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Jeffrey Herf

Unerklärte Kriege
gegen Israel

Die DDR und die westdeutsche
radikale Linke, 1967–1989

 

Aus dem Englischen
von Norbert Juraschitz

 

 

 

 

WALLSTEIN VERLAG

 

 

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

© Wallstein Verlag, Göttingen 2019

www.wallstein-verlag.de

© der Originalausgabe: Jeffrey Herf 2016. Das englische Original erschien 2016 unter dem Titel Undeclared Wars with Israel. East Germany and the West German Far Left, 1967-1989 bei Cambridge University Press.

Diese Übersetzung wird in Absprache mit Cambridge University Press veröffentlicht.

 

Umschlaggestaltung: Susanne Gerhards, Düsseldorf

© SG-Image unter Verwendung einer Abbildung von Ullsteinbild: Erich Honecker empfängt Jassir Arafat auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld, 9.3.1982

© Bundesarchiv Koblenz/Rainer Mittelstädt

 

ISBN (Print) 978-3-8353-3484-7

ISBN (E-Book, pdf) 978-3-8353-4416-7

ISBN (E-Book, epub) 978-3-8353-4417-4

INHALT

Vorwort

Vorwort zur deutschen Ausgabe

1 Einleitung

2 Die DDR und der Sechstagekrieg, Juni 1967

Die Reaktion in Ost-Berlin

Walter Ulbrichts Rede vom 15. Juni 1967 in Leipzig

Verteidigungsminister Heinz Hoffmann und der Sechstagekrieg

Militärhilfe für »Entwicklungsländer« im Kalten Krieg: die Schätzungen der CIA

3 Entstehung einer antiisraelischen Linken in Westdeutschland, Sommer 1967

Westdeutsche jüdische Führungspersönlichkeiten während und nach dem Sechstagekrieg

Die PLO-Charta von 1968

Die Radikalisierungsphase der westdeutschen Neuen Linken, 1968/69

Die Antwort Heinz Galinskis

Die ›orthodoxe‹ und die ›unorthodoxe‹ radikale Linke in Westdeutschland 1972

Arabische Terroranschläge, 1968-1972

4 Diplomatischer Durchbruch, 1969–1973

Westdeutsche Diplomaten und die ostdeutsche Nahoststrategie

Waffen vom »Friedensstaat«

Willi Stophs Anordnung vom 30. September 1969 und die Rolle von Gerhard Weiß

Die Präsenz des ostdeutschen Militärs im Nahen Osten 1971

Heinz Hoffmann trifft Mustafa Tlass in Damaskus

Waffenlieferungen 1972-1974

Vom Reden und Schweigen zum Terror: Israel und Ost-Berlin vor den Vereinten Nationen

Arafat zu Besuch in Ost-Berlin

5 Palästinensischer Terror 1972: Flughafen Lod, Olympische Spiele und die Reaktionen

Der Anschlag auf israelische Athleten bei den Olympischen Spielen 1972

Ulrike Meinhof und die »Die Aktion des Schwarzen September«

Die PLO und die DDR nach dem Attentat in München

6 Offizielle Bündnisse mit der PLO und den arabischen Staaten, 1973

Die Aufnahme von BRD und DDR in die Vereinten Nationen

Die beiden deutschen Staaten, die USA und der Jom-Kippur-Krieg

Die DDR-Propaganda während des Jom-Kippur-Krieges

Waffenlieferungen der DDR an Syrien

7 Politische Kriegführung in der UNO während des Jom-Kippur-Krieges, 1973

Die Wortwechsel zwischen Josef Tekoah und Jakow Malik im Sicherheitsrat

Die Anschläge auf den Norden Israels

8 Palästinensische Terroranschläge auf Kirjat Schmona und Maalot, 1974

Der Anschlag der PFLP auf Kirjat Schmona, 11. April 1974

McMurtrie Godleys Memos

Der Angriff der DFLP auf Maalot, 18. Mai 1974

Staatsempfang für die PLO in Ost-Berlin – August 1974

Die Reaktion der westdeutschen radikalen Linken auf den Terror der PLO

9 Die UN-Resolution »Zionismus ist Rassismus« vom 10. November 1975

10 Entebbe und die »Revolutionären Zellen«

Die Frankfurter Szene

Die Reaktion der westdeutschen jüdischen Gemeinden auf Entebbe

Linksradikale Kritik an Entebbe

Der heiße Herbst 1977

Hans-Joachim Klein und die »Rückkehr in die Menschlichkeit«

11 Stärkung der Allianz: Die DDR, die arabischen Staaten und die PLO, 1978–1982

Die Stasi und ihre eurozentrische Definition der Terrorabwehr

Das Offizielle Kooperationsabkommen zwischen der Stasi und dem Geheimdienst der PLO von 1979/80

Abu Ayad und Stasi-Vertreter

»Aktion Freundschaft«: Waffenlieferungen an die PLO: 1976-1982

Die DDR und Saddam Husseins Irak

Das DDR-Verteidigungsministerium: Waffenlieferungen und Abkommen

Die PLO, PFLP und DFLP

Die PLO und das DDR-Verteidigungsministerium, 1980-1982

Die Beziehungen der DDR zu Syrien

Mustafa Tlass’ Matzo of Zion

Der internationale Kommunismus und militärische Ausbildung in der DDR

12 Terror aus dem Libanon und die Operation »Frieden für Galiläa«, 1977–1982

Israels UN-Botschafter Yehuda Blum zu Terroranschlägen der PLO auf israelische Zivilisten: 1980-1981

Die Reaktionen der DDR

PLO-Anschläge und militärische Aufrüstung im Libanon, 1981-1982

Arafat in Ost-Berlin, Frühjahr 1982

13 Der Krieg zwischen Israel und der PLO im Libanon, 1982

Politische Kriegführung im Libanonkrieg

14 Loyale Freunde: 1983–1989 und danach

15 Schluss

Dank

Anhang

Abkürzungen

Abbildungsverzeichnis

Bibliographie

Register

Anmerkungen

 

 

 

In Erinnerung an Fouad Ajami (1945-2014),

François Furet (1927-1997) und

Robert Wistrich (1945-2015)

