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Mojca Kumerdej

Chronos erntet

Roman

 

Aus dem Slowenischen
von Erwin Köstler

 

 

 

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Wir danken für die Förderung dieser Publikation durch die Slowenische Buchagentur Javna agencija za knjigo RS (JAK) sowie Trubar Foundation.

 

 

Der Übersetzer bedankt sich für die Zuerkennung von Arbeitsstipendien bei folgenden Stellen:

 

Deutscher Übersetzerfonds;

Freundeskreis zur Förderung literarischer und wissenschaftlicher Übersetzungen (Perewest-Stipendium);

Bundeskanzleramt Österreich, Abteilung II /5 Literatur und Verlagswesen, Büchereien

Stadt Wien, Kulturabteilung (MA7), Referat Literatur

 

 

Im Original erschien Mojca Kumerdej: Kronosova žetev im Verlag Beletrina, Ljubljana 2016.

Wir danken für die Genehmigung der Veröffentlichung auf Deutsch.

 

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese

Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

© Beletrina Academic Press 2016

www.beletrina.si

© Wallstein Verlag, Göttingen 2019

www.wallstein-verlag.de

Umschlaggestaltung: WSV, Göttingen

unter Verwendung einer Abbildung eines Freskos aus Istrien

 

ISBN (Print) 978-3-8353-3442-7

ISBN (E-Book, pdf) 978-3-8353-4350-4

ISBN (E-Book, epub) 978-3-8353-4351-1

Inhalt

In synkopischem Rhythmus

Finster tönt es

Die Sündenböckin

Plötzlich ein Riss

Zweifel … Zweifel … Zweifel

Bericht des Patriarchen von Aquileia an den Heiligen Stuhl

Die Wunderquelle

Frühlingsdialoge
Einstimmung

Die Erscheinung auf der Weide

Frühlingsdialoge
Erste Warnung

Die Predigt des Prädikanten

Die Ankunft der sieben Sonderlinge

Heute wird es heiß, und alles scheint offen

(Aufsatz darüber, was mir im Leben widerfährt)
Bei der Triester Händlerin

In der Tat sonderlich

Frühlingsdialoge
Mit kühlem, scharfem Verstand

(Die ersten Überlegungen des Miklavž Nikolaj Paulin)
Über die Trüglichkeit der Sinne und Wahrnehmungen

Frühlingsdialoge
Rezepturen der Macht

(Die zweite Betrachtung des Miklavž Nikolaj Paulin)
Wo entspringt das Vermögen, zu denken?

Ist irgendwo etwas geplatzt?

(Ein kurzes Traktat über meine Erfahrungen)
Sie, die Unvergleichliche

Frühlingsdialoge
Wirtschaftlich-finanzieller Plan

Präludium

(Die dritte Überlegung des Miklavž Nikolaj Paulin)
Warum irre ich mich manchmal trotz meines Verstandes?

Frühlingsdialoge
Weil er nicht hört? … Weil er nicht hören will?

Am Großen Frauentag

Als Vorletztes stirbt die Hoffnung

Frühlingsdialoge
Vom Pflastern mit guten Vorsätzen

(Eine Schrift, keine Ahnung, worüber)
Eine einzige Euphorie

Die Aprikosenhunde

Und was nun?

(Brief an die edle Witwe)

Immer mehr Zeichen, schlechte Zeichen

Das Verschwinden der sieben Sonderlinge

Im Nacken die kalte Hand

(Brief an die edle Witwe)

Vor der ersten außerordentlichen Aufgabe

Der erste Prozess

(… ich schlafe nicht … ich schreibe)
Was, wenn …? O nein!

Der Notbesuch

(Brief an die jeden Adel überstrahlende Witwe)

Noch ein Schlag von der edlen Witwe

(… ich gehe jetzt …)
Alles ist offen …

Der Medikus bei Bürgermeister Vouk Falke

Ich schwinde

Vor der Flucht

Vor dem zweiten Gerichtsprozess

Wärmer

(Aus den Schriften des Miklavž Nikolaj Paulin)
Ich brenne!

Kälter

Es … ist schlicht und einfach nicht anders gegangen

Vor der Abreise

Vor dem Abgrund, vor der Leere – nichts

Bericht des Fürstbischofs von Laibach. Thomas Chrön an den Heiligen Stuhl

Mag es dauern, und sei’s im Rhythmus der Synkopen …

In synkopischem Rhythmus

Die zartgrünen Hügel erzitterten im synkopischen Rhythmus, und die Vormittagssonne, die die Landschaft in Aprikosenlicht tauchte, zeigte an, dass der Frost, der das Land bis Anfang April in seinem eisigen Griff hatte, langsam losließ. Auf einer fernen Anhöhe entblößte sich schamhaft ein Dörfchen, das auf einen gewölbten Hang gesetzt und mit einem Kirchturm dort befestigt war. Die hellgrünen Wälder verrieten, dass sie zum Großteil altehrwürdige Buchen und dazwischen Linden beherbergten, die hierzulande und in jener Zeit für das einfache Volk ihre ganz spezielle Bedeutung hatten. Die harten Buchen eine wirtschaftliche, denn das Buchenholz speiste am ergiebigsten das Feuer im häuslichen Herd. Für die anderen Feuer, die nicht der Beheizung von Wohnräumen dienten, eigneten sich mit Fett übergossene, schneller brennende Hölzer, die auch in Fällen, wo Linden im Spiel waren, zu Haufen geworfen wurden. Wohl wahr, die Linden duften betörend, wenn sie blühen, und die getrockneten Blüten lindern wirksam den Husten und senken das Fieber, doch das Holz der Linde ist ob seiner besonderen Weichheit auch bestens geeignet, um daraus Lindengötter zu schnitzen. Und wenn einer Lindengötter schnitzte, war das zum Ende des 16. Jahrhunderts ein ausreichender Grund für ihren Schnitzer oder Verehrer, auf einem Scheiterhaufen in Flammen aufzugehen und bis auf die Knochen zu verschwelen.

Die alten Bäume bewahrten Erinnerungen an Zeiten auf, die den Leuten nicht unmittelbar in Erinnerung waren, die im Volk aber immer noch tückisch raschelten. Die kleinen, mit bescheidenen Kirchlein übersäten Dörfer wurden von mächtigen hohen alten Bäumen beschützt, und nicht selten hielt eichenes Wurzelwerk die Grundfesten und Mauern einer Kirche umzwungen. Wenn die Kirchlein gegen Abend läuteten und dem anständigen Volk zu melken bedeuteten, wenn da etwas zu melken war, und den Magen zu füllen, wenn etwas da war zum Füllen, damit er nicht bis zum Morgen knurrte und heulte, dann aber schlafen zu gehen und vor dem Einschlafen, wenn der Körper es zuließ, einen neuen Christen anzumischen, und zwar einen Katholiken, keinen Lutheraner! – dann schlossen auch sie ihre Augen und ließen ihre Glocken in den verdienten Schlummer gleiten. So hätte es sein sollen. So wurde es vom gottesfürchtigen Volk verlangt und erwartet.

