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Robert Cohen

Abwendbarer Abstieg
der Vereinigten Staaten
unter Donald Trump

Das New Yorker Tagebuch

 

 

 

 

 

Wallstein Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

© Wallstein Verlag, Göttingen 2019

www.wallstein-verlag.de

 

ISBN (Print) 978-3-8353-3471-7

ISBN (E-Book, pdf) 978-3-8353-4352-8

ISBN (E-Book, epub) 978-3-8353-4353-5

Inhalt

Jahr 1

Die ersten hundert Tage

Die zweiten hundert Tage

Die dritten hundert Tage

Bis zum Ende des ersten Amtsjahrs

Jahr 2

Das erste Halbjahr

Das zweite Halbjahr

Jahr 1

Die ersten hundert Tage

Trump wurde am 8. November 2016 gewählt. In meinem Tagebuch ist die Wahlnacht ein schwarzes Loch. Auch am folgenden Tag und in den folgenden Wochen gibt es zu diesem epochalen Ereignis keine Einträge. Der Wahlausgang hatte mir die Sprache verschlagen. Das erste Notat zum Wahlausgang findet sich eineinhalb Monate nach der Wahl.

Freitag, 23. Dezember 2016 • Wir sind beherrscht von dem Gefühl, die Zeit stehe still. Wir befinden uns in einem Zustand der Unwirklichkeit, bevor mit Trump der Schrecken beginnt, den wir kommen sehen, ohne etwas dagegen tun zu können.

Montag, 26. Dezember 2016 • Aus einer Mail an unseren Freund Xandi in Zürich: »Wir verbringen ein paar Tage in unserem Häuschen in Shady, es ist eisig kalt, der Schnee, der an schattigen Stellen noch liegt, ist gefroren, und von den Bären, die wir hier im Frühjahr gelegentlich zu Gesicht bekommen, keine Spur – die machen ihren Winterschlaf. Wenn sie wieder aufwachen, wird Trump Präsident sein, und so wünschen wir ihnen einen möglichst langen Schlaf.«

Wir, die wir keinen Winterschlaf machen, schauen dem kommenden Jahr mit Beklemmung entgegen. Ich hatte nicht damit gerechnet, zu meinen Lebzeiten in Westeuropa – und schon gar nicht in den Vereinigten Staaten – noch einmal mit einem faschistischen oder faschistoiden Regime konfrontiert zu werden. Obwohl die Anzeichen sich im vergangenen Jahrzehnt mehrten. Nun ist es also so weit. Kein Verlass ist auf das Sprichwort »Es wird nicht so heiß gegessen wie gekocht.«

Freitag, 6. Januar 2017 • Der Zeitpunkt von Trumps Regierungsantritt nähert sich – ein Brandstifter als Chef der Weltfeuerwehr. Die Welt ist im gefährlichsten Zustand seit meiner Geburt. Und keine Gegenkraft, die sich dieser Entwicklung mit Aussicht auf Erfolg entgegenstellen könnte. Ich, der ich darauf hoffe, dass der menschen- und umweltvernichtende globale Kapitalismus auch den Widerstand dagegen aus sich hervorbringen werde, muss zuerst wünschen, dass die Welt dann noch besteht.

Montag, 9. Januar 2017 • Langsam lese ich mich durch die vor kurzem erschienene Ausgabe der Briefe von Christa Wolf, ein Gegengift gegen die Trumperei, die in wenigen Tagen installiert sein wird.

Tausend Jahre führten die schlimmsten Fehlkalkulationen, das übelste Versagen von Herrschern und Systemen zu Kriegen, von denen der Erste und der Zweite Weltkrieg die schrecklichsten waren. Aber sie waren natürlich keine »Welt«-Kriege, wenn damit gemeint sein sollte, sie hätten die ganze Welt überzogen und zerstört. Der nächste große Krieg wird ein wirklicher Weltkrieg sein. Um ihn zu verhindern, darf keine Fehlkalkulation, kein Versagen der Systeme passieren. Die Aussichten verschlechtern sich.

Freitag, 20. Januar 2017 • Am Donnerstag im Lanterna mit Lorena. Wir sprechen über Trump – das Thema dominiert alle Gespräche, die man hier zurzeit führt.

Heute ist Trumps Amtseinsetzung. Seit Wochen habe ich auf das Datum gestarrt. Gefühl eines nahenden Unheils, das nicht abzuwenden ist – ich teile es mit vielen.

Sonntag, 22. Januar 2017 • Beim Women’s March gestern schon beim Aussteigen aus der Subway in der Grand Central Station ein unvorstellbares Gedränge. Wir brauchten 20 Minuten, um ins Freie zu gelangen. Die Menschenmenge kommt kaum voran. Eineinhalb Stunden für einen Kilometer. Die Atmosphäre unter den Hunderttausenden fröhlich, frech, rosarote Katzen-(pussy)Mützen mit Katzenohren, wohin man schaut, Plakate und Spruchbänder, Frauenpower, Gefühl einer großen Gemeinsamkeit im Widerstand gegen die Trumperei.

Am Abend, unterm Eindruck dessen, was wir über die ersten Stunden von Trumps Regierung erfahren, verfliegt das Hochgefühl.

Mittwoch, 1. Februar 2017 • Die Arbeit an einem Beitrag über Christa Wolfs Briefe dient mir auch als Ablenkung vom täglichen Ansturm von Präsidialerlassen, mit denen der Pleitier im Weißen Haus alles, was Obama an Verbesserungen für den Alltag gewöhnlicher Menschen erreicht hat, rückgängig macht. Ich rechne damit, der erste Krieg – gegen den Iran – könnte innerhalb von Wochen ausbrechen.

Donnerstag, 2. Februar 2017 • Die New York Times (NYT) ist mir unverzichtbar geworden, weit mehr als The Nation, von der ich Opposition ohnehin erwarte und die mir zu zahm ist. Die Beiträge in der Wochenzeitschrift The Nation, der ältesten progressiven Zeitschrift der Vereinigten Staaten, hinken hinter der Aktualität her. Die Internetausgabe der NYT bringt mehrmals am Tag Analysen und Hintergrundberichte zu Trumps neuesten Entscheidungen und Machenschaften. Auf der Meinungsseite der Redaktion finden sich Formulierungen wie, Trump sei ein quatschender Trottel (blathering half-wit) – das war in dem gesetzten Blatt bisher undenkbar. Beschimpfungen ersetzen zwar nicht Analysen, aber sie helfen, den Boden unter den Füßen nicht zu verlieren.

Dienstag, 7. Februar 2017 • Täglicher Ansturm von Schreckensmeldungen aus dem Weißen Haus, Präsidialerlasse, Berufung von Generälen und dilettantischen rechtsextremen Milliardären ins Kabinett usw. Trump peitscht die Bevölkerung auf, heizt ihre Ängste an, strapaziert ihre Nerven. Er erklärt die USA zu einem belagerten, von Feinden bedrohten und übervorteilten Land, redet in apokalyptischen Bildern die Apokalypse herbei. Er regiert ohne Plan und Konzept. Er hat keine fassbare Ideologie, keine Überzeugungen, keine Vorstellung von Ethik und keine Moral. Dennoch lässt sich feststellen: Seine Wort- und Satzfetzen, seine Tweets, seine Denunziationen und Vorurteile, sein Mitarbeiterstab und sein autokratisches Gehabe ergeben das Profil eines Faschisten.

Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) vom 3. Februar, die Beiträge von Linken immer dann bringt, wenn sie Kritik an der Linken üben, hat eine Abrechnung Slavoj Žižeks mit Liberalen und einem Teil der Linken in den Vereinigten Staaten nachgedruckt. Sie seien, so Žižeks berechtigte Kritik, Hillary Clintons multikulturellem Gerede auf den Leim gekrochen und hätten damit die Wahl von Bernie Sanders zum Präsidentschaftskandidaten der Demokraten verhindert. Das Hauptproblem sind allerdings nicht die von Žižek abgekanzelten Demokraten, sondern es ist die republikanische Parteielite. Sie haben Trump zwar nicht gewollt, inzwischen aber unterstützen sie selbst seine abwegigsten Unternehmungen.

Jenna sagt, viele ihrer Patientinnen und Patienten könnten von nichts anderem mehr reden als von Trump. Sie erwarteten von ihr zusätzlich zur psychologischen auch noch politische Therapie. Andere Psychologinnen und Psychologen hätten dasselbe Problem. Ich halte ihren Patienten, aber auch uns selbst einen Satz aus Lessings Emilia Galotti zugute: Wer über gewisse Dinge nicht den Verstand verliert, der hat keinen.

Donnerstag, 9. Februar 2017 • Immer wieder die Frage, wie ausgerechnet Menschen aus der Unterschicht Trump wählen konnten. Als Antwort ein Video: Während des Wahlkampfs besucht Trump eine mittlere Stadt in der Provinz. Schon Stunden vor seiner Ankunft versammeln sich die Menschen auf dem Flughafen. Mit dem freudig aufgeregten Warten wächst die Erwartung. Viele der Wartenden leben an der Armutsgrenze, manche nagen am Hungertuch. Da sie sich in den politischen und ökonomischen Programmen der Eliten in Washington dauerhaft übergangen sehen, werden sie Trump wählen, der ihnen das Blaue vom Himmel herunter verspricht. Erwartungsvoll starren sie in den leeren blauen Himmel. Da endlich ein winziger Fleck, der rasch größer wird. Eine riesige Boeing 757 landet und rollt mit röhrenden Motoren vor der Menge aus, auf dem Rumpf in meterhohen Lettern TRUMP. Ein einzelner Mann entsteigt dem Flugzeug, steigt die Rampe hinunter und tritt an ein Rednerpult, das so aufgestellt ist, dass die Wartenden ununterbrochen das Riesenflugzeug vor Augen haben. Das also ist er, der sagenhafte Milliardär. Überwältigt von einer Art kollektiver Epiphanie hören die so lange darauf gewartet haben, kaum auf das inhaltslose Geschwafel, das dem Redner entfährt. Die Erscheinung könnte nicht stärker sein, wenn der Messias gelandet wäre.

Freitag, 10. Februar 2017 • Gemeinsam ist der Rhetorik Trumps und anderer Autokraten die Darstellung des eigenen Landes als Opfer, der Eliten als korrupt und der Zustände als miserabel.

Die Darstellung der eigenen Gemeinschaft als Opfer ist ein beliebter Trick von Demagogen. Die Volksmassen fühlen sich oft, und nicht zu Unrecht, als Opfer der Mächtigen (zu denen die Demagogen selbst gehören). Die Opfer-Rhetorik mündet unvermeidbar in die Frage, wer daran schuld sei. Bei den Nazis waren es die Juden, bei Trump sind es Muslime und Immigranten.

Auch das Anprangern der Eliten als korrupt tut seine Wirkung, es stimmt ja auch, nicht zuletzt für Trump selbst, den elitärsten aller Elitisten. Seine Wahl macht eine Entwicklung weithin sichtbar, die Jahre vor ihm begann: In den westlichen Demokratien verschiebt sich die Macht von den Politikern zu wenigen Überreichen und zum transnationalen Kapital.

Dass die herrschenden Zustände miserabel seien, kommt zumindest bei jenem Teil der Bevölkerung gut an, für den das zutrifft. Auch Bernie Sanders hat so argumentiert. Im Gegensatz zu Trump hatte er eine Vorstellung davon, wie die miserablen Zustände zu verbessern wären.

Montag, 13. Februar 2017 • Die NYT veröffentlicht einen von dreiunddreißig Psychiatern und Psychologinnen unterschriebenen Brief, der mit der Feststellung schließt: »Wir glauben, dass Mr. Trumps Sprechweise und Handlungen auf eine schwerwiegende emotionale Unausgeglichenheit weisen, die ihn unfähig macht, das Amt des Präsidenten zuverlässig auszuüben.«

Dienstag, 14. Februar 2017 • In der NYT die Antwort eines Psychiaters auf den offenen Brief von gestern: »Schlechtes Benehmen ist selten ein Beweis für Geisteskrankheit. Psychiatrische Beschimpfungen führen beim Widerstand gegen Mr. Trumps Angriffe auf die Demokratie in die falsche Richtung. Er kann und muss auf angemessene Weise an den Pranger gestellt werden wegen seiner Ignoranz, seiner Inkompetenz, seiner Impulsivität und wegen seines Strebens nach diktatorischer Macht.«

Donnerstag, 16. Februar 2017 • Das Chaos im Weißen Haus hält das Land, ja die Welt, in Aufregung. Mir fallen keine historischen Vergleiche ein. Hitler war ja kein Chaot, im Gegenteil hat er Deutschland mit Ordnungsbesessenheit geführt. Ich versuche den Gedanken nicht zu denken, was der Chaot Trump mit dem Finger auf dem Nukleardruckknopf – der früheren Autokraten nicht zur Verfügung stand – anzurichten imstande ist.

Damit Trump Präsident werden konnte, mussten sehr verschiedene Momente in eins fallen:

– die Erosion der Demokratie durch die Tea Party und die republikanische Partei

– die Erosion der Demokratie durch ungebremsten Geldfluss

– die technologischen Möglichkeiten des Internets, besonders der sozialen Medien

– die Tatsache, dass Trump ein Milliardär ist. Das ist mehr als ein quantitativer, es ist ein qualitativer Sprung. Der Vergleich mit Berlusconi und anderen auf legalem Weg an die Macht gekommenen Oligarchen funktioniert nicht angesichts der vergleichslosen wirtschaftlichen und militärischen Macht der Vereinigten Staaten. Aber auch angesichts der singulären Persönlichkeit Trumps, eines Charakterlumpen ohne inneres Zentrum, und angesichts eines Wahlsystems, bei dem der Präsident nicht direkt durch die Bevölkerung, sondern durch die Wahlmänner und -frauen des Electoral College gewählt wird. Diese Institution stammt aus der Zeit der Staatsgründung, ihren Hintergrund bildet die Sklaverei. Da Sklaven nicht wählen duften, wären bei der direkten Volkswahl die Südstaaten mit ihrer geringeren Anzahl Wähler im Nachteil gewesen gegenüber den Nordstaaten, wo es weniger Sklaven gab. Die nicht voraussehbare Folge des Electoral College: Heute sind die ländliche Bevölkerung und die kleineren Bundesstaaten überrepräsentiert.