VORWORT

Mit der Arbeit an diesem Buch begann ich im Frühjahr 2011 in Maryland. Die eigentlichen Anfänge reichen jedoch sehr viel weiter zurück, nämlich bis in das Studienjahr 1978/79, als ich in Frankfurt am Main lebte und für meine Dissertation recherchierte. Damals vernahm ich Berichte über zwei Mitglieder der Frankfurter linken Szene, die in Entebbe Maschinenpistolen auf unbewaffnete Juden richteten – bevor letztlich israelische Fallschirmspringer die Geiseln befreiten und die Terroristen in einem Feuergefecht töteten. Warum handelten westdeutsche Extremisten so? Warum ließen ostdeutsche Kommunisten, die gegen die Nationalsozialisten gekämpft hatten und ihre antifaschistische Tradition so hoch hielten, den Feinden Israels Unterstützung zukommen und feierten Jassir Arafat auf den Titelseiten ihrer staatlich kontrollierten Presse? Ich beschäftigte mich intensiver mit diesem Thema, und mein Interesse an der Frage, was diese Deutschen antrieb, hielt weiter an, wich jedoch nach und nach dem Wunsch des Historikers, zu dokumentieren, dass diese Ereignisse, die in meinen Augen nicht zu erwarten gewesen waren, tatsächlich stattfanden. Also entstand ein Buch sowohl über die antiisraelischen Emotionen in Deutschland als auch über den Widerstand dagegen, der von der israelischen Regierung, jüdischen Protagonisten in Westdeutschland, manchen politischen und öffentlichen Persönlichkeiten in Westdeutschland und der US-Regierung ausging. Historiker wissen sehr wohl, dass Fakten keineswegs für sich sprechen. Sie müssen zunächst einmal entdeckt, sorgfältig ausgewählt und gedeutet werden. Die Leser werden mir hoffentlich beipflichten, dass die folgenden Seiten ein Thema ausleuchten, das nicht weniger kontrovers ist als jedes andere der Zeitgeschichte.

VORWORT ZUR DEUTSCHEN AUSGABE

Die Veröffentlichung dieses Buches auf Deutsch ist sehr zu begrüßen. Es erleichtert der wichtigsten und, sollte man meinen, interessiertesten Leserschaft erheblich den Zugang zu dieser detaillierten und umfassenden Geschichte der Feindseligkeit des ostdeutschen Staates und der westdeutschen Linksradikalen gegenüber dem Staat Israel in den letzten Jahrzehnten des Kalten Krieges. Beide, der Staatsapparat im Osten und die Linksradikalen im Westen, erhoben für sich den Anspruch, ihr Antagonismus zu Israel sei eine Form des Antirassismus und sogar des Antifaschismus, doch kein noch so dichter ideologischer Nebel konnte die schlichte Tatsache verschleiern, dass sich wieder einmal Deutsche daran beteiligten, Juden Gewalt anzutun. In meinen Augen zählen diese Ereignisse zu den bedeutendsten und besorgniserregendsten Kapiteln der deutschen Geschichte nach 1945.

In der Ära des Kalten Krieges und danach war die »Judenfrage« in der deutschen und europäischen Geschichte untrennbar mit der »Israel-Frage« verbunden. Es waren zwar nicht alle Gegner Israels von einem Hass auf das Judentum und die Juden getrieben, doch viele der von ihnen vorgebrachten Argumente bezüglich der angeblichen Niedertracht und Macht der Juden griffen Diffamierungen auf, die nach der überlieferten europäischen Tradition des Antijudaismus und Judenhasses den Juden eine gewaltige Machtfülle und mitunter das Böse schlechthin unterstellten. Die vorliegende Studie enthält eine Fülle von Beweisen für den Nachklang des ältesten Hasses. Zu den historisch wohl einzigartigen Merkmalen des kommunistischen und linksradikalen Angriffs auf Israel zählte der Umstand, dass dessen Fürsprecher betonten, sie würden gerade im Namen eines Antirassismus handeln und seien nicht im Geringsten von einem Hass auf das Judentum oder die Juden als Volk getrieben. Welche Intentionen sie auch verfolgt haben mochten, die Konsequenzen lagen auf der Hand. Auf eben diese Konsequenzen konzentriert sich die vorliegende Studie. Dazu zählen die diplomatische und politische Kriegführung, Lieferung von Waffen und militärische Ausbildung, und nicht zuletzt die verdeckte geheimdienstliche Zusammenarbeit. Dieses Buch arbeitet auf, wie eine antiisraelische Ideologie in die Unterstützung von Krieg und Terror mündete, gerichtet gegen die Bürger des jüdischen Staates. Dabei interessiert mich die Frage, warum und auf welche Weise sich manche Deutsche, ausgerechnet jene, die sich selbst für Antifaschisten hielten, an einer Politik beteiligten, die wieder einmal Juden Schaden zufügte. Das Buch erzählt außerdem die Geschichte der Reaktion Israels und die Antwort jener Deutschen, die ihre Stimme gegen diese Angriffe erhoben.

Es liegen zwar bereits ausgezeichnete deutschsprachige Studien vor, die eben diese Feindseligkeit der westdeutschen radikalen Linken gegen Israel untersuchen, doch Undeclared Wars with Israel stützt sich auf die Akten der westdeutschen Regierung und die Dokumentation bei den Vereinten Nationen, auf Veröffentlichungen der westdeutschen Linksradikalen, der palästinensischen politischen Organisationen in Westdeutschland und die Reaktion der Führer der westdeutschen jüdischen Gemeinden. Auf diese Weise tritt deutlich hervor, was für eine zentrale Rolle der Antagonismus zu Israel als definierendes Merkmal des Linksextremismus westdeutscher Organisationen jener Jahre spielte. Der Hass auf Israel war zu dieser Zeit keineswegs eine Randerscheinung in der westdeutschen Linken. Er wurde zu einem prägenden Bestandteil, der im Verlauf der dramatischen Ereignisse im ugandischen Entebbe 1976 den wohl deutlichsten Ausdruck fand. Dessen zentrale Bedeutung und Konsequenzen sind sehr gut in den Akten des Bundesministeriums des Innern und des Bundesministeriums für Justiz sowie in denen des Zentralrats der Juden in Deutschland dokumentiert, die allesamt zentrale Quellen für dieses Buch sind.

