd verkühlt, aber was hätte ich machen sollen, es hat uns nichts gehört, wir haben froh sein können, daß wir wohnen haben dürfen im Haus vom Schwiegervater, und wo hätten wir hingehen sollen mit zwei kleinen Kindern und ohne Geld. Es hat niemanden gegeben, der gesagt hätte, kommt nur, bei uns könnt ihr wohnen, so wie bei der Waltraud und ihrem Amerikaner, die es sich aussuchen können, ob sie in Europa leben wollen oder in Amerika, und wo die Eltern eine Freude haben, daß sie es noch erleben dürfen, daß die Tochter heimkommt und ein Enkelkind mitbringt. Ich werde das wohl nicht mehr erleben.

Zum Glück ist meine Tochter nicht bis nach Amerika gegangen, aber Wien ist auch weit weg, und auf meine alten Tage ist es wie Amerika, weil alles, wo man nicht mehr hinkommt, so weit weg ist wie Amerika, und meine Tochter kommt auch nur ein paarmal im Jahr nach Hause, und zum Reden habe ich auch niemand Gescheiten. Mein Sohn hat seine Arbeit, und die Schwiegertochter ist keine Tochter, sie hat selber eine Mutter, mit der sie über alles redet, und bei den Jungen muß man wissen, wann man etwas sagen darf, wenn man nicht streiten will, und weggehen will ich auch nicht, ich geh ja nicht gut mit meinem offenen Fuß, und bucklig bin ich auch schon und eigentlich bräuchte ich einen Stock, aber wie schaut das denn aus, wenn mich die Leute mit einem Stock gehen sehen, die glauben dann, die Alte ist schon so weit, daß sie es nicht mehr lange macht.