Sonntag, 19. Februar 2017 • Mit den mehrfachen Verweisen auf Hitler will ich nicht nahelegen, Trump sei gleich Hitler. Die Analogie ist unangemessen, weil sie den Hitlerstaat verharmlost, aber auch, weil sie den Blick auf Aspekte verstellt, die nur für die Regierung Trump gelten. Wahr ist allerdings, dass Trumps Anhänger nicht selten den Hitlergruß zeigen, wahr ist, dass Trumps Chefstratege Steve Bannon, Mitbegründer der rechtsextremen Website Breitbart News, in den Medien wiederholt in die Nähe der Nazis gerückt wird, und wahr ist, dass sich Trump weder von Gruppierungen, die die Vorherrschaft der weißen Rasse herbeiwünschen, noch vom Ku-Klux-Klan angemessen distanziert hat.

Mittwoch, 22. Februar 2017 • Trumps Antisemitismus wird von seinen jüdischen Anhängern – davon gibt es nicht wenige – heruntergespielt, aber auch von Zionisten, die von einem Groß-Israel träumen. Sie verweisen auf Trumps jüdischen Schwiegersohn und seine zum Judentum konvertierte Tochter – ein über alle Maßen einfältiges Argument. Neulich schwadronierte Trump, ob Ein- oder Zweistaatenlösung in Israel / Palästina, sei gleichgültig. Das lässt seine zionistischen Anhängerinnen und Anhänger hoffen, er werde ihre Ziele unterstützen. Sie übersehen, dass die überreichen arabischen Ölstaaten eine weit größere Anziehungskraft auf den Pleitier im Weißen Haus ausüben als der Judenstaat. Zionistische Borniertheit und Wunschdenken verstellen Trumps jüdischen Anhängern den Blick auf die Wirklichkeit, in der es seit seiner Amtseinsetzung täglich zu Drohungen gegen jüdische Institutionen und zu Vandalismus gegen jüdische Friedhöfe kommt. Im Übrigen gilt: Wer zu Drohungen und Vandalismus gegen muslimische Institutionen schweigt, soll auch zu Antisemitismus schweigen.

Donnerstag, 23. Februar 2017 • Unter Trump verludert der öffentliche Diskurs. Damit meine ich nicht nur seine Hassreden, seine Aggressivität und seine Überheblichkeit, auch nicht nur sein Verdrehen und Verleugnen von Fakten, sondern seine Sprache selbst, seine kruden Parataxen und vor allem seine Lexik. Der Philologe und Romanist Victor Klemperer, der als Jude in Deutschland den Zweiten Weltkrieg überlebte‚ hat in seinem 1947 erschienenen Buch LTI (Lingua Tertii Imperii) gezeigt, welch zentrale Funktion die Sprache – besser: die Ausdrucksweise – der Nazis für die Herausbildung des sogenannten Dritten Reichs und für die Schaffung einer Hitler blind folgenden Bevölkerung hatte (statt Bevölkerung sagte man in der Nazisprache Volksgemeinschaft). Ein eigenes Kapitel hat Klemperer der Verwendung des Superlativs gewidmet. Hitler und seine Unterlinge verwendeten unablässig die höchste Steigerungsstufe, machten sie zum neuen Positiv. Auch Trump verwendet unablässig den Superlativ. Er hat die größte Anhängerschaft aller Präsidentschaftskandidaten / er ist, so wörtlich, der größte Arbeitsplatzbeschaffer, den Gott geschaffen hat / niemand hat mehr Respekt vor Frauen als er / sein Regierungskabinett hat bei weitem den höchsten Intelligenzquotienten aller Kabinette (hier tritt der Superlativ gleich doppelt auf) / er ist der am wenigsten antisemitische Mensch, der einem je begegnet ist, usw. Für Trump ist alles tremendous (enorm, gewaltig, ungeheuer, riesig), unbelievable (unglaublich, unfassbar, sagenhaft), amazing (einmalig, vergleichslos, außerordentlich, phänomenal) usw.

So reden Halbwüchsige. Diese Redeweise macht alle Einwände und Nuancierungen platt und hält die Bevölkerung in einem Zustand dauernder Erregtheit. Der politische Diskurs verkommt zu einem Geschrei, in dem die Vernunft untergeht. Man kann auch sagen, Trumps Redeweise untergräbt die Demokratie.

Sonntag, 26. Februar 2017 • Nochmals zur Sprache. In der NYT äußert sich ein Fachmann für politischen Jargon zu Steve Bannons Wortwahl:

– Bannon spricht von ökonomischem Nationalismus. Er sieht die USA in einem Wirtschaftskrieg zwischen den sogenannten Nationalisten und den sogenannten Globalisten. In dieser Weltsicht schaden der internationale Handel und die Immigration den Interessen der Vereinigten Staaten und untergraben ihre nationale Identität.

– Bannon spricht von Souveränität. Die Souveränität der Vereinigten Staaten ist angeblich in Gefahr. Hinter dieser Haltung steht weniger ein neuer Isolationismus als ein neuer Nationalismus, der sich in einem Überlebenskampf um die Hegemonie der eigenen Kultur wähnt. Nach Bannon hat jede Nation eine unveränderliche kulturelle Identität – er spricht von Grundwerten (core values) –, die durch Globalisierung und Einwanderung untergraben wird. Die Identität der Vereinigten Staaten wird hier verstanden als weiß und christlich. – Ich brauche kaum hinzuzufügen, in welchem Maß solche Ansichten auch anderswo sich durchsetzen.

– Bannon spricht von Dekonstruktion des Verwaltungsstaats (deconstruction of the administrative state). Man muss genau auf das Vokabular achten. Mit Dekonstruktion ist ein komplexer Begriff des französischen Poststrukturalismus ins Vokabular eines reaktionären Demagogen eingewandert. Und Verwaltungsstaat ist ein Neologismus der Rechten, der nahelegt, das Ziel staatlicher Lenkungsmaßnahmen zum Schutz der Bürger vor einem ungezügelten Neoliberalismus sei die Gängelung der Bevölkerung. Die Maßnahmen gehörten abgeschafft, und mit ihnen die staatlichen Institutionen und letztlich die Demokratie selbst. Trump dagegen soll mehr Macht erhalten.

– Bannon spricht von globalisierten Medien. Seine (und Trumps) unablässigen Attacken auf die Presse beruhen auf dem Feindbild von einer unsichtbaren internationalen Elite, die nur aufs Geschäft aus ist, die die Nationalstaaten bewusst untergräbt und gegen die Interessen einfacher Menschen handelt. Das ist das Vokabular der Antisemiten.