Allerdings ist das Ausmaß der Aufmerksamkeit, das die Medien und Gelehrten den westdeutschen Terrororganisationen widmeten, im Vergleich zu der Aufmerksamkeit für das DDR-Regime umgekehrt proportional zu ihrem Einfluss auf die Ereignisse im Nahen Osten. Undeclared Wars with Israel korrigiert dieses Ungleichgewicht. Die Übersetzung macht einem deutschen Lesepublikum eine Fülle bislang unveröffentlichter Dokumente aus den Akten des ehemaligen Politbüros, Außenministeriums, Ministeriums für Nationale Verteidigung, des Ministerrates und des Ministeriums für Staatssicherheit zugänglich. Sie stellen die Hauptentscheidungsträger, deren Beschlüsse und die daraus folgenden Konsequenzen vor. Die Verantwortlichen schlossen zu einer Zeit Bündnisse mit den palästinensischen Terrororganisationen, als diese Anschläge gegen Israel verübten, sowie mit den arabischen Staaten, allen voran Syrien, während sie die Kriege von 1967 und 1973 führten und danach sämtliche Bemühungen um eine Kompromisslösung während und nach den Camp-David-Abkommen ablehnten. Auf den Titelseiten des offiziellen Parteiorgans Neues Deutschland machten die führenden DDR-Politiker kein Hehl aus ihrem Hass gegen den Staat Israel und ihrer Unterstützung für die arabischen und palästinensischen Angriffe auf das Land. Wie so häufig bei Diktaturen war die große Linie der Politik nicht auf den ersten Blick ersichtlich.

Diese Arbeit stützt sich auf die Archive der genannten DDR-Institutionen, um die entscheidenden Details der Umsetzung einer Ideologie in eine Politik aufzuzeigen, die einem nicht erklärten Krieg gleichkam. In den DDR-Botschaften in Beirut und Damaskus und im Politbüro und den Ministerien in Ost-Berlin waren sich die Führer der Deutschen Demokratischen Republik vollständig darüber im Klaren, dass sie diejenigen im Nahen Osten unterstützten, die ihre Waffen auf Israel richteten und auch abfeuerten. In der Privatsphäre ihrer vertraulichen Korrespondenz – und in einem eklatanten Gegensatz zur Empörung der DDR-Diplomaten bei den Vereinten Nationen, die schon die Vorstellung, die PLO sei eine Terrororganisation als »Diffamierung« ablehnten – äußerten sich DDR-Regierungsvertreter bemerkenswert offen über ihre Unterstützung für terroristische Aktivitäten und für eine politische Kriegführung bei den Vereinten Nationen zugunsten der arabischen Staaten und des palästinensischen bewaffneten Kampfes gegen Israel im Nahen Osten. Auf der Grundlage eben dieser Regierungsakten präsentiert die vorliegende Studie die bislang umfassendste Darstellung der umfangreichen Waffenlieferungen, die aus der DDR an die palästinensischen Terrororganisationen geschickt wurden, und der noch größeren Anzahl schwerer Waffen, die – im Verbund mit den anderen Ostblockstaaten – an die Streitkräfte der arabischen Staaten geliefert wurden, die sich de facto und offiziell mit Israel im Krieg befanden. Über diese Verbindungen zwischen den Verteidigungsministerien und Geheimdiensten wurden weit mehr Ressourcen in den bewaffneten Kampf gegen Israel geführt, als es der PLO auch nur im Ansatz möglich gewesen wäre. Undeclared Wars with Israel fokussiert auf die ostdeutsche Dimension als Teil des tatsächlich viel größeren Bündnisses der Ostblockstaaten mit den militanten Palästinenserorganisationen und den arabischen Staaten. Die Geschichte der antiisraelischen Allianz des Ostblocks muss noch geschrieben werden.

Das Buch enthält auch eine Fülle von Beispielen für den ideologischen Angriff der arabischen Staaten und der Palästinenser auf Israel. Aber stärker als in den bislang vorliegenden deutschsprachigen Veröffentlichungen richtet diese Studie das Augenmerk auch darauf, was die Israelis selbst und ihre Unterstützer, Juden ebenso wie Nichtjuden, in Westdeutschland zu Israels Verteidigung zu sagen hatten. Die Erklärungen und Berichte der israelischen Botschafter bei den Vereinten Nationen und die Stellungnahmen der Führungspersönlichkeiten der kleinen jüdischen Gemeinde in Westdeutschland sind bislang in den historischen Schilderungen dieser Zeit kaum beachtet worden. Ironischerweise sind ausgerechnet jene UN-Dokumente, die eine Fülle von Informationen über die geradezu grotesk großen antiisraelischen Allianzen der 1970er und 1980er Jahre enthalten, zugleich die Quelle für die umfassendste Dokumentation der israelischen Reaktionen. Israels UN-Delegation arbeitete in jenen Jahren zahlreiche Erklärungen als Antwort auf die politische Kriegführung aus, die gegen den jüdischen Staat im Gange war. Bis ins kleinste und bisweilen qualvolle Detail berichteten israelische Diplomaten über Hunderte von Terroranschlägen, Artilleriefeuer und andere Akte der Agression. Die Forschung hat diese leicht zugänglichen Berichte bislang kaum beachtet. Ein wichtiger Aspekt dieser Studie besteht darin, dass sie die Aufmerksamkeit auf das lenkt, was die Israelis und ihre Fürsprecher in Westdeutschland zu markanten Ereignissen zu sagen hatten, und dass sie dieses Material nunmehr in die deutschsprachige Debatte einbringt.

Mit den Revolutionen von 1989, der deutschen Wiedervereinigung 1990 und dem Zerfall der Sowjetunion 1991 fand der nicht erklärte Krieg gegen den Staat Israel ein Ende, und die Hauptwaffenlieferanten der Israel nicht freundlich gesinnten arabischen Staaten und der verschiedenen Terrororganisationen der PLO existierten ebenfalls bald nicht mehr. Die Niederlage in diesem nicht erklärten Krieg gegen Israel war ein zwar kaum beachteter, aber dennoch bedeutender Teil des Sieges des westlichen Bündnisses im Kalten Krieg und des Zusammenbruchs des Kommunismus in Europa. Aber auch wenn der nicht erklärte Krieg am Ende verloren ging, so haben die Ideen und Interpretationen sowie die, in meinen Augen, Unwahrheiten und Fehlinterpretationen über das Wesen des Staates Israel und des Konflikts mit den arabischen Staaten und den Palästinenserorganisationen, die mit diesen Jahren der politischen Kriegführung, des offenen Krieges und der Terrorakte einhergingen, doch einen dauerhaften Einfluss auf die Weltpolitik und manche Aspekte der Forschung hinterlassen. Die antiisraelischen Argumente, die in der jüngsten Vergangenheit vorgebracht wurden, wärmen jene Grundsätze wieder auf, die in den 1960er und 1980er Jahren erstmals in der Weltpolitik Fuß fassten. Der Umstand, dass die deutsche und europäische Tradition des säkularen Antifaschismus Angriffe auf Israel legitimierte, trug erheblich dazu bei, die politische Resonanz in Deutschland und auf der ganzen Welt zu fördern – eine überaus bittere und traurige Ironie der Geschichte.

