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Peter Hamm

Peter Handke und
kein Ende

Stationen einer Annäherung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wallstein Verlag

 

 

 

 

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

 

 

© Wallstein Verlag, Göttingen 2017

www.wallstein-verlag.de

Umschlaggestaltung: Wallstein Verlag, Göttingen,

unter Verwendung eines Fotos von Isolde Ohlbaum

ISBN (Print) 978-3-8353-3156-3

ISBN (E-Book, pdf) 978-3-8353-4169-2

ISBN (E-Book, epub) 978-3-8353-4170-8

Inhalt

Versäumte Solidarität
Eine Erwiderung auf »Totgeborene Sätze«, Peter Handkes Attacke gegen Thesen einer SDS-Gruppe

Der neueste Fall von deutscher Innerlichkeit:
Peter Handke

Jetzt kann er ich sagen
»Der kurze Brief zum langen Abschied«

Das Erscheinen des Abwesenden in der Fremde
Zu Peter Handkes Film »Die linkshändige Frau«

Vorläufige Wiedergeburt
»Langsame Heimkehr«

Die (wieder) einleuchtende Welt
»Der Chinese des Schmerzes«

Abstand halten
Peter Handke als junger Briefschreiber und erwachsener Leser

Der Geschichtsschreiber der Gegengeschichte oder Die Zurücknahme des Urteils
Laudatio auf Peter Handke anlässlich der Verleihung des Schiller-Preises des Landes Baden-Württemberg 1995

Vom Mönchsberg herunter
»Am Felsfenster morgens«

Die Einfrauexpedition zum Eintagsvolk
»Der Bildverlust«

»In zweistimmiger Einheit«
Hermann Lenz und Peter Handke im Briefwechsel

Die spanische Sierra De Gredos als Weltoase
Peter Handke und Spanien

Ein Haus ist mehr als ein Haus
oder Versuch über das Haus des Dichters

 

 

EDITION PETRARCA

 

Herausgegeben von Hubert Burda, Peter Hamm,

Peter Handke, Alfred Kolleritsch

und Michael Krüger

Versäumte Solidarität

Eine Erwiderung auf »Totgeborene Sätze«, Peter Handkes Attacke gegen Thesen einer SDS-Gruppe

Es ist nicht meine Absicht, die Thesen der Berliner SDS-Gruppe »Kultur und Revolution« über »Kunst als Ware der Bewußtseinsindustrie« zu diskutieren, sie sind, wie Peter Handke nachgewiesen hat, undiskutabel. Handkes Nachweis hingegen ist diskutabel. Bedeutsam ist dieser Unterschied nur für jene, die glauben, dass derartige Diskussionen einen Sinn haben. Diesen Gläubigen möchte ich im folgenden zu überlegen geben, auf wessen Kosten und zu wessen Vergnügen Handke in seinem Diskussionsbeitrag zu dem SDS-Elaborat brillant ist und ob er nicht unfreiwillig mit dieser seiner Brillanz alles das bestätigt, was der SDS-Gruppe »Kultur und Revolution« zu artikulieren sicher vorschwebte, aber zu formulieren versagt blieb.

Mein erster Eindruck beim Lesen des Handke-Beitrags mag ungerecht sein, es war derselbe Eindruck, den ich noch jedesmal beim ersten Lesen eines Handke-Textes hatte: Hoppla, jetzt komm ich! Dieser Text schien mir in seiner auftrumpfenden, witzigen Überlegenheit schamloser zu sein als das SDS-Manifest, dem Handke Schamlosigkeit vorgeworfen hatte. Aber da möchte ich mich jetzt korrigieren, denn »schamlos« ist sicher eine ebenso unsinnige Kategorie wie, sagen wir, »modisch« (die man so gerne für Handke bemüht); beides sind Begriffe, die an gewisse historische und soziale Voraussetzungen gebunden sind, das heißt, Handke schämt sich für etwas anderes als ein paar Mitglieder des Berliner SDS. Nein, »Eitelkeit« und »Schamlosigkeit« sind keine Argumente gegen Handkes Text. Blieben demnach nur Handkes Argumente selber, die widerlegt sein wollen. Aber auch da muss ich passen, denn Handkes Argumente sind als Argumente unwiderlegbar. Was dann? Kann jemand ernsthaft gegen richtige Argumente polemisieren? Schwerlich. Ich kann also nur versuchen, mein Unbehagen über diese Art von richtigen Argumenten zu beschreiben.