Dienstag, 28. Februar 2017 • Unter den verschiedenen Antworten auf die Frage, wie Trump so viele Stimmen aus der weißen Arbeiterklasse und aus der Unterschicht erhalten konnte, ist der Hinweis auf die wachsende Armut im reichsten Land der Welt die nützlichste, weil er ein Eingreifen erlaubt. Die Floskel vom reichsten Land der Welt deckt allerdings zu, was aufgedeckt werden müsste: Immer mehr Menschen arbeiten für einen Lohn, der sie unterhalb der Armutsgrenze hält. Immer mehr Mütter mit Kindern und immer mehr alte Menschen haben jeden Tag die Wahl zwischen Essen und Medikamenten, zwischen Sneakers für die Kinder und Benzin, denn ohne Auto können sie nicht zur Arbeit. Diese Wahlen und nicht die Präsidentschaftswahl sind für sie lebensentscheidend. Damit sollen der Rassismus, der Fremdenhass und der unchristliche Fundamentalismus vieler Trumpwählerinnen und -wähler nicht relativiert werden. Aber wahr ist, niemand vertritt in Washington die Nöte der Unterschicht, und so haben viele Trump aus einer Art Notwehr gewählt.

Jedoch hat Trump auch viele Stimmen der weißen Mittelklasse erhalten, besonders von Vertretern der Kategorie »zornige weiße Männer« (nach dem Titel eines Buches von 2013). Von Arbeitslosigkeit und Abstieg bedroht, aber auch von selbstbewussten Frauen wie Hillary Clinton und Michelle Obama, fühlen sie sich in ihrer Männlichkeit beschädigt. Da halten sie sich an einen Kerl wie Trump, der sich damit brüstet, Frauen zwischen die Schenkel zu langen, und der, ganz wie sie, seiner Wut auf Andersdenkende freien Lauf lässt.

Dienstag, 7. März 2017 • An manchen Tagen scheint mir, ich dürfe an nichts anderes mehr denken als daran, dass Trump die Menschheit in absehbarer Zeit zum Verschwinden bringen könnte. Dann wieder sage ich mir, dass es, falls das stimmt, Zeitverschwendung wäre, ständig daran zu denken, und ich meine Zeit besser mit dem Nachdenken darüber zubringen sollte, wie es zu verhindern sei.

Mittwoch, 8. März 2017 • Internationaler Frauentag. Zahlreiche Protestdemonstrationen im ganzen Land, darunter auch eine im nahen Washington Square Park. Ich frage mich, wie lange es dauern wird, bis die sich häufenden Protestdemonstrationen sich zu einem Ritual verfestigen. Wirkungsvoller ist vermutlich der telefonische oder E-Mail-Protest bei den sogenannten Volksvertretern, die ja wiedergewählt werden wollen. Trotzdem sind wir hingegangen. Die Menge kleiner als beim Women’s March vor ein paar Wochen. Damals herrschte in der unabsehbaren Menge Hochstimmung. Heute gingen wir mit der Haltung von Besiegten nach Hause.

Donnerstag, 9. März 2017 • Noch einmal zum internationalen Frauentag. Die Organisatorinnen hatten die Frauen aufgefordert, an diesem Tag die Arbeit zu verweigern und stattdessen zu den Demonstrationen zu kommen. Darüber war eine Diskussion entbrannt. Es wurde argumentiert, weiße Mittelständlerinnen hätten leicht reden, Frauen aus der Unterschicht seien auf den Tageslohn angewiesen und könnten nicht riskieren, wegen Fernbleiben ihre Stelle zu verlieren. Hier wurde sichtbar, was in den Emanzipationskämpfen der Frauen oft im Vagen bleibt: der Klassenunterschied. Diese Problematik gibt es bei Arbeiterstreiks nicht. Die Streikenden bringen alle das gleiche Opfer. Wer nicht streikt, kann zur Solidarität ermahnt oder als Streikbrecher geächtet werden. Das war beim Frauentag nicht gegeben. Es kam nicht in Frage, dass mittelständische Frauen die zum großen Teil nichtweißen Arbeiterinnen aus der Unterschicht zur Solidarität mahnten. Die Organisatorinnen umgingen das Problem, indem sie jenen Frauen, die nicht von der Arbeit fernbleiben konnten, empfahlen, am Arbeitsplatz Solidarität zu demonstrieren, etwa indem sie rote Kleidungsstücke trugen. So fehlten bei den Demonstrationen gerade jene Frauen, deren Bedürfnisse im Zentrum standen und deren Anwesenheit dem Protest erst das nötige Gewicht gegeben hätte.

Mittwoch, 15. März 2017 • Auf der Titelseite der NYT ein kritischer Beitrag über die Dilettanten und Amateure in Trumps Kabinett. Der Artikel impliziert, Fachleute würden ihre Sache besser machen. Da ist zu beachten, dass in den Begriffen Amateur und Dilettant zwei unterschiedliche Bedeutungen zusammenfließen: Mangel an Erfahrung und Mangel an Wissen. Mangel an Erfahrung braucht kein Negativum zu sein. Gerade die Politik zeigt, sogenannte Fachleute können immer wieder die gleichen Fehler machen. Mangel an Erfahrung kann durchaus frischen Wind in die Segel bringen. Mangel an Wissen allerdings – und das ist es, was Trumps Berater eint – ist immer gefährlich.

Freitag, 17. März 2017 • Ich kann mir nicht helfen, die Angriffe des Pleitiers[1] und seines Pressesprechers Sean Spicer auf die Presse erinnern mich an Nazideutschland. In den Gestapo-Akten zu Olga Benario, die ich im vergangenen Jahr als Buch veröffentlicht habe, ist vielfach von der ausländischen »Hetzpresse«, von »Pressehetze« und von »verlogenen Hetzkampagnen« die Rede. Trumps Attacken richten sich – da er noch keine diktatorische Kontrolle über sie hat – gegen die Inlandspresse, aber das Vokabular ist dasselbe.

Samstag, 18. März 2017 • Auf der Buchvernissage für Kathy Ruttenberg sagt jemand, seit der Wahl von Donald Trump habe die Adoption von Hunden und Katzen zugenommen.

Donnerstag, 23. März 2017 • Die politischen Vorgänge haben etwas Irreales. Journalistinnen und Journalisten beginnen ihre Meldungen aus Washington mit der Feststellung, Trumps Verhalten, seine Lügen, seine Indifferenz gegenüber Fakten seien ohne Beispiel und Maß. Die Folge: Den Journalistinnen und Journalisten kommen ihrerseits die Maßstäbe abhanden. Auch mir scheint in diesen Tagen, die Vernunft stoße an Grenzen. Um diesem Eindruck nicht nachzugeben, mahne ich mich an eine Passage aus Peter Weiss’ Stück Trotzki im Exil: »Wenn die Vorgänge nicht mehr fassbar scheinen, gerade dann muss unsre Vernunft einsetzen. Wir haben nur diese einzige Waffe.«

Am Abend nimmt dann das Irrationale doch noch überhand. Die Medien melden, die Drohungen, in den vergangenen Wochen, gegen Synagogen und andere jüdische Einrichtungen in den Vereinigten Staaten, stammten von einem israelischen Teenager.