Wenn die Führer der Sowjetunion beschlossen hätten, zu ihrer Politik von 1948 zurückzukehren und die Existenz des jüdischen Staates zu unterstützen, dann wären möglicherweise von den 1960er bis in die 1980er Jahre hinein keinerlei Waffen an die arabischen Diktaturen und die palästinensischen Terrororganisationen geliefert worden. Vielleicht hätten sowjetische Anführer und die politischen Entscheidungsträger in der DDR und anderen Ländern des Warschauer Paktes dann in den 1950er Jahren keine antisemitischen »antikosmopolitischen« Säuberungen aufgrund von antisemitischen Verschwörungstheorien inszeniert, und womöglich hätte der älteste Hass in der Weltpolitik in einer linksradikalen Variante keine Wiederbelebung erfahren. Wären die arabischen Staaten und die Palästinenserorganisationen gedrängt worden, einer Kompromisslösung mit Israel zuzustimmen, dann gäbe es jetzt womöglich einen blühenden palästinensischen Staat und eine Region, die Besseres zu tun hätte, als verheerende Bürgerkriege zu führen und antisemitische Verschwörungstheorien bezüglich Israel immer und immer wieder aufzukochen. Mit der Entscheidung, einen nicht erklärten Krieg gegen Israel zu führen, tragen die Sowjetunion, die DDR und die westdeutschen linksradikalen Gruppierungen eine schwere Verantwortung im Nahostkonflikt, weil sie einer Kompromisslösung zwischen Israel und seinen Gegnern im Weg standen. Die Kenntnis der Geschichte ihres gescheiterten und irregeleiteten Krieges ist eine wichtige Voraussetzung für das Verständnis, warum ein Frieden im Nahen Osten weiterhin nicht in Sichtweite ist.

Die Bewältigung der Geschichte sowohl der Feindseligkeit gegenüber Israel seitens der DDR als auch seitens der westdeutschen radikalen Linken hat bei den Historikern, Gelehrten und politischen Akteuren in Deutschland begonnen. Dieses Werk steht ihnen zur Seite. Ihrem Mut und ihrer Integrität verdanke ich viel. Das Buch wurde mit einer Mischung aus Distanz und Vertrautheit geschrieben, die darauf zurückzuführen ist, dass ich zum einen in den Vereinigten Staaten lebe und zum andern seit nunmehr vier Jahrzehnten über die deutsche Geschichte schreibe. Ich hoffe, meine Studie kann dazu beitragen, eine dringend notwendige Diskussion dieser Themen anzustoßen – in einem Land, das inzwischen dafür bekannt ist, verschiedene Aspekte der eigenen Vergangenheit mit einem unerschrockenen Blick zu betrachten.

 

Jeffrey Herf, College Park, Maryland, USA

Oktober 2018

1 EINLEITUNG

Gäbe es ein ungeschriebenes elftes Gebot der westdeutschen Geschichte nach dem Holocaust, so würde es lauten: Keine deutsche Regierung oder politische Gruppierung darf jemals Juden töten oder ihnen Schaden zufügen, noch darf sie jemandem dabei behilflich sein, Juden zu töten oder ihnen Schaden zuzufügen. Auf gar keinen Fall darf eine deutsche Regierung den Staat Israel angreifen oder dessen Gegner unterstützen. Das war der moralische Mindestanspruch, der mit der westdeutschen Politik der Vergangenheitsbewältigung assoziiert wurde, in erster Linie mit dem Massenmord an sechs Millionen Juden in Europa durch das NS-Regime. Diese Tradition ist jedoch eher für die finanzielle Wiedergutmachung als für eine angemessene Gerechtigkeit bekannt.[1] Doch das moralische Prinzip, Juden nie wieder Schaden zuzufügen, durchdrang die Entscheidungen mehrerer aufeinanderfolgender Bundeskanzler, darunter auch Konrad Adenauers Beschluss im Jahr 1952, den Überlebenden des Holocaust und dem Staat Israel eine finanzielle Wiedergutmachung anzubieten, sowie Ludwig Erhards Absicht, im Jahr 1965 diplomatische Beziehungen zu Israel aufzunehmen. Diese Tradition hatte auch nach der deutschen Wiedervereinigung Bestand: Im Jahr 2008 erklärte Kanzlerin Angela Merkel vor dem israelischen Parlament, der Knesset, dass das Überleben Israels ein Anliegen der deutschen Staatsräson sei.