Also. Mich stört zunächst das, was offenbar auch Hellmuth Karasek so störte, dass er die Glosse »Alles oder nichts« schreiben musste, nämlich die Tatsache, wie leicht es in unserer Situation ist, recht zu haben. Wo eigentlich alle, wenn sie nicht gerade so sprachlos sind wie die SDS-Gruppe »Kultur und Revolution«, recht haben können, erbringt aber vielleicht recht zu haben nichts mehr – jedenfalls weniger als diese von Handke konstatierte Sprachlosigkeit der SDS-Gruppe. Das soll heißen: Die »totgeborenen Sätze« der SDS-Gruppe geben mir zu denken (eben weil sie totgeboren sind), Handkes Sätze nicht; was Handke vorbringt, könnte ich zur Not auch noch selber vorbringen (weniger witzig, zugegeben), was dagegen die SDS-Gruppe vorbringen möchte und nicht vorzubringen vermag, würde auch ich gerne vorbringen und weiß es doch nicht viel überzeugender vorzubringen (bestenfalls besser zu formulieren).

Und gerade das macht mich nachdenklich, um nicht zu sagen: es bestürzt mich. Und eben diese Bestürzung über eine (unsere) Situation, die ganz unerträglich scheint, uns aber doch nicht mehr als verbale Proteste und verbale Erwiderung auf diese abnötigt, diese meine Bestürzung ist es wohl, die mir die sprachsichere Erwiderung Handkes peinlicher erscheinen läßt als jene Sprachlosigkeit, die diese zur Plattform nimmt.

Mir macht es Unbehagen, oder ich bin bestürzt darüber, daß der SDS-Text Handke nicht Unbehagen macht oder bestürzt, sondern daß er ihn offenbar nur belustigt. Daß die »totgeborenen Sätze« dieses Manifests Handke nicht zu schade und noch lebendig genug sind, sich darüber zu mokieren, statt zu versuchen, sie ein bißchen zum Leben zu erwecken, das ist es, was mich bestürzt. Über Leute, die schreiben: »Kunst ist gesellschaftlich, und dies in dreierlei Hinsicht«, kann man sich nicht mokieren, meine ich, man kann jedoch forschen nach den Ursachen ihres gestörten Verhältnisses zur Sprache, einer Sprache, die offenbar das, was gesagt werden soll, nicht mehr auszudrücken vermag – und wenn sie es vermag, wie in Handkes Erwiderung, das Auszudrückende degradiert zum bloßen Ausdruck, zum bloßen Ausgedrückten. Natürlich bietet es sich an, zu kontern: »Der SDS ist gesellschaftlich, und dies in dreierlei Hinsicht …«, aber eben weil sich das so sehr anbietet, könnte man es sich doch, auch wenn man Handke heißt, versagen, nur zu kontern. Daß Handke Vergnügen daran hat, auf Kosten eines total rat- und sprachlosen SDS eloquent zu sein, ist mir kaum begreiflich.

Warum, wenn Handke nicht, was ich verstehe, seine Sprache einfach dem SDS »zur Verfügung stellen« kann, warum verzichtet er nicht darauf, das verbale Revolutionsspielchen mitzuspielen, verweigert seine Sprache? Die einzig überzeugende Alternative zu der aus Ratlosigkeit zur Scholastik hochstilisierten SDS-Sprache scheint mir jene große Verweigerung zu sein, wie sie etwa Handkes Landsmann Thomas Bernhard praktiziert, der seine Sprache nicht dazu hergibt »Diskussionen« in Gang zu halten – oder gar die Sprachlosen zu beleidigen, nur weil sie keine Sprache haben.

Dass Handke den SDS-Jargon zum Anlass nimmt, um seine Sprachbegabung unter Beweis zu stellen, lässt im übrigen auffallenderweise oft genug seine eigenen Sätze verkommen. Als ich sie zum erstenmal las, erinnerte ich mich an Alexander Kluges Film Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos, den ich mit Handke zusammen besucht habe und den Handke, meiner Meinung nach, mit Recht als »preziös« bezeichnete; offensichtlich störte Handke, dass Ratlosigkeit hier allzu schick und selbstgefällig präsentiert wurde. Nun aber hat Handke selber der Ratlosigkeit, die aus dem SDS-Text spricht, nur jenen Schick, den er Kluge ankreidete, entgegenzusetzen; mit einem Wort, seine Erwiderung ist preziös. Zu schön, um wahr zu sein. Oder: zu wahr, um wahr zu sein. Etwas mehr Ratlosigkeit auch auf ihrer Seite, schon wäre sie vertrauenswürdiger. In dieser Form nützt sie jedenfalls nur jenen ganz und gar nicht Ratlosen, die für alles einen Rat wissen, und auch dafür, wie man die Ratlosigkeit des SDS am raschesten aus der Welt schaffen könnte. Diese Antwort – schwerwiegendster Vorwurf – stellt einen Akt versäumter Solidarität dar. Sie kommt dem SDS-Text nicht zur Hilfe. Sie wirkt deshalb auch elitär. So elitär, wie viele Leser eines bürgerlichen Weltblattes den »Künstler« gerne haben wollen. So elitär, wie die Berliner SDS-Gruppe »Kultur und Revolution« den Künstler offenbar und mit Recht nicht mehr haben möchte, obwohl sie uns Alternativen, Dieter E. Zimmer hat darauf hingewiesen, nicht zu artikulieren vermag.