Samstag, 25. März 2017 • Der Tea-Party-Flügel der Republikaner hat den Versuch der eigenen Partei verhindert, Obamacare zu Fall zu bringen. Die Parteielite hatte angenommen, nach der Wahl Trumps, des Wunschkandidaten der Tea Party, würden die Ultrarechten ihre Renitenz gegenüber der Parteiführung aufgeben. Das hat sich als Fehlkalkulation erwiesen. Die Tea-Party-Leute, im Repräsentantenhaus seit zwei Jahren unter dem Namen Freedom Caucus organisiert, setzen ihre Obstruktion nach der Amtseinführung Trumps bruchlos fort.

Donnerstag, 30. März 2017 • Vor wenigen Tagen machte ein Foto die Runde durch die Medien. Es zeigt Mitglieder und Sympathisanten des Freedom Caucus bei einem Treffen mit Trump, bei dem es um die Zurücknahme von Obamas Gesundheitsreform geht. Man sieht einen langgezogenen Konferenztisch, um ihn sitzen ausschließlich Männer.

Es sieht nicht danach aus, als ob wir erfahren werden, was hinter Trumps Anbiederei bei Putin steckt, ob Bewunderung für einen nationalkonservativen Strongman wie er selbst, ob politische Idiotie, Profitmacherei oder Korruption. Korrupt sind aber auch die Untersuchungsausschüsse, die unter republikanischer Führung eher Vertuschungsausschüssen gleichen. Die Demokraten ihrerseits sehen keinen Deut besser aus, wenn sie mit dem schnarrenden Vokabular des Kalten Kriegs Russland als Schurkenstaat und Putin als Oberschurken schmähen. Die allseitigen Verdächtigungen, Vernebelungen und Verleumdungen ergeben ein Selfie vom gegenwärtigen Zustand in Washington.

Montag, 3. April 2017 • Seit Trumps Amtseinsetzung vor sechs Wochen befindet sich das Land in einem Geschwindigkeitstaumel. Die kürzeste Zeiteinheit ist der Tweet, die längste nicht länger als Trumps Aufmerksamkeitsspanne. Fakten werden geleugnet, noch bevor sie geklärt sind, die Schlagzeile ist überholt, eh sie getippt ist. Die entfesselte Beschleunigung fesselt das Denken. Bevor man sich zu einem Vorgang eine Meinung bilden kann, ist er von drei anderen verdrängt, die ihrerseits den Tag nicht überdauern. Der Geschwindigkeitsrausch täuscht Aktivität vor, wo nichts ist als leere Bewegung, hektischer Stillstand, außer Kontrolle geratene Schaumschlägerei, die auf fatale Weise materielle Gewalt wird.

Die Risse innerhalb der republikanischen Partei werden sich mit der von Trump vorgesehenen Importsteuer (border tax) noch vertiefen. Was der einen Clique von Überkapitalisten hilft, schadet einer anderen. Von solchen Gegensätzen verspreche ich mir mehr als von der Opposition der Demokraten. Ich klammere mich an Brechts Motto (über seiner Schrift »Der Dreigroschenprozess«): »Die Widersprüche sind die Hoffnungen!«

Samstag, 8. April 2017, Zürich • Die Distanz wirkt lindernd auf die angespannten Nerven. – Über Trumps Raketenangriff auf einen syrischen Militärflugplatz sind selbst seine Gegner, von den Demokraten mit der eisenfresserischen Hillary Clinton an der Spitze bis zu Liberalen[2] und Progressiven, ins Schwärmen geraten (»Jetzt ist er wirklich unser Präsident«). Sie unterstützen den Präsidenten – ich muss mich dazu überwinden, ihn so zu nennen – ausgerechnet bei seiner größten Pleite. Allerdings lehnen auch ultrarechte Trumpwähler die Militäraktion ab. Auf wessen Seite ist die Moral? Die bessere Frage lautet, wessen Moral wem nützt, wer profitiert und wer die Zeche bezahlt.

Montag, 10. April 2017, Zürich • Laut NYT-Kolumnist Charles Blow haben die neunundfünfzig auf Syrien abgeschossenen Marschflugkörper, die nun ersetzt werden müssen, einen Wert von sechzig Millionen Dollar. Die Aktien der großen Waffenschmieden, so Blow, seien übers Wochenende um fünf Milliarden gestiegen. »Die Dividenden steigen, und die Proletarier fallen«, schrieb Rosa Luxemburg vor ziemlich genau hundert Jahren in der Junius-Broschüre.

Donnerstag, 13. April 2017, Zürich • In der NZZ warnt der Historiker Caspar Hirschi, der Vergleich zwischen Trump und Hitler sei ahistorisch. Im Gegensatz zu Hitler, der die noch keineswegs gefestigte Demokratie der Weimarer Republik liquidiert habe, werde Trump die US-Demokratie schon nicht »aus den Angeln heben«, sie sei immerhin die »älteste, mächtigste und stabilste Demokratie der Welt«. Das ist seinerseits ahistorisch, als ob die US-Demokratie eine unveränderliche Größe wäre. Der Historiker spannt den Wagen vor das Pferd: Nicht Trump hebt die Demokratie aus den Angeln, sondern die Republikaner haben das seit der Präsidentschaft Ronald Reagans getan. Indem sie die demokratischen Institutionen zunehmend delegitimierten (»weniger Staat«) und durch Geldflüsse korrumpierten, haben sie die Wahl des von jedem Demokratieverständnis freien Bauunternehmers ermöglicht. Trump ist Symptom, nicht Ursache. Mir stellt sich die Frage, ob die Transformation der US-Demokratie in eine Oligarchie überhaupt noch umkehrbar ist.

Dienstag, 18. bis Freitag, 21. April 2017, Bernburg / Prettin / Rudolstadt • Noch am Tag seiner Amtseinsetzung unterzeichnete Trump das Dekret, mit dem Obamacare rückgängig gemacht werden soll. Bis heute folgten zahlreiche weitere Erlasse, darunter:

ein Verbot von Entwicklungshilfezahlungen an ausländische Gesundheitsorganisationen, sofern diese auch Abtreibungen ermöglichen;

ein Erlass über die Wiederaufnahme der Bauarbeiten an der Keystone XL Pipeline, die von Obama als umweltschädigend gestoppt worden waren;

ein Memorandum über die Wiederaufnahme von Bauarbeiten an der Dakota Access Pipeline, die wegen voraussehbarer Umweltschäden, aber auch, weil sie durch eine für die Indianer heilige Stätte führen würde, von Obama gestoppt worden war;

ein Erlass über den Bau einer Mauer entlang der US-Grenze zu Mexiko;

die Annullierung eines Gesetzes zum Schutz der Bürger vor den Exzessen von Banken und Finanzinstituten;