Doch nicht alle hielten sich an diese Gebräuche. Gerade, wenn die Augenlider die sichtbare Welt verdecken sollten, brechen die Stunden an, in denen die dunkle Welt erwacht und mit ihr die uralten Mächte, die eigentlich besiegt unter den Kirchen verfaulen müssten. Wenn die Abendglocken verklingen und emsige Hände tun, was noch zu tun und was im Einklang mit weltlichem und kirchlichem Gesetz ist, machen sich einige an den schweren Deckeln ihrer Zeugtruhen zu schaffen, öffnen Schränke, lupfen Bodenbretter und schrauben Wandleisten ab und ziehen, spähend, ob nicht vielleicht jemand ihr Tun beobachtet, die verschiedensten trockenen und frischen Kräuter, tönerne Krüglein und Schalen, große und kleine Fläschchen, Wurzeln, Salben, getrocknete Kröten, Käfer und Schlangenköpfe heraus und legen dies alles um sich herum, am besten auf den Boden, damit nicht etwa ein aufdringliches Auge durch die verhängten Fenster und die verriegelten Läden zu sehen bekäme, was sie tun. Oder sie sitzen, vielmehr hocken mit all diesen Hilfsmitteln in der fensterlosen Rauchküche vor einem brennenden Talglicht und tüfteln, welche Missetat sie diese Nacht wohl begehen könnten. Wäre es gut, wäre jetzt der richtige Augenblick, sich am Nachbarn zu rächen, obgleich wir für die böse Tat keinen anderen Grund brauchen als den reinen Genuss? Wäre es an der Zeit, heute Nacht einen Hühnerstall zu verderben und den Hühnern das Eingeweid zu verschließen, auf dass sie kein Ei mehr legen? Ooh, stimmt ja, wir könnten einmal schauen, ob die da drüben schon niedergekommen ist, und wenn nicht oder wenn sie es gerade jetzt tut, könnten wir dem Kind in ihrem Bauch die Nabelschnur so um den Kopf schlingen, dass die geschickteste Hebamme sie nicht herunterbekäme.

Zu denen, die solche Pläne schmiedeten und sich mit finsteren Gedanken trugen, gehörten gerade oft die Hebammen, denen das Volk bei so empfindlichen und bedeutenden Ereignissen wie der Geburt ihrer Kinder ausgeliefert war. Wäre nicht das erste Mal, dass eine Hebamme gleich nach der Niederkunft mit dem Neugeborenen ins Freie eilt, es emporhebt und flucht, um ihren finsteren Gebieter zu rufen und ihm das Neugeborene darzubringen. Und ihr Gebieter sagt nicht nein zu ungetauften Seelen. Manchmal nimmt er die kleine Seele mitsamt dem Körper, und die Leute wundern sich dann, wie es kommt, dass das Kind so plötzlich gestorben ist, wenn bei der Geburt und auch davor mit dem Bauch der Frau alles in Ordnung war. Manchmal lässt der Gehörnte den Körper eine Zeit lang in Ruh und züchtet die Seele darin heran wie sein eigenes Kind, das auf seine Weisungen hin Böses vollbringt. Einige sind aber wahrhaftig seine Kinder, was man nicht unbedingt auf den ersten Blick erkennt. Das Kind scheint gesund zu sein, arbeitsam, nicht schlimmer, als Kinder eben sind. Doch mit der Zeit offenbaren sich dem aufmerksamen Auge verdächtige und bedeutsame Zeichen. Zum Beispiel, dass das Vieh vor einem solchen Kind scheut, während Fuchs und Wolf sich ohne Angst nähern und wie Hauskatzen oder Hunde zu seinen Füßen rekeln. Oder aber, dass ein Kruzifix, wenn der Betreffende daran vorbeigeht, sich derart neigt und dreht, dass dem Erlöser, hinge er wahrhaftig am Kreuz, das ganze Blut in den Kopf schösse. In der Familie nehmen Unglücke ihren Lauf, und niemand weiß, warum, und noch dazu in einer Familie, die fromm ist und in der alle guten und reinen Herzens sind und wo harte Worte und Prügel nur dann fallen, wenn sich die Strafe als richtig und dringend erweist. In einer Familie, die bei den großen Prozessionen auf Knien um den Altar rutscht und sogar etwas mehr spendet, als sie geben kann. Einer Familie, die mit niemandem streitet, weder mit den Nachbarn noch mit sonst jemandem im Ort, dem Pfarrer, dem Grafen oder den Ämtern. Und dann rutscht eines Tages die Mutter aus, fällt schwer auf den Rücken und erhebt sich nicht mehr vom Bett. Einige Wochen danach brechen am Körper eines der Kinder eitrige Geschwüre auf, und obwohl es der Bader zur Ader lässt und Blutegel ansetzt, um seinen vergifteten Körper zu reinigen, siecht das Kind dahin und wird gelb, um schließlich fahl und grün und vertrocknet in die Ewigkeit einzugehen. Aber das ist nicht alles. Die Familie hat sich noch nicht richtig erholt, als eines ihrer Mitglieder vom Kirschbaum fällt und sich derart beschädigt, dass es bis zum nächsten Frühling zu nichts zu gebrauchen ist und wegen seiner gebrochenen Finger nicht einmal zum Nüsseknacken oder ähnlichen Knaupeleien taugt, mit denen sich das Volk im Winter die lange, kalte, düstere Zeit vertreibt.

Nach einer Frühlingsnacht erbricht zu allem Überfluss die fünfzehnjährige Tochter den morgendlichen Mehlpapp und bohrt ihren Blick in den Boden, und auf die Frage, was sie denn habe, faltet sie weinend ihre Händchen zum Gebet, fällt auf die Knie und bittet Maria um Hilfe, denn sie wisse nicht, was sie habe. Aber es ist ganz gut, dass sie sich an Maria wendet, die viel besser als alle Heiligen und weit besser als Jesus und Gott versteht, warum die jungen Mädchen zuerst in der Früh immer speien und, obwohl sie wenig essen, von Tag zu Tag dicker werden. Den Namen sag, schreit der Vater und drischt auf die Tochter ein, die die Schläge unter Tränen ergeben erträgt, denn sie weiß, dass sie sie ehrlich verdient und damit schon begonnen hat, die Strafe für ihr kurzes sündiges Leben zu verbüßen. Den Namen, den Namen, schreit der Vater, mach den Mund auf, schreit er und schlägt auf sie ein, du, die du den Namen unserer Familie beschmutzt hast, in der seit Menschenaltern keine so jung herumgehurt hat. (Was vielleicht gar nicht stimmt, denn wer weiß, wessen Samen eine Frau in sich trägt, oft nicht einmal sie, und der Mann, der anno dazumal als Vater genannt wurde, konnte es anzweifeln oder aufs bloße Wort glauben.) Und weil ihres Vaters Hand nicht ablässt, willigt die Kleine ein, alles zu sagen und auch alles zu zeigen. Vater knackt mit seinen Fingergelenken und schaut, ob er die Büchse nehmen soll, mit der er gelegentlich in den Revieren des Grafen schwarz einen Rehbock schießt, oder die Sichel, die Axt, die Sense vielleicht, oder nur ein Messer, und er gibt seiner Tochter mit drohenden Grimassen zu verstehen, dass sie ihn nicht hinhalten soll. Als er wieder hingeht und ihren Kopf packt und ihn zum Bild der Jungfrau Maria an der Wand dreht, blökt die Tochter den Namen, der ihr gerade einfällt.