Seit der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik im Jahr 1949 bis zu ihrem Zusammenbruch 1989 vertrat das kommunistische Regime jedoch eine ganz andere Sichtweise – eine Sichtweise, die der Idee des Zionismus und dem real existierenden Staat Israel feindselig gegenüberstand. Vor allem seit Juni 1967, während und nach dem Sechstagekrieg, wandte sich die westdeutsche radikale Linke ebenfalls gegen Israel und brachte kleine Gruppen von Terroristen hervor, die in den 1970er und 1980er Jahren mit palästinensischen Organisationen zusammenarbeiteten. Dieses Buch ist eine Geschichte der antiisraelischen Politik und Aktivität des ostdeutschen Staates und der westdeutschen linksextremen Organisationen. Es untersucht die Übertragung einer antizionistischen, bisweilen antisemitischen Ideologie in die politische Strategie, Krieg und Terrorakte zu unterstützen, die sich gegen den Staat Israel und seine Bürger richteten, sprich: in politische Maßnahmen, die Juden tatsächlich Schaden zufügten. Die Darstellung konzentriert sich auf die Jahre von 1967 bis 1989, insbesondere bis in die frühen 1980er Jahre. Um diese Zeit erreichte der Antagonismus sein stärkstes Ausmaß, damals unterstützten sowohl die DDR als auch die westdeutsche Linke die Bemühungen der arabischen Staaten und Palästinenserorganisationen, den Staat Israel mit Waffengewalt zu zerstören. Zu diesem Antagonismus zählten auch feindselige politische Machenschaften bei den Vereinten Nationen und wiederholte Behauptungen, dass Israel die alleinige Verantwortung an dem »Nahostkonflikt«, wie man ihn damals nannte, trage. Wie die folgenden Kapitel zeigen werden, vereinte diese feindselige Haltung diffamierende Erklärungen mit dem Angebot militärischer Ausbildung und Waffenlieferungen, darunter Tausende Kalaschnikow-Sturmgewehre, Panzerfäuste, Landminen, Sprengstoff und vereinzelt sogar Panzer und MiG-Kampfflugzeuge an die arabischen Staaten und Palästinenserorganisationen, die sich damals mit Israel im Krieg befanden. Auf indirekte Weise befanden sich somit sowohl die ostdeutsche Regierung als auch westdeutsche linksextreme Terrorgruppen im Krieg mit Israel. Auch wenn die kommunistischen Regime in Europa in den Jahren 1989/90 zusammenbrachen, und auch wenn ihre arabischen und palästinensischen Verbündeten mit ihren Anstrengungen, Israel mit Waffengewalt zu zerstören, scheiterten, hallen die Ideen jener Ära einer säkularen, linksextremen Feindseligkeit gegenüber Israel bis in die heutige Weltpolitik nach.

Die Terrorakte westdeutscher Gruppierungen waren in der öffentlichen Wahrnehmung damals sehr viel präsenter als das Militärbündnis zwischen den Ostblockstaaten und den arabischen Staaten und palästinensischen Terrorgruppen. Dabei hatte die ostdeutsche Regierung einen weit größeren Einfluss auf den Gang der Ereignisse im Nahen Osten als westdeutsche Terroristen. Wenn den Terrorgruppen eine große Aufmerksamkeit zuteilwurde, die ostdeutsche Regierung hingegen vergleichsweise vernachlässigt wurde, so stellt dies deren kausale Wirkung auf die damaligen Ereignisse im Nahen Osten geradezu auf den Kopf. Indem die Bedeutung der Ostblockstaaten, in deren Verbund die DDR agierte, in den Fokus gerückt wird, verleiht ihnen diese Studie die kausale Tragweite, die häufig bei dem Medienrummel um den westdeutschen Linksterrorismus außer Acht geriet. Darüber hinaus verknüpft sie diese Geschichte mit jener des global ausgetragenen Kalten Krieges. Damals schätzte die Central Intelligence Agency der USA, dass die Waffenlieferungen aus der DDR an die arabischen Staaten rund drei Prozent der gesamten Waffenlieferungen aus dem Ostblock ausmachten. Wie wir sehen werden, übertrafen diese drei Prozent bei weitem die viel bekannteren Arsenale, die bei westdeutschen Linksterroristen entdeckt wurden. Der enorme quantitative Unterschied ist darauf zurückzuführen, dass ein Staat, der mit einer mächtigen militärischen Allianz verbündet war, über ganz andere Ressourcen als linke politische Bewegungen und Gruppierungen verfügte. Die Rote Armee Fraktion, die Bewegung 2. Juni und die Revolutionären Zellen positionierten sich erfolgreich in den Schlagzeilen, doch dem Regime in Ost-Berlin standen die gesamte Staatsmacht – Streitkräfte, Botschaften und ein diplomatisches Korps, ein effektiver Nachrichtendienst, militärische Ausbildungszentren und eine kontrollierte Presse – zur Verfügung, um das Kräfteverhältnis und die Ereignisse im Nahen Osten zu beeinflussen. Die vorliegende Arbeit stellt die bislang umfassendste Untersuchung des Einsatzes dieser Machtinstrumente dar.

Dieses Buch erforscht anhand der mittlerweile zugänglichen deutschen Archive die Geschichte dieser Phase eines deutschen antagonistischen Verhältnisses zu Israel. Es konzentriert sich auf die Ursachen, untersucht aber auch, stärker als frühere Darstellungen, die Konsequenzen dieser Politik in Form von politischer Kriegführung, feindlicher Propaganda und militärischer Unterstützung für Staaten und terroristische Organisationen, die gegen Israel Krieg führten. Es ist das erste Werk zu diesem Thema, das sich nicht nur auf die umfassenden Akten der ehemaligen ostdeutschen Diktatur stützt, sondern auch auf die relevanten Akten der Regierungen der Vereinigten Staaten und Westdeutschlands sowie auf die von der israelischen Regierung veröffentlichten Dokumente, insbesondere die von ihrer Delegation bei den Vereinten Nationen in New York vorgelegten; auf die Anschauungen führender Vertreter der jüdischen Gemeinde in Westdeutschland; und nicht zuletzt auf die beachtliche Dokumentation der Äußerungen westdeutscher Linker, arabischer Regierungen und palästinensischer Organisationen, die auf Deutsch und Englisch zugänglich sind. Es handelt sich um ein Kapitel deutscher Geschichte, das unmittelbaren Einfluss sowohl auf die Juden in Westdeutschland als auch auf die Bürger Israels hatte. Die Einbeziehung ihrer Stimmen zeichnet diese Arbeit aus.

Das Regime im Osten Deutschlands nach 1949 und die westdeutsche radikale Linke ab 1967 fühlten sich nicht an den oben erläuterten moralischen Kompass gebunden. In den Jahren zwischen dem Sechstagekrieg von 1967 und dem Libanonkrieg und dessen Nachspiel in den 1980er Jahren fügten die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und westdeutsche linksextreme Terrorgruppen jüdischen Bürgern weiterhin Schaden zu, insbesondere den in Israel lebenden; darüber hinaus unterstützten sie andere, die das Ziel verfolgten, ihnen zu schaden.