ein Erlass über die Einstellung von zehntausend zusätzlichen Grenzwächtern, um die Deportation von illegalen Einwanderern zu beschleunigen;

ein neunzigtägiger Einreisestopp für Menschen aus sieben islamischen Ländern; ein Einreisestopp für Flüchtlinge während hundertzwanzig Tagen; und ein Einreisestopp für Flüchtlinge aus Syrien auf unbestimmte Zeit. Diese Erlasse wurden wenige Tage später von einem Gericht annulliert;

ein Memorandum über die Erhöhung der Militärausgaben. – Zum Vergleich: Im Jahr 2015 betrugen die Militärausgaben der Vereinigten Staaten knapp sechshundert Milliarden Dollar. Sie waren mehr als zweieinhalbmal so hoch wie die chinesischen und neunmal höher als die russischen. Anders gesagt, sie waren höher als die chinesischen, saudi-arabischen, russischen, britischen, französischen, japanischen, deutschen und italienischen zusammen;

eine Revision von Obamas Erlassen zum Schutz von Seen, Flüssen und anderen Gewässern mit dem Ziel, die Zahl der Wasserschutzgebiete zu verringern;

ein zweiter, etwas enger gefasster Erlass über einen Einreisestopp für Menschen aus islamischen Ländern. Auch dieser Erlass wurde wenige Tage später von einem Gericht ausgesetzt;

ein Erlass, mit dem Obamas Clean Power Plan, der die Erderwärmung verlangsamen sollte, außer Kraft gesetzt wird;

ein Erlass, durch den die Vereinigten Staaten die Zahlungen an den United Nations Population Fund einstellen. Die Hauptaufgabe des Fonds ist der Schutz von Frauen und Kindern vor Gewalt, das Befördern der Gesundheit von Schwangeren und Müttern und Familienplanung, vor allem in den ärmsten Ländern der Welt;

ein Erlass, durch den Planned Parenthood, einer Organisation, die Frauen, besonders aus der Unterschicht, medizinische Versorgung, Empfängnisverhütung und Abtreibung ermöglicht, die finanzielle Unterstützung entzogen wird.

Montag, 24. April 2017, Berlin • Beim Frühstück im Hotel lese ich in der NYT Trumps neuesten Tweet, die Grenzmauer zu Mexiko müsse nun dringend gebaut werden. Später spaziere ich mit Pit in der Vormittagssonne an der nahen Gedenkstätte Berliner Mauer in der Bernauer Straße vorüber. Vor dem bunkerartigen Bau und oben auf der Aussichtsplattform drängen sich Touristinnen und Touristen, um die verwitterte Spur zu betrachten, die die längst abgerissene Mauer hinterlassen hat.

Samstag, 29. April 2017, Shady • Seit drei Tagen bin ich zurück in New York, heute Vormittag sind wir hier heraufgekommen. Das kleine Haus hat dem Winter standgehalten. Die steinerne Mauer, die den Garten vom Wendeplatz trennt, ist unterm Druck der durchnässten Erde windschief geworden und muss gerichtet werden. Bären sind keine zu sehen. Heute ist Trump hundert Tage im Amt. Die Waldlichtung jenseits der Zufahrt ist schneefrei. Hier, denke ich, könnte man Kartoffeln und Gemüse anbauen.

 

 

 

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[1]Trump hat viermal Bankrott gemacht: 1991 mit dem Taj Mahal Casino in Atlantic City, 1992 mit dem Plaza Hotel in Manhattan, 2004 mit Trump Hotels and Casinos Resorts, 2009 mit der Nachfolgeorganisation Trump Entertainment Resorts.

[2]Im US-Sprachgebrauch bezieht liberal sich nicht auf eine politisch-ideologische Tradition in der europäischen Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts. Als liberal bezeichnet man eine Haltung von Toleranz und Aufgeschlossenheit und ein Maß an Fairness gegenüber den gesellschaftlich Benachteiligten.

Die zweiten hundert Tage

Dienstag, 16. Mai 2017 • Seit mehr als zwei Wochen keine Notizen zu Trump, benommen vom Anprall der Erlasse, Dekrete, Tweets, Erklärungen, Zurücknahmen und Gegenerklärungen.

Beim Zusammensein, vorgestern, mit alten Freunden, ging es fast nur um Trump. Unsere über Jahrzehnte geführten anregenden Gespräche sind auf dieses Thema zusammengeschnurrt. Der Abend veranlasste mich, diese Notizen wiederaufzunehmen. Ich wollte zu Trumps Entlassung von FBI-Direktor James Comey Notizen machen, in dem Sinn, diesmal sei der Pleitier endlich doch zu weit gegangen. Da verbreitete sich gestern Nachmittag die Nachricht, Trump habe, um sich vor dem russischen Außenminister wichtig zu machen, geheime Informationen ausgeplaudert. Vergessen Comey, vergessen die gestrigen und vorgestrigen Debakel. Geschwind schreibe ich das auf, bevor es vom nächsten Eklat aus Washington überholt ist.

Debakel, Fiasko, Eklat, Chaos, Bankrott: Das Vokabular der Nachrichtenmedien im Umgang mit der Regierung entwickelt sich zu einer eigenen Trump-Philologie.

Freitag, 19. Mai 2017 • Der Einzige, der das Chaos im Weißen Haus nicht wahrzunehmen scheint, ist der Chaot, der es verursacht. In den vergangenen drei Tagen hat Trump:

– den türkischen Präsidenten Erdoğan gepriesen, dessen Leibwächter wenig später vor der türkischen Botschaft in Washington Demonstranten krankenhausreif schlugen;

– geleugnet, den gefeuerten Comey gebeten zu haben, die FBI-Untersuchung gegen ihn wegen seiner Russlandkontakte einzustellen (das inkriminierte Verbrechen wäre Behinderung der Justiz – obstruction of justice);

– die vor zwei Tagen erfolgte Ernennung Robert Muellers zum Sonderermittler mit der Behauptung kommentiert, kein Präsident in der Geschichte der USA sei so mies behandelt worden wie er (noch als Opfer ist er der Größte).