»Wer!? Kenn ich nicht! Der ist nicht aus unserem Dorf!«, tobt der Vater.

»Natürlich nicht«, weint sie, »ist ja auch nicht in unserem Dorf passiert.« Während das junge Gehirn eine Geschichte zusammenspinnt, packt der Vater seinen eigenen Kopf, dreht ihn nach rechts und links und brüllt wie ein Bär: Sie habe ihn bestimmt von sich aus angesprochen und sich ihm angeboten, denn er habe schon früher bemerkt, wie sie sogar den sieben Absonderlingen auf dem Konstanšek-Hof schöne Augen mache, vor denen die meisten, wenn sie sie sehen, sich abwenden und bekreuzigen.

»Aber ich bin nicht schuld, das war alles mit Gewalt!«, beginnt die Tochter ihre schluchzende Erzählung.

»Als ich einmal in der Nacht das Vaterunser, das Gegrüßetseistdumaria und den Schutzengel gebetet hab, schlaf ich vom Schnaufen der Geschwisterlein neben mir langsam ein, aber auf einmal reißt es mich. Ich mach die Augen auf und schau so im Liegen durchs Fenster den Mond an, der einen komischen rötlichen Glanz hat und so riesig ist, dass es aussieht, als wollt er gleich in die Stube herein. Schon das macht mir Angst. Aber dann werd ich ganz steif vor Grausen, als ein Schatten über den glutroten Mond huscht und ihn ganz verdunkelt. Gleich drauf steht über mir eine alte Vettel, streckt ihre verkrüppelten Finger nach mir aus und grinst mit ihren abgefaulten Zähnen. Ihre Haare sind ganz durcheinander, und sie grinst und grinst und packt mich mit ihren schiefen Fingern. Ich will nicht, will nicht, derweil das Weib neben meiner Matratze mit einem Besen zwischen den Beinen von einem Fuß auf den andern hüpft. Ich möcht weinen, aber mir bleiben die Tränen weg. Dann nimmt sie den Besen, so«, sagt das Mädchen und zeigt es, »so«, sie zeigt es höchst konkret und lässt den unsichtbaren Griff zwischen ihren Beinen flutschen, »reibt das Weib, auf, ab, vor und zurück, zurück und vor … bäh, mir graust, dass ich die Hände vors Gesicht schlag und nur so viel Platz zwischen den Fingern lass, dass ich seh, was sie mit mir vorhat. Die alte Vettel aber reibt und reibt weiter, dass es von dem Pfahl zu rinnen beginnt, als hätt man ihn in heißes Fett getaucht. Dann packt sie mich, rammt mir den Pfahl zwischen die Schenkel und umklammert mit dem einen Arm meinen Leib, dass ich mich nicht rühren und schon gar nicht losreißen kann, mit der andern Hand drückt sie den fetten schleimigen Pfahl, und schon fliegen wir durchs geschlossene Fenster an dem Bild der Jungfrau Maria hier vorbei, die vor Scham die Augen niederschlägt. Hilf mir, Maria, hilf, schluchz ich, doch die Jungfrau faltet die Hände noch fester und vergießt eine Träne, und mir wird klar: Wenn mir Maria nicht helfen kann, kann nur Gott mir helfen. Und Gottes Hilfe werd ich brauchen, denn dort, wo dieser Besen mich hinbringt, wird es in dieser wilden Nacht wahrscheinlich höllisch zugehen. Und so war’s auch!

Wir fliegen auf einen Berg, auf den dort«, sagt das Mädchen und zeigt zum Fenster in Richtung eines nicht so weit entfernten Hügels, »da ist eine Lichtung oben, von der aus sieht man alles hier unten, auch unser Haus und das Feld, und dort gibt es einen kalten Bach. Auf der Lichtung, ein Stück über dem kleinen Bach, seh ich Leute, die mir ganz fremd sind. Männer und Frauen, die in den Himmel starren, als ob sie nur auf uns warten, und, o Grauen, alle nackt, keiner hat ein Gewand an, sie strecken ihre Hände nach uns in die Luft. Und als wir wieder auf dem Boden sind, fängt es an. Ohne Ordnung, jeder mit jedem, wie in unserm Stall, wenn nicht sogar schlimmer, treiben sie es miteinander, so treiben es nicht einmal die Viecher; in der Zwischenzeit bringen sie mich schon in die Mitte der Lichtung, wo ein seltsamer Altar steht, auf dem Bärenhäute liegen, vielleicht sind es Schaffelle, ich weiß nicht mehr genau, ich hab ja geschlottert vor Angst, und von dem Ritt auf dem Besen war mir auch ein bisschen schwindlig.

Dort haben sie mich ausgezogen und mir mit Gewalt etwas Scheußliches in den Mund geschüttet und mich rücklings auf die stinkenden Felle gedrückt, als es rundherum rot zu leuchten beginnt. Die Erde öffnet sich, und aus ihr fährt jemand empor, der auf dem Kopf große Hörner hat und hinten dran einen Schwanz, mit dem er wie ein Hund nach links und nach rechts schlägt, während aus seinem Maul so ein scheißbrauner Schleim rinnt. Jetzt schaut’s schlecht aus, schlechter geht nicht, entsetz ich mich. Der Gehörnte stellt sich über mir auf und schlägt die Hufe zusammen, so, so« – sie streckt dem Vater, während sie erzählt, die Hände ins Gesicht und schlägt mit der einen Faust gegen die andere – »und sperrt sein Maul weit auf, aus dem eine lange brennende Zunge fährt und meine nackte Haut abschleckt, dass es mich brennt wie verrückt. Dann bringen sie einen Mann, den der Teufel auf mich schiebt, und oje, es passiert, und dann dauert es und dauert, und ich, die mit Gewalt in die Sünde Gestoßene, wünsch mir, ganz schnell, und sei’s ohne Beichte, in diesem Vorhof der Hölle zu sterben. Aber auf einmal durchdringt ein wunderbar blauer Strahl das rote Licht, sodass rundherum alles grün wird, und am Ende bleibt nur noch das himmlische Blau. Alle diese Teufel, alle diese Körper verbläst ein starker Wind, und den Gehörnten verschlingt die Erde, so wie sie ihn ausgespuckt hat. Ich bleib allein auf der Lichtung in dem himmlischen Licht, als ein riesiger weißer Vogel geflogen kommt und über mir flattert und gurrt und gurrt. Vöglein, Vöglein, wer bist du, frag ich ihn, und er fliegt zu mir herunter, streift mich sanft mit dem Flügel und antwortet: Ich bin der Heilige Geist, meine liebe, nicht selbst verschuldete Sünderin. Was dann alles mit mir passiert ist, weiß ich nicht, denn in der Früh wach ich auf meinem Strohsack auf und bin wie durch ein Wunder gar nicht von den Flöhen verstochen.«