In gewisser Hinsicht ist das Buch eine Fortsetzung meiner früheren Studie über die ideologische Interpretation des Zionismus und der israelischen Staatsgründung durch den deutschen Staatskommunismus und die radikale Linke. Das entsprechende ideologische Fundament wurde in den »antikosmopolitischen Säuberungen« Anfang der 1950er Jahren in der Sowjetunion und Osteuropa gelegt. Damit endete die Unterstützung für den Zionismus und für Israel aus den Ostblockstaaten – eine Unterstützung, die in der Phase der Staatsgründung Israels außerordentlich wichtig gewesen war und zum Beistand für die Juden im Krieg von 1948 geführt hatte. Der Begriff »Zionismus« wurde fortan zu einem Schmähwort im kommunistischen Diskurs. Die anfänglich prozionistische Haltung war ein Produkt der besonderen Umstände des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. Der Antizionismus und die Feindseligkeit gegen Israel hingegen standen in einem Zusammenhang mit einer umfassenderen Revision der marxistisch-leninistischen Lehre, die mit dem Beginn des Kalten Krieges einherging. In ganz elementarer Hinsicht widersprach die Idee eines jüdischen Staates sowohl dem universalistischen Anspruch des Kommunismus als auch, ungeachtet des Säkularismus der zionistischen Gründergeneration, der kommunistischen Anschauung, Religion sei »Opium für das Volk«. Für Kommunisten war die Sowjetunion, nicht das europäische Judentum, das Hauptopfer Hitlerdeutschlands gewesen. In den Säuberungen nach dem Krieg avancierte der Antizionismus, häufig gepaart mit antisemitischen Motiven wie etwa der unterstellten enormen jüdischen Macht und deren mutmaßlich engen Beziehungen zum Kapitalismus und Imperialismus, zum Standarddiskurs im Ostblock.

Zwar plädierte eine Minderheit im Osten Deutschlands dafür, dass die DDR[2] enge und freundschaftliche Beziehungen zu dem neuen jüdischen Staat pflegen solle, doch die orthodoxe Mehrheit wies die Vorstellung zurück, dass sie als deutsche Kommunisten gegenüber dem Staat Israel irgendwelche besonderen moralischen Verpflichtungen hätte. Im Gegenteil: Schon in den 1950er Jahren verunglimpften ostdeutsche Kommunisten Israel als Verbündeten des westlichen und amerikanischen Imperialismus und weigerten sich, dem jüdischen Staat eine finanzielle Wiedergutmachung zu zahlen. Die DDR war das einzige Mitglied des Warschauer Paktes, das zu keinem Zeitpunkt diplomatische Beziehungen zum Staat Israel unterhielt. Als die westdeutsche Linke 1967 zentrale Elemente des linken Antiimperialismus übernahm, ordnete sie Israel ebenfalls auf der ›falschen‹ Seite der in ihren Augen zentralen weltweiten Spaltung zwischen einem bösen und ausbeuterischen Imperialismus und einer tugendhaften, ausgebeuteten »Dritten Welt«, wie es damals hieß, ein. Der Nebeneffekt dieser Anschauung war die Unterstützung für die arabischen Staaten und sowohl in Ostdeutschland als auch in der westdeutschen radikalen Linken ein besonders leidenschaftlicher Einsatz für die Palästinensergruppen, die Israel bekämpften.

Die Sowjetunion war bei der Prägung der feindseligen Haltung des Warschauer Paktes gegenüber Israel die treibende Kraft und der zentrale Akteur. Anders als die maoistische Propaganda und die romantische Verklärung durch die Neue Linke und ihre Nachfolger im Westen hatte die Haltung der Sowjetunion wegen ihrer Radikalität und, ganz wichtig, ihrer materiellen Substanz bemerkenswerten Einfluss. Die Sowjetunion, nicht Maos großspuriges China, war für linke Guerilla-Bewegungen auf der ganzen Welt die Hauptquelle für Waffen und militärische Ausbildung. Ihr militärischer Beistand für die arabischen Staaten und palästinensischen Terrororganisationen war ebenso Teil der weltweiten Offensive gegen den »US-Imperialismus« wie auch ihrer Bemühungen, sich im strategisch wichtigen Nahen und Mittleren Osten Einfluss zu verschaffen. So klein der ostdeutsche Beitrag im Vergleich zur sowjetischen Supermacht auch war, Ost-Berlin folgte dem sowjetischen Beispiel keineswegs widerwillig. Im Gegenteil, um den ideologischen Eifer zu stärken und das nationale Interesse zu schützen, beteiligten sich ostdeutsche Führer eifrig an den Kampagnen gegen Israel. Im Nahen Osten unterstützte der Ostblock, einschließlich der DDR, die radikalen Kräfte, nicht die gemäßigten, und zwar mit Wort und Tat.

Die berüchtigten westdeutschen linken Terrorgruppen jener Jahre sowie die zahlenmäßig bedeutenderen legalen Organisationen innerhalb der radikalen Linken beschlossen aus freien Stücken, die arabischen Staaten sowie die verschiedenen Organisationen zu unterstützen, die das Exekutivkomitee der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) bildeten, darunter die Fatah sowie die Volksfront für die Befreiung Palästinas und die Demokratische Volksfront für die Befreiung Palästinas – zwei Organisationen, deren Führer auf jeden Anschein einer Mäßigung oder auf eine nach außen bekundete Ambivalenz bezüglich der Unterstützung des Terrors verzichteten. Diese ambivalente Haltung wurde mit Arafats Mischung aus Gewalt und politischer Kriegführung assoziiert. Die Studie untersucht nicht zuletzt die Intensität, die Bereitwilligkeit und die Leidenschaft, mit der sich diese Deutschen gegen Israel wandten und auf die Seite seiner Feinde stellten. Ihr Antagonismus zu Israel und ihre Bereitschaft, nicht nur die Politik Israels, sondern auch die Legitimität und das Existenzrecht des jungen Staates infrage zu stellen, waren keineswegs einzigartig; beide waren seit den frühen 1950er Jahren zu Allgemeinplätzen der Linken weltweit geworden. Aber in keinem anderen Land brachte der antiisraelische Eifer freilich eine so erstaunliche Flucht vor der Last einer nationalen Vergangenheit mit sich wie in Deutschland. Gleichwohl verschaffte dieses Verdrängen der Vergangenheit dem ostdeutschen Staat und den westdeutschen linken Terrororganisationen viele Freunde auf der ganzen Welt.