In der Leserbriefspalte der Nation, die ich meist mit einer Verspätung von etwa zehn Tagen lese, ist über Russlands mögliche Intervention bei den US-Wahlen ein Disput ausgebrochen. Der Russlandfachmann Stephen Cohen, emeritierter Historiker der New York University, hatte die Linke davor gewarnt, in den Ruf nach einem Sonderermittler einzustimmen, damit unterstütze sie die trotz des Endes des Kalten Krieges noch immer virulente Antirusslandhetze. Victor Navasky, langjähriger Verleger und ehemaliger Herausgeber der Nation, argumentierte im nächsten Heft ähnlich und zog einen Vergleich mit der antisowjetischen Hetze der McCarthy-Ära. In ihrer Kolumne widersprach Katha Pollitt und wies den Vergleich mit der McCarthy-Ära zurück. In der neuen Nummer nun präzisiert Navasky, worum es ihm geht: Wenn Trump und die Seinen der Zusammenarbeit mit Russland schuldig sein sollten, indem sie in die US-Wahlen eingriffen, haben sie das Gesetz gebrochen und müssen zur Verantwortung gezogen werden. Aber in einer von Nuklearwaffen, dem IS und vom Klimawandel bedrohten Welt scheint es mir wichtiger denn je, mit unseren Gegnern (besonders mit Putin) zu sprechen und auf eine Entspannung hinzuarbeiten. Der Nation-Kolumnist Patrick Lawrence weist ebenfalls auf die Notwendigkeit einer Entspannungspolitik hin. Und Greg Grandin, Historiker an der New York University und Mitherausgeber der Nation, warnt, Trump sei durch den Nachweis von Kollusion nicht zu Fall zu bringen, jedoch wachse mit weiteren Ermittlungen die Gefahr, dass er mit einem Militärschlag von seinen Problemen ablenken werde. In einer weiteren Entgegnung argumentiert Pollitt, es müsse möglich sein, der Russlandangelegenheit auf den Grund zu gehen, ohne gleich den dritten Weltkrieg heraufzubeschwören. Anders als Pollitt fehlt mir das Vertrauen in das FBI, das in dieser Sache ermittelt. J. Edgar Hoover hat ihm vor einem halben Jahrhundert den Antikommunismus eingeimpft, der nun als Feindseligkeit gegen Russland weiterwirkt. Sollte sich eine russische Einmischung in die Wahlen nachweisen lassen, wäre daran zu erinnern, dass die Geheimdienste der Vereinigten Staaten in ungleich größerem Maß in zahlreichen Ländern, vom Nachkriegs-Italien und dem damaligen Persien über Indochina, den Kongo und Vietnam bis zu Chile, Nicaragua, der winzigen Karibikinsel Grenada, Venezuela und nicht zuletzt in Russland selbst (mit Unterstützung des Trunkenbolds Jelzin) in die Selbstbestimmung anderer Nationen eingegriffen, demokratisch gewählte Regierungen gestürzt und Diktaturen gestützt haben.

Sonntag, 21. Mai 2017 • Trump-Philologie. Charles Blow in der NYT über Trump: »unberechenbar, selbstzerstörerisch, autoritär, pathologischer Lügner, bombastisch, unflätig.«

Ebenfalls in der NYT vergleicht Robert A. Burton, ehemaliger Leiter der Neurologie an der University of California, Trump mit einem sich selbst regulierenden, mit künstlicher Intelligenz ausgestatteten Roboter, dessen Lernprozess frei sei von mitmenschlichen Rücksichtnahmen. Bereits vor zwei Tagen hatte die Kinderpsychologin Alison Gopnik von derselben Universität in der NYT darauf hingewiesen, Trump gebärde sich keineswegs wie ein Kind, dazu fehlten ihm bei Vierjährigen nachweisbare Eigenschaften wie Konzentrationsfähigkeit, Neugier, Empathie, Altruismus, Sinn für Wahrheit und moralisches Verhalten. Ich gebe in der Politik nicht besonders viel auf Psychologisierungen; politisches Handeln ist angeleitet von handgreiflichen Interessen, Konzepten, Programmen, Ideologien und von den Institutionen, durch die sie wirken. Das macht Politik einigermaßen voraussehbar. Da jetzt einer ohne Vernunft, Konzept und Programm und weitgehend außerhalb traditioneller Institutionen (Parlament, Ministerien und selbst die eigene Partei) regiert, ist das Verstehen zurückgeworfen auf Versuche, sein Gebaren psychologisierend zu fassen.

Trump-Philologie. Burton in der NYT: »Narzisst, Megalomane, Psychopath mit Aufmerksamkeitsdefizit.«

Dienstag, 23. Mai 2017 • Weiterhin zur Frage der Moral in der Politik: Obama, wie seine Vorgänger, hat es mit dem Insistieren auf moralischem Handeln in der Außenpolitik nicht besonders weit gebracht. Im Gegensatz dazu betont Trump, dem Menschenrechte nichts sagen, bei seinem gegenwärtigen Aufenthalt im Mittleren Osten, er wolle anderen Nationen nicht vorschreiben, wie sie zu leben hätten. Er kommt damit in Saudi-Arabien und Israel, zwei Ländern, die sich ganz wie er einen Dreck um Moral in der Politik scheren, gut an. Hat also Moral in der Politik nichts zu suchen? Oder sollte gerade in der Politik moralisch gehandelt werden? Alte Fragen, ich weiß.

Mit der saudi-arabischen Herrscherfamilie hat Trump ein Waffengeschäft über hundertzehn Milliarden Dollar abgeschlossen. Die Hungerleider im Jemen werden bis zum letzten Moment nicht erfahren, woher die Streubomben stammen, mit denen die saudi-arabische Luftwaffe sie in ihren Hütten und auf ihren Feldern in Stücke reißt.

Mittwoch, 24. Mai 2017 • Zu Trumps Haushaltsbudget. Vor fünfzig Jahren erklärte Lyndon Johnson den Krieg gegen die Armut (war on poverty). Mit seinem Haushaltsbudget erklärt Trump den Krieg gegen die Armen.

Freitag, 26. Mai 2017, Shady • Die steinerne Mauer vor dem kleinen Haus ist in den vergangenen Tagen neu gerichtet worden, nun kann sie der Erosion wieder eine Weile standhalten.

Staatsbesuch im Vatikan. Das offizielle Foto zeigt den Papst als obersten Vertreter eines hierarchischen Staats, daneben Trump mit seiner Familie als oberste Vertreter einer Demokratie.

Entgegen der Tradition im Islam trugen Trumps Frau und Tochter bei den Audienzen in Saudi-Arabien keine Hijabs, was in den Medien anerkennend als Signal für die Emanzipation islamischer Frauen interpretiert wurde. Zwei Tage später, bei der Audienz beim Papst, tragen beide Frauen Kopftücher.

Trumps Einreisestopp ist zum dritten Mal vor Gericht gescheitert.

Montag, 29. Mai 2017 (Memorial Day), Shady. • Der Begriff der Elite muss kritisch gehandhabt werden. Jeder führt ihn gegen »die da oben« im Mund, selbst die da oben. Sie bedienen sich dabei der Sprache der Unteren. Aber eben nur der Sprache, sie haben nicht die geringste Absicht, dem Willen der Unteren entsprechend die da oben – also sich selbst – wegzufegen. Diese Scharade nennt man Populismus. Das Volk kommt da nur im Begriff vor, von der Sache selbst, von der Macht, von der Selbstbestimmung oder auch nur von der Mitbestimmung, bleibt es ferngehalten. Trump hat mehr Vertreter der (Wall Street-)Elite in die Regierung geholt als jeder seiner Vorgänger. Doch besteht für die Eliten kein Grund zur Beruhigung. Der Populist im Weißen Haus schafft mit seiner Suada, was die Niederen nicht schaffen: Er zersetzt das System, durch das die Eliten sich oben halten.