Der Vater hat schon eine ganze Weile keine Werkzeuge und Waffen in der Hand, sondern eine fast geleerte Feldflasche Trebernschnaps. Als das Mädchen mit seiner Geschichte fertig ist, hält er in der Rechten den Peitschenstiel, mit der Linken neigt er den letzten Rest aus der Flasche, dann packt er seine Tochter und schlägt und schlägt auf sie ein. Das Mädchen schluchzt leise und wartet darauf, dass es vorbeigeht, als es im Stubenwinkel die Mutter erblickt, die, vor dem Bilde Mariens kniend, hart die Lippen bewegt. Als der Vater schwankend die Züchtigung beendet – der Rausch hat ihm das Gleichgewicht genommen, sodass es der Tochter ein paar Mal gelungen ist, den Schlägen auszuweichen –, schreit er sie an: »Jetzt geh mir aus den Augen und überleg dir die Geschichte noch einmal. Den Namen … Ich will den Namen … Du sagst mir den Namen! Und wenn du mir noch mal so einen Blödsinn verzapfst, dann wisse, dass ich den Himmel und deinen Heiligen Geist aus dir herausprügeln werde!«

In den Schmerzen, die sich in diesem Moment erst verworren bemerkbar machen, die richtigen Schmerzen kommen später beim Liegen im Heu, wirft das Mädchen, als es sich in die Scheune aufmacht, einen Blick auf die Mutter, die beim Beten unter Mariens Bild saure Tränen vergießt, und ihr geht Folgendes durch den Sinn: Gut, das Ganze war wirklich nicht nötig. Aber warum bettelst du Maria an, wenn es jetzt ist, wie es ist. Ich hoffe, du betest darum, dass mit dem Balg, eurem Enkel, alles gutgeht, dann wird’s schon irgendwie. Irgend so ein Tropf wird mich schon nehmen, und wenn’s nur ist, damit er sich die Eier ausklopft. Doch Hand aufs Herz, erschaudert sie, hab ich mit dieser blöden Sache wirklich mein Leben vertan? Vielleicht, aber vielleicht auch nicht und ich hab in Wahrheit das Leben nur ein wenig beschleunigt. Eine schöne Hur ist aus mir geworden, ich wär’s wohl nicht, wenn ich auf einen Bewerber gewartet und ihn in aller Unschuld, wie es in den Keuschen hier fast nicht möglich ist, geheiratet hätte. Die Heirat wär so oder so nicht meine Entscheidung gewesen. Der Vater hätt auf den Tisch gehauen und dem, der ihm als die beste Wahl erschienen wär, die Hand gegeben. Ich bin nicht die Erste und nicht die Letzte, die schon so jung nach Rom wallfahrten geht. Dass er mich heiratet, der zwar nicht der Heilige Geist ist, mit dem es aber ein paar Mal so war, als ginge der Himmel auf; dass er für mich und den Balg seine Frau, die Kinder und den Besitz aufgibt oder dass er den Balg wenigstens anerkennt, oh, dazu wird es natürlich nicht kommen. Als ich ihm vor zwei Wochen gesagt hab, wie die Dinge stehen, hat er mit den Schultern gezuckt, sich umgedreht und wär einfach gegangen.

»Was machen wir jetzt?«, frag ich ihn.

»Wir? Wir nichts«, sagt er und zuckt mit den Schultern. »Was du mit deinem Bankert machst, ist deine Sache.«

»Wie, deine Sache?! Du bist es, der sich auf mir herumgewälzt hat, ich hab mir den Balg doch nicht allein gemacht!«

»Allein nicht, du wirst schon wissen, mit wem.«

Wie hab ich geweint! Alles ist aus, hab ich gedacht. Mein Leben ist vorbei, daheim werden sie mich und den Bankert erschlagen. Aber jetzt ist es, wie es ist. Ein wenig werd ich es noch verstecken und mir den Bauch flachbinden, und wenn sie es endlich kapiert haben, wird das Kind im Bauch schon so stark sein, dass es sich mit den Armen an mein Herz klammert, den Schlägen ausweicht, selber tritt und vielleicht überlebt.

Diesen Teil der Geschichte haben der Balg und ich eben überstanden. Doch, fällt ihr ein, als sie im Heu eine gute Lage sucht und sich mit der Hand über den Bauch fährt, muss es denn so furchtbar vorhersehbar sein? Muss es wirklich sein, dass aus mir nicht mehr wird als ein weiteres bauchetes Mädel? Wird schwer sein, einen zu finden, der ein Mädel mit einem Bankert nimmt, denn zum Vögeln taugt sie, zum Heiraten nicht, ja, wenn eine so jung angefangen hat, da kannst du sicher sein, werden die Männer klugscheißen, brauchst dich nur umdrehen oder einmal länger weg sein, und sie wird für den Erstbesten die Beine breitmachen und dir Hörner aufsetzen. Wird es so kommen? Hmmm, vielleicht doch nicht. Muss gar nicht sein, dass ich und mein Balg uns so demütig ergeben. Ist ja genauso gut möglich, dass wir zurückschlagen und uns ein schönes Leben machen. »Hütet euch, all ihr Frommen, denn meine Rache wird kommen!«, sagt sie laut. Im Heu liegend, grimassierend vor Schmerzen, rekelt sie sich wie eine Katze, und in ihrem Gesicht zeichnet sich ein Lächeln ab. Sie berührt mit den Fingern die Mundwinkel und denkt, dass ihr Gesicht fast vergessen hat, was es anstellen muss, um zu lachen. Aber es war kein Lächeln der Zufriedenheit und schon gar nicht der Aussöhnung mit der Welt und dem eigenen Schicksal. Es war das Lächeln, das sich seit uralten Zeiten bei den Heerführern breitmacht, wenn sie vor einer Schlacht nach dem Feind in der Ferne sehen und dazwischen einen Blick auf ihre Soldaten werfen, die von nun an unpersönliche Teilchen des Organismus sind, den sie auf den Feind hetzen werden, damit er diesen in kleine Stücke zerfetzt. Den Vater ihres Bankerts nimmt sie sich gründlich vor, und auch seine Frau kommt nicht ohne Folgen davon, die Kinder, naja, über das Schicksal seiner Kinder denkt sie noch nach. Die Angriffe müssen mit kühlem Kopf vorbereitet und die Ziele sorgfältig ausgewählt sein. Einfach dreinzuhauen hat keinen Sinn, denn ein solches Beginnen wird den Leuten schnell zuwider. Wenn du aber den Sinn der Schlachten im Auge behältst und sie abwechselnd von der Front ins Hinterland und wieder nach vorn verlegst, erscheint den Leuten der Krieg verständlich, worauf sie ihn annehmbar finden, dann nötig, und schließlich gerechtfertigt und gerecht.