In der wohl bittersten Ironie dieser Ära wendeten die Staatskommunisten und linken Bewegungen die Sprache des Antifaschismus, die die ganze Welt mit dem Kampf gegen den Nationalsozialismus assoziierte, zu einem rhetorischen Arsenal, das sie nun gegen den jüdischen Staat richteten. Sicher, es gab Kommunisten, jüdische wie nichtjüdische, die der Ansicht waren, der Antifaschismus des Zweiten Weltkrieges hätte zu einer Unterstützung für den Zionismus nach dem Krieg führen müssen. Die kurze Ära der sowjetischen Unterstützung Israels endete jedoch mit den antikosmopolitischen Säuberungen der frühen 1950er Jahre. Von 1949 an bis zum Bau der Berliner Mauer im Jahr 1961 flüchteten mehr als drei Millionen Ostdeutsche, rund 20 Prozent der gesamten Bevölkerung, von Ost nach West, darunter, so darf man vermuten, auch diejenigen, die vielleicht am ehesten bereit gewesen wären, sich der Politik des Regimes zu widersetzen. Somit tritt bereits im Jahr 1967, als sich der Antagonismus der DDR gegen Israel am stärksten in der Öffentlichkeit manifestierte, ein weiteres erstaunliches Merkmal in der ostdeutschen Geschichte zutage, nämlich das Fehlen eines öffentlichen Protestes gegen die Politik des SED-Regimes. Mit Hilfe von repressiven Maßnahmen, im Zusammenspiel mit dem Ventil der Emigration bis 1961, war die DDR zu einem Gemeinwesen und einer Gesellschaft praktisch ohne jede Opposition geworden, oder zumindest ohne eine Opposition, die imstande gewesen wäre, sich öffentlich zu äußern. In Polen zum Beispiel hatte der schwelende Unmut zu einer massiven Säuberung des polnischen, politischen und intellektuellen Lebens geführt, gefolgt von einem Exodus jener Dissidenten, die das Land verlassen konnten. In der DDR gab es keine derart massive Säuberung, weil im Jahr 1967 die Opposition entweder bereits unterdrückt war oder ihre Anführer noch vor dem Bau der Mauer geflüchtet waren.[3]

Damals wie heute gingen manche Beobachter davon aus, dass der unterschwellige, aber nachhaltige Einfluss des Nationalsozialismus in der deutschen Gesellschaft, der möglicherweise bei den ›einfachen Leuten‹ nachklang, verantwortlich war für den Antagonismus zu Israel und die Begeisterung für die arabischen Staaten und palästinensischen Terrororganisationen.[4] Journalisten, die in NS-Deutschland gearbeitet hatten und anschließend eine Beschäftigung in den Propagandaorganen der ostdeutschen Regierung fanden, mögen ebenfalls für eine gewisse Kontinuität gesorgt haben. Doch der ideologische Kern der antiisraelischen Wende lag im Marxismus-Leninismus und dem damit assoziierten linken Antiimperialismus der 1960er Jahre.[5] In der DDR fand die Begeisterung für die linken Revolutionen in der »Dritten Welt« einige äußerst wichtige Partner in den arabischen Staaten und in den Palästinenserorganisationen, die sich bereits im Krieg mit Israel befanden. Letztere entwickelten besonders enge Beziehungen zur westdeutschen radikalen Linken, sowohl zu den offen agierenden, marxistisch-leninistischen und maoistischen Sekten der 1970er Jahre als auch zu den ideologisch diffuseren Überresten des Denkens der Neuen Linken und den illegalen linksterroristischen Untergrundorganisationen wie der Roten Armee Fraktion, der Revolutionären Zellen und der Bewegung 2. Juni.

Im Jahr 1980 veröffentlichte ein Autorenkollektiv aus Forschern und Professoren, die am ostdeutschen Institut für internationale Beziehungen der Akademie für Rechts- und Politikwissenschaft in Berlin arbeiteten, ein Wörterbuch der Begriffe für Außenpolitik und Völkerrecht. Der Zionismus wird dort als eine »chauvinistische Ideologie« definiert, als »das weitverzweigte Organisationssystem und die rassistische, expansionistische politische Praxis der jüdischen Bourgeoisie, die einen Teil des internationalen Monopolkapitals bildet«.[6] Dessen Wurzeln aus dem 19. Jahrhundert lagen demnach in einer »kleinbürgerlichen Reaktion auf den Antisemitismus«, die sich zu »einer reaktionären Konzeption von der jüdischen Gemeinschaft [entwickelte], die, um das jüdische Proletariat vom Klassenkampf abzulenken, die Klassenfrage ignorierte und die Lösung der sog. Judenfrage […] in der Schaffung eines jüdischen Nationalstaates auf dem arabischen Territorium von Palästina sah. Mit dieser Konzeption ordnete sich der [Zionismus] von Anbeginn in die politischen, ökonomischen und strategischen Interessen des Weltimperialismus ein«, insbesondere in jene des »USA-Imperialismus im Nahen Osten«. Seit der Staatsgründung im Jahr 1948 behaupteten ostdeutsche Historiker, der Staat Israel stehe für nationalen Chauvinismus und Antikommunismus.[7] Er richte sich »gegen die arabische, nationale Befreiungsbewegung«. »Die aggressive Politik Israels führte, unterstützt von imperialistischen Staaten, insbesondere den USA, zu den militärischen Auseinandersetzungen im arabischen Raum, zur Entwicklung des Nahostkonfliktes. Auf der XXX. UNO-Vollversammlung (1975) wurde mit der Resolution 3379 der [Zionismus] als eine Form des Rassismus und der rassischen Diskriminierung verurteilt.«[8] Mit anderen Worten, die zionistische Ideologie und der Staat, den sie hervorbrachte, hatten keinerlei moralische Legitimierung. Für diese Autoren war der Staat Israel von Anfang an und untrennbar mit dem amerikanischen Imperialismus und dessen Eindringen in »das Territorium Palästinas« verbunden.