Elite wird meist synonym gebraucht mit Establishment. Hier wäre zu differenzieren. Trump gehört zur Elite, aber nicht zum Establishment.

Das Weiße Haus gibt bekannt, die für die Bundesstaaten geltende Auflage, wonach auch religiös ausgerichtete Krankenversicherungen verpflichtet sind, Empfängnisverhütung in ihre Gesundheitsversicherung aufzunehmen, solle aufgehoben werden.

Donnerstag, 1. Juni 2017 • Um 15 Uhr hat Trump auf dem Rasen vor dem Weißen Haus die Kündigung des Pariser Klimaabkommens bekanntgegeben, die das Leben der Ärmsten dieser Welt noch elender machen wird. Nicht allein dieser Präsident ist für die Folgen der Kündigung zur Verantwortung zu ziehen, sondern auch die auf ihren Rasenstühlen enthusiastisch applaudierenden Kabinettsmitglieder und Kongressabgeordneten, dieses ganze republikanische Gesindel, das weiß, was es tut. Die erste Folge: Um 16 Uhr, beim Börsenschluss an der Wall Street, ist der Dow-Jones-Index um 135 Punkte gestiegen.

Freitag, 2. Juni 2017 • Ein Video zeigt, wie Erdoğan, im Mercedes vor der türkischen Botschaft in Washington, seine Leibwächter auf die Demonstranten hetzt. Wenig später steigt er aus und schaut der Schlägerei zu.

Auf YouTube Interviews mit Slavoj Žižek und Noam Chomsky. Žižek, in einem Gespräch vom 1. März, gibt zu, seine Aussage im vergangenen November (auf dem britischen Channel 4), kurz vor der Wahl, er würde Trump wählen, sei ein Blödsinn gewesen. Als Pessimist in einem tieferen Sinn habe er sich von Marx’ Äußerung leiten lassen, die Dinge müssten schlimmer werden, bevor sie besser würden (wo steht das bei Marx?). Allerdings, so Žižek, könnten die Dinge kaum schlimmer sein. Auf der Uhr der Menschheit sei es unter Trump zwei Minuten vor zwölf. Im weiteren Verlauf des Gesprächs weist Žižek darauf hin, der Gesellschaft sei unter Trump, neben allen anderen Rückschlägen, auch noch anständiges und rücksichtsvolles Benehmen abhandengekommen. Früher hätten Bürgertum und Mittelklasse bei ihrem Nachwuchs auf gute Manieren gedrängt, und die Linke habe darüber gespottet. Heute falle das Bestehen auf Anstand und Rücksichtnahme der Linken zu.

Chomsky, in einem Interview mit der BBC von Anfang Mai, ist nicht weniger pessimistisch. Der Interviewer fragt, ob er wirklich gesagt habe, die republikanische Partei sei die gefährlichste Organisation der Welt? Der ganzen Geschichte der Menschheit, verschärft Chomsky. Nachdem sich der Interviewer gefasst hat, verweist er Chomsky auf den IS. Chomsky stellt die Gegenfrage, ob denn der IS zum Ziel habe, die Grundlagen der gesamten Menschheit zu zerstören.

Samstag, 3. Juni 2017 • Nachdem ein weiteres Berufungsgericht (in Richmond im Bundesstaat Virginia) Trumps Einreisestopp abgelehnt hat, will Justizminister Jeff Sessions, ein Rassist der alten Schule, damit nun auch noch vor den Obersten Gerichtshof in Washington. Medien und Wahlvolk verstehen Trumps Zwängerei nicht. Niemand, nicht einmal Trumps glühendste Anhänger, wäre auf den Gedanken gekommen, seine Wahlversprechen für bare Münze zu nehmen. Das sind sie natürlich auch nicht. Für jedes gehaltene Versprechen wird ein anderes zurückgenommen (und dann wieder aufrechterhalten usw.).

Am Left Forum, dem jährlichen Großanlass der US-Linken im John Jay College der City University in Manhattan, eine Podiumsdiskussion über Redefreiheit. Jemand zitiert Rosa Luxemburg: Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden. Redefreiheit, so die einhellige Meinung, gelte unter allen Umständen; sie gelte selbst für ein rechtsextremes Großmaul wie Milo Yiannopoulos (der vor zwei Monaten in Berkeley von Studentinnen und Studenten am Reden gehindert worden war). Soll also jeder Hassredner im Namen der Redefreiheit toleriert werden? Redefreiheit ist kein abstraktes Gut, sie bleibt von der herrschenden Ideologie nicht unberührt. Da wird bei rechten und linken Meinungsäußerungen nicht mit gleicher Elle gemessen. Mit edler Toleranz ist nichts gewonnen. Der Widerstand gegen die Trumperei muss auch auf diesem Terrain geleistet werden.

Montag, 5. Juni 2017 • Auf den Terroranschlag in London, der übers Wochenende mehrere Tote forderte, hat Trump, wie schon auf den Anschlag in Manchester vor zwei Wochen, mit einem Tweet reagiert, Staatsmann, der er ist. Darin instrumentalisiert er den Anschlag zur Verteidigung seines Einreisestopps für Musliminnen und Muslime und denunziert den Stadtpräsidenten von London, einen Muslim. Diesem Präsidenten fehlt jenes Mindestmaß an Takt und Anstand, ohne das, wie Žižek sagt, eine Gesellschaft nicht bestehen kann.

Das Mediengejammer über die Polarisierung in der Politik und allgemein in der Gesellschaft wirkt verdummend. Zwischen den Zeilen liest man, wenn wir uns nur etwas zusammenreißen würden, wäre Abhilfe zu schaffen. Aber die Polarisierung kommt nicht vom schlechten Verhalten. Der Duden definiert Polarisierung als »Aufspaltung in zwei Lager, bei der die Gegensätze deutlich hervortreten«. Nirgends deutlicher als in der Aufspaltung der Menschheit in die Wenigen mit maßlosem Reichtum und der Macht, ihn zu verteidigen, und die machtlosen Vielen, die in maßloser Armut leben. Diese Polarisierung ist mit gutem Willen allein nicht zu beheben.

Dienstag, 6. Juni 2017 • Die NYT bringt einen Beitrag der Journalistin Sarah Jaffe (die gelegentlich in der Nation schreibt) zum »unerwarteten Nachleben des amerikanischen Kommunismus«. Darin wird ausführlich an die Verdienste der Kommunistischen Partei der USA und besonders ihrer schwarzen Mitglieder seit der Parteigründung im Jahr 1919 erinnert, an den nicht selten tödlich ausgegangenen Kampf um höhere Löhne, menschlichere Arbeits- und Lebensbedingungen, gegen Lynchjustiz, Rassismus, wirtschaftliche und institutionelle Gewalt. Ein Programm, so Jaffe, das heute in Bewegungen wie Black Lives Matter und unter den Anhängerinnen und Anhängern von Bernie Sanders weiterwirke. Der Beitrag gehört zu einer Serie, die sich unter dem Titel The Red CenturyJahrestage