Sie wird anfangs allein sein in ihrem Krieg, aber als Hauptmännin wird sie sich nach und nach Einzelne und das Volk unterjochen, das, ohne sich dessen bewusst zu werden, für sie marschieren wird. Sie wird das ohnmächtige Opfer spielen, darum gilt es die Opfer mit Bedacht auszusieben, um es aussehen zu lassen wie einen zwingenden Ablauf, dessen Antrieb Gerechtigkeit und die Demut vor Gott sind. Darum nimmt sie sich die Kinder wahrscheinlich nicht vor. Schließlich wird seine von den Pocken zerfressene Tochter, die so alt ist wie sie, wegen ihrer Hässlichkeit kaum je Leidenschaft und noch weniger Liebe erfahren. Die übrigen drei aber sind noch klein, und es wäre nicht gut, sie leiden zu lassen, denn es könnte sich an ihr und ihrem Balg rächen.

Aber warum soll ich nicht die Gelegenheit nützen und gleich alles, was mich im Leben bedrückt, regeln?, denkt sie. »Stimmt, ich bin eine Hur geworden, aber er war nicht der Erste. Vor ihm, Jahre vor ihm hat mich daheim in der Keusche als Erster im Rausch mein Vater gebumst, und nach ihm der Bruder meiner Mutter. Einmal hat mich der Knecht an den Haaren gepackt und im Stall gegen einen Pfosten gelehnt, einmal haben mich die Mäher ins Heu gedrückt, ich weiß nicht einmal mehr, wie viele es waren. Ich weiß, das passiert halt, aber muss ich das alles über mich ergehen lassen? Nein! Das darf man mit Kindern nicht machen! Es ist eine Sünde, auch wenn der Pfarrer kein Wort darüber verliert. Es hat wehgetan, und ich hab mich jedes Mal so gefürchtet, dass ich gemeint hab, ich würd es nicht überleben. Aber ich lebe. Und deshalb werd ich dafür sorgen, dass das Unrecht ordentlich abgebüßt wird. Auch was meine Mutter betrifft, wär es gut, etwas zu unternehmen, denn sie hat es gewusst und hat uns sogar ein paar Mal erwischt. Sie aber: nichts. Sie hat sich umgedreht und ist ins Haus getrippelt, hat sich vor Maria hingekniet und gebetet. Ja warum hast du denn nichts zu ihnen gesagt?, hab ich mir öfter gedacht und in Gedanken schon ihr Gejammer gehört: Ich hab so Angst gehabt, sooo groooße Angst … Denn bei mir, als ich ein Kind war, war es nicht anders. Die Frau ist dazu da, sich hinzuknien und es auf allen vieren oder im Liegen über sich ergehen zu lassen.

Ach, ist sie das? Damit könnt ich gar nicht weniger einverstanden sein, als ich bin! Nicht wahr, Mutter, als sie als Kind mit Euch gemacht haben, was sie mit mir gemacht haben, habt Ihr wahrscheinlich darum gebetet, dass Ihr möglichst bald erwachsen werdet und dass man Euch jemandem zur Frau gibt, der kein Vieh ist, wie es die Männer sonst gern sind? Ich hab fast alle Namen aufgeschrieben, aber nicht, um sie nicht zu vergessen, sondern um die Erinnerung festzuhalten, wie ich mich unter Schmerzen vom eigenen Körper gelöst und eine Offenbarung erlebt hab, die lautet: Wir müssen nicht unbedingt annehmen, wozu uns die andern drängen. Drum wird alles, was sie mir mit Gewalt genommen haben, ab nun meine Waffe sein. Ich hab gehört und gelesen, dass einige mit ihren Fotzen ganze Reiche zu lenken verstehen. Wenn das stimmt, und ich glaub das, dann verschaff ich mir auch mein Lehen. Am Anfang hab ich mich ein wenig verrechnet, ich war so naiv zu glauben, dass, wenn ein Mann zu mir freundlich ist, wie er es war, wenn er mich nicht schlägt und mich nicht mit Gewalt nimmt, dass das bedeutet, dass er mich liebt. Jetzt weiß ich, dass man niemandem glauben soll, dass ich mich weder schönen Worten noch beschützenden Umarmungen im Vertrauen hingeben darf, dass ich mich überhaupt nie hingeben und keinen Moment das Heft aus der Hand geben darf. Nun, wie ist es, Mutter, ich würd gern wissen, nur so, aus Neugier, ob Euch die Jungfrau, wenn Ihr ihr in den Arsch gekrochen seid, ans Herz gelegt hat, wie bisher alles zu erdulden, oder ob sie vielleicht mit der Hand nach drüben gezeigt hat, wo er mich gerade genagelt hat, um sich dann mit den Worten an Euch zu wenden: Jetzt, Mutter, geh in den Stall, nimm die Gabel, wenn keine Gabel zur Hand ist, nimm die Sichel, und geh zum Bett zurück und hol mit aller Kraft drüber aus, aber pass auf, dass du ihn triffst und dass sie überlebt. Wenn du später erzählst, dass er sich wie schon vorher unzählige Male über seine Tochter hergemacht hat, werden sie dir glauben, und ich würd auch alles erzählen, und dann würden wir in Frieden allein hier wirtschaften.

Aber nein, du, Mutter, die du weniger Verstand hast als unser Hühnerstall, hast nach solchem Herumgemache sogar finster zu mir herübergeschaut, wie um zu sagen, du bist selbst schuld, denn das Verhurte liegt von klein auf in deiner Natur, schon als Kind hast du mit dem Finger gezeigt, schaut, Mama, was der Stier mit der Kuh macht, und die Hündin ist schon wieder läufig, und was steht dem Knecht da aus der Hose, was ist das für ein Ding, an dem er sich manchmal kratzt, dass er ein Gesicht zieht, als tät ihm alles weh, und wenn der Schmerz vergeht, rinnt ihm so ein weißes Blut über die Hand? Was trägt der Knecht in der Hose, was ich nicht hab? Jedes Mal habt Ihr mir eine geschmiert und mich angebrüllt, dass ich solche Dinge nicht sehen und nicht reden soll, weil sie scheußlich und nichts für ein Mädchen seien. O ja, und ob ich reden und mit dem Finger auf die Leute zeigen werd, die mir im Leben irgendwas angetan haben.