Zu den prägenden Aspekten der ostdeutschen Außenpolitik zählte, was ich einen »rhetorischen Nebel scheinbarer Mäßigung« nennen möchte, mit einem Vokabular voller Verweise auf Frieden, Gerechtigkeit und »politische Lösungen« für den Nahostkonflikt, gepaart mit einer rückhaltlosen Unterstützung für unversöhnliche arabische Regierungen und radikale Palästinenserorganisationen. Die Politik der Sowjetunion und des Warschauer Paktes vereinte in diesen Jahrzehnten des Kalten Krieges die Sprache der Entspannung und die rationale Logik der atomaren Abschreckung mit einem unmissverständlichen Radikalismus bezüglich der Politik im Nahen Osten und allgemein in der »Dritten Welt«. Angewandt auf den Konflikt zwischen Israel, den arabischen Staaten und den Palästinenserorganisationen machte diese Haltung von Anfang an ausschließlich Israel für das verantwortlich, was die ostdeutschen Forscher im Jahr 1980 eine »durch imperialistisch-zionistische Kräfte herbeigeführte Konfliktsituation« nannten, »die sich vor allem in Aggressionsakten gegen die arabischen Völker und Staaten widerspiegelt«.[9] In der DDR bezeichnete man die Camp-David-Abkommen von 1978 zwischen Israel und Ägypten abschätzig als »Separatabkommen«, welche das Recht der Palästinenser auf nationale Selbstbestimmung negierten und eine »Front der Standhaftigkeit« aus arabischen Staaten förderten, die die Abkommen zusammen mit den »friedliebenden Kräften in der ganzen Welt« ablehnten.[10] In diesen Jahren ließ die DDR-Regierung nicht nur Arafats Al-Fatah Unterstützung zukommen, sondern auch palästinensischen Terrororganisationen wie der Volksfront für die Befreiung Palästinas und der Demokratischen Front für die Befreiung Palästinas.

Kritiker der deutschen Antagonisten Israels haben schon damals und seither immer wieder argumentiert, der linke Antizionismus sei lediglich eine weitere Form des Antisemitismus, des Judenhasses. In der langen Geschichte des Antisemitismus bildet der Antagonismus zum Staat Israel in jener Zeit in der Tat ein eigenes Kapitel. Ihn zeichnete aus, dass jene, welche die Juden attackierten, gleichzeitig behaupteten, ihre Animosität habe nichts damit zu tun, dass die Angriffsziele Juden seien. Die Fragen blieben jedoch die gleichen: Warum konzentrierten sich die linken Antizionisten in einer Welt, in der demokratische Regime in der Minderheit waren, ausgerechnet auf die eine funktionierende Demokratie im Nahen Osten? Warum verschlossen sie die Augen vor Terroranschlägen gegen Israelis, während Israels Maßnahmen zur Selbstverteidigung auf weltweite, echte Empörung stießen? Warum unterstellten Israels Kritiker stets, dass die israelische Regierung nie die Wahrheit sagte, während sie Diktatoren und Terrororganisationen einen Vertrauensvorschuss gewährten? Zeigte sich nicht in der Bereitschaft, Israel furchtbarer Verbrechen anzuklagen, ein Überbleibsel der uralten Neigung, den Juden Morde an Unschuldigen vorzuwerfen? Ein wichtiges Merkmal des kommunistischen und linken Antizionismus und Antagonismus gegen Israel war das entrüstete Beharren darauf, es handle sich um einen heimtückischen Kniff der Zionisten, wenn sie auch nur die leiseste Verbindung zu dem Antisemitismus der Vergangenheit andeuteten. Das war insofern wirkungsvoll, als es verlässlich half, das Thema zu wechseln. Vor dem Gericht der weltweiten öffentlichen Meinung in der UNO-Vollversammlung erlitt Israel damals eine doppelte Niederlage. Zum einen stimmte nur eine Minderheit der Staaten Israel zu, dass die gegen das Land gerichtete politische und militärische Offensive eine Form des Antisemitismus und Rassismus sei. Zum Zweiten musste Israel hinnehmen, dass seine staatslegitimierende Ideologie, der Zionismus, zu einer Form des Rassismus erklärt wurde, ja sogar seinerseits zu einer, im Wortlaut der Repräsentanten der PLO, Form des Antisemitismus, da er sich gegen die arabischen »Semiten« Palästinas richte. Am meisten schmerzte sicherlich die Assoziierung des Staates Israel mit dem Nationalsozialismus. In ihrer wichtigen Darstellung der arabischen Reaktionen auf den Holocaust gelangen Meir Litvak und Esther Webman zu dem Schluss, dass »die Gleichsetzung des Zionismus mit dem Nationalsozialismus […] unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges als Teil der arabischen öffentlichen Debatte begann«.[11]

Ich werde die Frage nicht beantworten können, ob die Assoziierung Israels mit NS-Deutschland in den arabischen Ländern oder in der sowjetischen Propagandamaschine nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Anfang genommen hatte. Es liegt jedoch auf der Hand, dass die Sowjetunion und ihre Verbündeten, wenn sie dem jüdischen Staat vorwarfen, Praktiken des »Dritten Reiches« nachzuahmen, erheblich dazu beitrugen, dass diese Unwahrheit zu einer allgegenwärtigen Maxime der weltweiten, nicht nur arabischen, politischen Kultur wurde.

Diese Punkte werfen die Frage auf, ob das ostdeutsche Regime womöglich die zweite antisemitische Diktatur im Deutschland des 20. Jahrhunderts war, ob Teile der westdeutschen radikalen Linken eine antisemitische Bewegung waren und ob beide gerade deshalb Anhänger fanden, weil der Hass auf Israel in Deutschland eine vertraute Tonart anschlug. Die weltweite und die deutsche antiisraelische Linke verwarfen solche Fragen als zionistische und imperialistische Propaganda, doch im deutschen Kontext ließen sich solche Themen nicht ganz so leicht beiseiteschieben. Hier spielte das Motiv ›Israel als Nazi‹ eine wichtige Rolle bei der Überwindung von Deutschlands »Judenkomplex«, wie ein westdeutscher Linker es formulierte, also aufgrund der Erinnerung an die deutsche Verantwortung für den Holocaust ein unterstellter Widerwille oder ein Hemmschuh, Israel zu kritisieren oder ihm entgegenzutreten. Mit der Gleichsetzung von Israel und NS-Deutschland gelang es den Staatskommunisten im Osten und der radikalen Linken im Westen von den 1960er bis in die 1980er Jahre hinein, den Kampf gegen Israel als antifaschistisch zu kodieren. Israel war zur Verkörperung der Übel des NS-Regimes geworden, das die Linken nach eigenem Bekunden verachteten.