Je mehr ich überlege, umso mehr bin ich überzeugt, dass ich mich nicht demütig ergeben muss, denn vielleicht ist mir das, was sich als Schicksal gibt, nicht beschieden, und mein Schicksal ist, die Dinge so zu wenden, dass für mich und den Balg das Beste herauskommt. Umso mehr, wenn das auch Gottes Wille ist, obwohl ich mich nicht auf Gott verlasse. Ich muss mich nicht dem Warten hingeben, bis mich, die mit einem Bankert Gesegnete, gnadenhalber einer nimmt. Von jetzt an bin ich es, die aussucht. Dass ich so oft in der Sakristei war, hat sich ausgezahlt. Der Pfarrer hat für meine kleinen Gefälligkeiten jedes Mal bezahlt und mir einen Kreuzer ins Hemdchen gesteckt und mir irgendein Buch zum Lesen gegeben. Der Pfarrer, der Maria eine Zeit lang nicht mögen hat, hat mir und ein paar anderen Kindern in der sonntäglichen Glaubensstunde Lesen und Schreiben beigebracht. Und ich, die ich Slowenisch und Deutsch schreiben und lesen kann, hab gut auf die Bücher aufgepasst, hab sie heimlich gelesen, damit mir daheim niemand vorwirft, dass ich meine Zeit mit dummem Zeug vertue, hab sie zur vereinbarten Zeit zurückgebracht und mir mit einem guten Werk, mit dem ich zwar nicht in den Himmel komm, zu einem Buch und einem Kreuzer aber allemal, wie mir der Pfarrer gesagt hat, ein neues verdient. Den Pfarrer, der seit einem hohen Kirchenbesuch das Messopfer wieder in einerlei Gestalt feiert, lass ich, damit er auf meine Seite kommt und mich unterstützt. Freilich, wenn er meine Geschichte gehört hat, wird er Angst haben, dass sich unter meinen Angeklagten, Folterknechten und Henkern auch er wiederfindet.

Und wenn mir keiner glaubt? Oh, das wird kaum gehen! Der Mai kommt näher, und ich werd jeden Tag den Altar in der Kirche mit Blumen schmücken und mit dem Rosenkranz in der Hand auf Knien von Sankt zu Sankta rutschen – die Knie werd ich mir schon mit Wolle polstern, damit sie nicht leiden –, beten aber werd ich während dieser Vorstellungen nur zum Schein, und wie der Mund auf und zu klappt, werd ich in Wahrheit die Geschichte ersinnen, mit der ich mir Gerechtigkeit verschaffen werde. Den Heiligen Geist, der auf die Zuschauer und den Richter gewiss einen starken Eindruck macht, behalt ich bei. Die weißen Täubchen sehen aus wie Engelein und wie die Seelen unschuldiger Kinder, und wer meinen Reden zuhört, wird den Vogel mit dem Balg in meinem Bauch und mit mir verbinden, der es nicht schwerfällt, auszusehen wie ein verkrüppelter Spatz. Aber Vögel leben nicht nur von Körnern, mehr als Getreide lieben sie Heuschrecken, Würmer und das Fleisch anderer Tiere, und wenn sie nicht selbst zupacken, werden sie ganz schnell selbst zur Beute.

Von morgen an werd ich mich gut, fromm und demütig geben. Weil Frühling ist, wird es nicht schwerfallen, in Scheunen und Krippen zu schlafen, drum muss ich bis zum Winter alles beieinander haben. Und du, der du mir das Kind gemacht hast, du mach dich auf was gefasst! Es wird heiß, oh, sehr heiß wird es noch, so sehr, dass alles, was du gehabt und gekannt hast, verbrennen wird, du selbstsüchtiger Lump. Dein Leben wird vor meinen Augen verkohlen, und mein Kind, das von nun an meines und nur meines ist, wird fröhlich in mir strampeln, während sie seinen Vater auf dem Scheiterhaufen knusprig braten. In die Vorgeschichte flecht ich auch den Vater, den Onkel und die Mutter ein, ich werd sie alle los, die mich verletzt haben, und dann bleib ich mit dem Balg und mit meinen kleinen Geschwistern auf dem Hof und führ ihn selbst, wahrscheinlich nicht schlechter, als ihn jetzt meine Alten führen. Meinen Bruder erzieh ich, nicht dasselbe zu tun, was die Männer mir angetan haben, meine Schwester erziehe ich, in dem, was sie tut und entscheidet, mir und nicht unserer Mutter zu folgen.

Nach Wochen der Schlaflosigkeit schlummerte sie im Heu langsam ein. Morgen würde ein neuer Tag sein und mit dem neuen Tag das neue Leben beginnen. »Gute Nacht, Kind«, sagt sie laut, »gute Nacht, mein Schutzengel, auch dir, Jungfrau, die du durchgemacht hast, was ich durchmach, und alles ruhig ertragen hast, denn wenn wir rechnen, dass du es mit Gott zu tun gehabt hast, hast du wahrscheinlich keine andere Wahl gehabt. Gute Nacht auch dir, Heiliger Geist, der du mir, so hoff ich, eine Hilfe sein wirst. Dir, Gott Vater, aber nicht, denn du hältst zu den Männern und Vätern und lässt zu, dass die Männer mit mir machen, was sie wollen, auch hässliche Dinge. Gute Nacht auch dir, kleines Jesulein, du wirst bald ein Brüderchen kriegen. An dich, Jesus, aber wend ich mich wegen der Beschwernisse mit den Männern im Augenblick nicht, denn du bist immerhin auch ein Mann, obwohl ein besonderer. Gute Nacht auch dir, also mir, die du keine Schuld trägst und dem Balg und dem Bruder und der Schwester eine gute Mutter sein wirst, und wenn du das alles hinter dir hast, wirst du als Hofbesitzerin und mit Verstand, und der ist bei uns hier nicht so verbreitet, den zu dir passenden Mann und Vater für das kleine Wurm und für die zwei Kleinen finden; dabei, Jesus, erwart ich deine Hilfe, einen solchen wie dich würd ich mir wünschen, einen Guten, Großen und Starken, und schön soll er sein, mit langen Locken. Gute Nacht, Welt … gute Nacht, Mond … guuuteee …«

Finster tönt es

Das Land durchlebte moralisch-meteorologisch-medizinische Katastrophen. Genau wie im Alten Testament, wie das Volk feststellte. Nach einem strengen Winter begann der Schnee zu schmelzen, sodass Anfang März das Wasser stieg. Dem folgte eine kühle Regenzeit, dass die Leute husteten und Eiter spuckten. Dann wurde es plötzlich warm, und Keime erwachten, die in tatenloser Dumpfheit überwintert hatten und nun die Gedärme, Ohren, Münder, Lungen der Menschen befielen und sich auch über die Nutztiere hermachten. Da die Eichen zwei Jahre davor voller Eicheln gewesen waren, waren im Jahr darauf die Mäuse zu Kolonien herangewachsen, die hemmungslos auf Hofeinfahrten, in Ställen und Häusern herumlaufen und sogar aus den Schubkästen und Truhen kriechen sollten, nach dem Mäusejahr aber konnte das Volk sich für diesen Frühling auf eine noch schlimmere Plage gefasst machen – Schlangen. Überfressen von den fetten Mäusen und Ratten, lange, dicke, kurze, dünne, wanden sie sich beim ersten wärmeren Sonnenstrahl munter zwischen den menschlichen Füßen, machten ihnen ein wenig Platz oder schlugen auch ihre Zähne hinein, wenn ihnen einer für ihren Geschmack zu nahe trat. Einige aber, und das meinten nicht wenige, bissen aus reiner Bosheit. Denn außer den Menschen und … wir werden nicht sagen, wem, können auch Tiere bösartig sein, zumal jener, der Ungeschriebene und Ungesagte, imstande ist, ihre Gestalt anzunehmen.

Noch vor dem richtigen Sommer würde eine große Hitze kommen, weissagten die Praktiken der Bauern wie der Astrologen: Brände werden ausbrechen – ja was, ganz von allein?! –, dann werden seltsame, Heuschrecken ähnliche, nur viel größere Insekten angreifen und noch das wenige auf den Feldern, dem es gelungen sein wird, Wurzeln zu schlagen, vertilgen. Auf dem Land wird es an Nahrung fehlen, noch schlimmer wird es in den Städten, wo der Preis für Lebensmittel in die Höhe schnellt. Und damit es eine Katastrophe biblischen Ausmaßes ist, greift der Bauchfluss um sich, an dem sich mancher qualvoll zu Tode scheißt. Und dann kommt die Pest und rafft ein Fünftel der Dörfer dahin, dann kommen Typhus, Fleckfieber und Bauchfluss und wieder die Pest, inzwischen wüten ein wenig die Türken, brechen die schwarzen Blattern herein, und während zu all dem Übel das Antoniusfeuer die Menschen erfasst hat, kommt wieder der Typhus und abermals die Pest …

Vielleicht ist all das wirklich geschehen, sehr wahrscheinlich aber nicht in einem Jahr oder zweien. Der menschliche Verstand hat die Angewohnheit, die Geschehnisse in Betracht der Vergangenheit zusammenzurücken, sie reich und bildhaft ineinander zu mengen und in manchem zu übertreiben. Gerade Letzteres bewährt sich, wenn es gilt, eine vergangene Tat zu rechtfertigen. Und auf das Gute, oh, auf das Gute versteht sich das Volk. Der gesunde Menschenverstand sagt ihm deutlich, was gut ist und was nicht, besonders, wenn lebendiges Fleisch verstümmelt und die Grenze zwischen Leben und Tod gezogen wurde. Es ist einfach nicht anders gegangen, war schon besser so, für alle, sind die üblichen Erklärungen nach solchen endgültigen Taten, deren einige das menschliche Gedächtnis schlicht löscht. Worte wie schlicht oder einfach sind für die Begründung von Gewalt außerordentlich brauchbar, denn sie bekräftigen den Sinn und betonen die Unausweichlichkeit des Getanen. Und eine Erinnerung zu löschen ist nicht schlecht, sondern gut. Mit zu viel Schlechtem zu leben ist für den Menschen ermüdend und qualvoll, ruft es doch Schuld und Unbehagen hervor, das sich wiederum auswächst zu Angst und Beklemmung. Man muss Gottes Erfindergeist dankbar sein, dass unser Menschengehirn alles Schöne zurückhält wie ein Sieb und nicht von all dem Schlechten verstopft. Ein bisschen übertreiben, abwiegeln, auslöschen, aufblasen, auf jeden Fall irgendwie anders darstellen … zu all dem ist der menschliche Geist fähig. Doch der menschliche und Gottes Geist sind nicht die Einzigen. Neben ihnen existiert noch einer, der das Volk listig zu bereden weiß, es lockt und verführt …

»Wie wissen wir also, dass wir richtig gehandelt haben?«, fragt sich das Volk.

»… dass wir uns nicht geirrt haben?«

»… dass wir etwas gemacht haben, weil es Gott uns befohlen hat, und nicht, weil wir in eine Falle getappt sind?«

»… ja, woher wissen wir, ob Gott zu uns spricht und nicht vielleicht …?«

»Und nicht vielleiiicht …?«

»Der andere …«

»Wer zu uns spricht, das kann man an der Stimme erkennen«, antwortet das Volk sich selbst.

»Aber kann man die zwei wirklich immer auseinanderhalten?«

»Die zwei?!«

»Kann ja sein, dass wir glauben und uns ganz sicher sind, dass es Gottes Stimme ist, die wir hören, aber in Wahrheit ist es …«

»Wer?!«

»Sein Nachahmer … der mit der bösen Stimme … der finsteren Stimme, der zu sein vorgibt, was er nicht ist …«

»Der Fromme kann Gut und Böse unterscheiden!«

»Kann er das immer? Und wenn ja, wie kann er es? Wie hat der biblische Abraham, dem Gott auf seine alten Tage einen Sohn geschenkt und dann von ihm verlangt hat, ihn auf den Berg Morija zu bringen und ihn dort zu opfern wie ein Tier – wie hat er erkannt, dass es Gottes Stimme war und nicht irgendeine andere? Wie kann er ohne Bedenken das Messer nehmen, um es dem Sohn ins Herz zu stoßen, weil Gott es von ihm will?«

»Wer glaubt, der hat keine Angst und tut alles, was Gott von ihm erwartet.«

»Aber was wäre gewesen, wenn ihm nicht im letzten Moment ein Engel Einhalt geboten und ein Opfertier vor die Nase geschoben hätte?«

»Dass der Engel Abraham Einhalt geboten und den Hammel vor ihn hingeschoben hat, beweist, dass es Gottes Stimme war.«

»Im Nachhinein klingt das versöhnlich, doch in dem Augenblick, in dem der Mensch ein so grauenhaftes Begehren vernimmt und alles offen ist und vor ihm die unendliche Leere sich auftut … Was ist, wenn diese wahrhaftig leer und wenn in ihr keinerlei Sinn ist?«

»Wo der Glaube ist, dort gibt es nicht die Leere der Sinnlosigkeit!«

»Doch sein Kind umbringen? Was für ein Gott kann von einem Vater den Tod seines Sohnes verlangen …«

»… wenn nicht Gott, der imstande ist, sogar den eigenen Sohn in den Tod zu schicken, um damit die grobe Unterbrechung eines derart häretischen Denkens zu betonen?«

»Still! Wir sollen uns nicht in die Schöpfung drängen und sie besser verstehen wollen, als nötig und als uns bestimmt ist. Untergraben wir nicht Gottes Pläne mit Zweifeln und unangemessenen Fragen! Es gibt Dinge, die uns übersteigen, die man nicht verstehen und die man nur hinnehmen kann!«

»Doch wie sollen wir mit Bestimmtheit wissen, was Gott von uns will? Dass er überhaupt etwas von uns will? Woher wollen wir wissen, dass die Stimme, die zu uns spricht, nicht unsere eigene Narrheit ist?«

»Wir wissen es, weil wir glauben! So ist es und nicht anders! Wir müssen Gott für alles, was wir sind und haben, dankbar sein. Ohne ihn würde es auch uns, die wir nach Gottes Ebenbild erschaffen sind, nicht geben …«

»Schon, schon, aber einige, sehr wenige zwar, glauben, dass es für unser Dasein nicht den Geist Gottes braucht. Und dass es uns in unserer ganzen elenden Unvollkommenheit gibt, weil uns die kalten Gesetze der Natur ausgespuckt haben, denen am Menschen nichts liegt und die weder von Gott noch von sonst etwas eine Ahnung haben. Die Naturgesetze, die wie wildgewordene Automaten ins Leere schaffen und mahlen. Und dass wir, die wir glauben, Gottes Ebenbild zu sein, in Wahrheit nur die Körner sind, die in diese verrückte Maschine geschüttet werden, um nichts bedeutender als die Tiere und das Wasser und die Steine und die Gestirne. Denn es gibt einige, die ohne Gott leben können und weder Grauen nach Angst davor haben, dass die Welt ohne Sinn vor sich hin mahlt von Anfang bis Ende. Und das Ende kommt, eines schönen Tages, sagen diese, der vor allem nicht schön, sondern hässlich sein wird, dann bleibt die Maschine stehen, weil die Naturgesetze es so wollen. Schlimmer noch – vielleicht wollen sie weder noch wollen sie nicht, sondern sie mahlen ohne einen Funken von Geist vor sich hin, bis sie in sich zusammenfallen und mit der Welt genauso verschwinden, wie sie entstanden sind …«

»Völlig ausgeschlossen! Etwas kann nicht aus dem Nichts entstehen und dann im Nichts verschwinden. Das geht nicht! Unmöglich! Unmöglich! Es gibt keine Natur ohne Gott! Gott hat die Natur erschaffen, in der nichts geschieht, das er ihr nicht selbst eingeschrieben hätte!«

»Und die Wunder?«

»Mit Wundern zeigt Gott uns seine Größe, indem er die Natur aufbläst und sie ein wenig in die Mangel nimmt.«

»Doch was ist, wenn es keine Wunder gibt und das bloß Naturerscheinungen sind, die wir seltsam finden, weil wir sie nicht begreifen können?«

»Was wenn … Aber … Trotzdem … Doch … Diese ganzen Fragen, das alles führt doch zu nichts!«

»Aber einige leben mit der Abwesenheit von Sinn … können damit leben …«

»Nicht mehr lange! Denn wir stöbern sie auf, stochern sie heraus, und dann werden wir sehen, wie sie ihre Melodie in Spanischen Stiefeln zu Ende singen und tanzen werden!«

»Aber was ist, wenn wir Gott nur haben, weil wir uns fürchten, und bloß aus Furcht davon faseln, dass er uns erschaffen hat und über uns wacht? Und wenn wir in seinem Namen nur aus Grauen vor der möglichen Wahrheit handeln, dass es gleich ist, ob wir gut oder schlecht sind, dass es völlig unwichtig ist, ob es uns gibt oder nicht?«

»Still!! Besser, wenn das ganze Geschwafel unter uns bleibt! Die Wände haben ungeheure Ohren und Adleraugen, die daran haften, besser, wenn wir nicht laut drüber reden …«

 

Na gut … jetzt sagen wir einmal nichts:

Was wir denken, bleibt in unserem Kopf, und wir geben keinen Laut von uns, weil wir Angst haben. Wir haben Angst vor dem Schöpfer, noch mehr fürchten wir, dass es keinen Schöpfer gibt und dass all die Geschichten über Gott Erfindungen sind, mit denen uns die Herren unterdrücken und vor allem wir selbst. Alles macht uns Angst – die Natur, Gott, der Graf, der Fürst, der Kaiser, all diese Bischöfe und Vikare, die Visitationen, die Glaubenskommissionen, die Prädikanten, die Springer, die Stifter und die Landsknechte, dann die Türken, Krankheiten, natürliche und übernatürliche Katastrophen, schlechte astrologische Vorbedeutungen, wir haben Angst vor Fremden, wir haben Angst voreinander, wir haben vor uns selber Angst.

 

Und jetzt denken und reden wir wieder laut:

Am schlimmsten ist, wenn du alles tust, und zwar genau so, wie Gott es will, und trotzdem schert er sich nicht um dich. Du sprichst zu ihm, bettelst ihn an, kriechst ihm in den Arsch, er aber, als verschlösse er Augen und Ohren, während dir ein Unglück zustößt, noch ehe du dich vom letzten erholt hast. Wenn am Horizont eine neue Katastrophe heraufzieht, und zwar nicht nur dir, auch deinen Nächsten, macht das Glück einen weiten Bogen um uns, während die andern, die Gottes Gesetz polternd übertreten, im schönsten Frieden leben und sich einen Wanst anfressen, denn das Leben legt ihnen aus uns unerfindlichen Gründen die größten und schmackhaftesten Bissen auf den Tisch. Und wir warten und warten, fragen uns und verstehen nichts. Warum trifft es uns, die wir weder Schuld noch Schulden haben? Warum befällt die Krankheit nicht jene, die die menschliche – wirklich menschliche? – Bosheit verkörpern, sondern den guten Ehemann und Vater, der sich von früh bis spät abmüht, um die Familie zu ernähren? Warum greift die Krankheit die Mutter an, die aus ihrer vertrockneten Brust ihr zehntes Kind säugt, das allem Anschein nach, wie schon sechs Kinder davor, bald nachdem seine Lungen zum ersten Mal Leben geschöpft, dieses endgültig aushauchen wird? Nun, warum?! Warum widerfährt das uns, den Gerechten und Anständigen, gewissen Leuten aber nie, gar nie?