Sicher, dieses SDS-Manifest hätte besser nicht geschrieben werden sollen, schon deshalb nicht, weil es zulässt, dass es Leser der ZEIT mit dem SDS schlechthin identifizieren; aber erst recht nicht hätte geschrieben werden sollen eine Erwiderung, die es sich so leicht macht, nur zu beweisen, dass dieses Manifest nicht hätte so geschrieben werden sollen. Sondern anders. Wie, lieber Peter Handke? Es wäre vielleicht an Ihnen gewesen, uns das zu sagen.

Theodor W. Adorno hat in seinem vor dreißig Jahren geschriebenen Aufsatz »Über den Fetischcharakter in der Musik« (dessen Argumentation übrigens hinter der Sprachlosigkeit des SDS-Manifests gewissermaßen noch zu erahnen ist) die Art Solidarität, die ich von Handke glaubte erwarten zu können, genau charakterisiert, Adorno schreibt: »Die kollektiven Mächte liquidieren auch in Musik die unrettbare Individualität, aber bloß Individuen sind fähig ihnen gegenüber, erkennend, das Anliegen von Kollektivität noch zu vertreten.« Handke vertrat leider, wieder einmal, bloß sich selber. Das finde ich schade. Das bestürzt mich.

Erstdruck in: Die Zeit, 13.12.1968.

Der neueste Fall von deutscher Innerlichkeit: Peter Handke

Peter Handke: »Das Lieblingskind der westdeutschen Kritik« (FAZ), »längst die Signal-Figur seiner Generation« (Christ und Welt), »Showboy der jungen Literatur« (Abendzeitung), »Handke hat es in sich« (Rheinischer Merkur), »alle lieben Peter Handke« (Tagesspiegel), »Handke ist in« (FAZ), »der Erfolgreichste« (Spiegel). Kein Zweifel: Nach Günter Grass hat Peter Handke von allen deutschsprachigen Autoren die meiste Publicity. Auffallend ist allerdings der Unterschied zwischen der Grass- und der Handke-Gemeinde: Die erstere hat ihren Autor gelesen oder doch zumindest angelesen, wohingegen die meisten Handke-Fans von diesem kaum mehr kennen dürften als den Titel seines bekanntesten Theaterstücks, Publikumsbeschimpfung – und eben Peter Handke.

Nicht der Autor Handke ist »in«, sondern sein Image (dem trägt der Suhrkamp-Verlag ganz offensichtlich Rechnung, wenn er das neueste Buch dieses Autors kurzerhand unter dem Titel Peter Handke anbietet und gleich mit 12 Handke-Fotos den Buchumschlag bestückt).

Will man Handkes Disposition für dieses attraktive Image in Erfahrung bringen, stößt man zunächst auf die Tagung der Gruppe 47 in Princeton, USA, die Handke über Nacht bekannt machte, weil er hier in einem bis dahin bei der Gruppe 47 ungewöhnlich rüden Vokabular die so genannte »Beschreibungsliteratur« attackiert hatte. Einem breiteren Publikum war nun freilich der Gegenstand dieser Attacke völlig egal, ihm gefiel nur, daß es da ein Junger den Etablierten offenbar gegeben hatte; die Gruppe 47 jedoch – und das ist das für Handke Symptomatische an diesem Vorgang – war ja überhaupt nur deswegen bereit, diese Attacke hinzunehmen, weil Handke sich ihr gerade durch ein Stück Beschreibungsliteratur – das Ödeste übrigens, das sich denken läßt, den Roman Die Hornissen – als vertrauenswürdig empfohlen hatte.

Von Princeton bis heute arbeitete Handke erfolgreich nach diesem Muster, sich bereits erarbeitete Techniken anzueignen, sie als Methode zu institutionalisieren, um gleich darauf empört festzustellen, dass sie institutionalisiert und also nicht mehr brauchbar seien. Handkes Image beruht also primär darauf, dass er es versteht, als Außenseiter aufzutreten – ohne einer zu sein; wäre er einer, fände er gewiss kein Forum fürs seinen Auftritt. Zustatten kommt ihm dabei sein Äußeres, seine Begabung, sich geschickt zu verkleiden, die auch die Siebenundvierziger, die offenbar vor Princeton nie Derartiges gesehen hatten, zu glauben veranlasste, ein echter Beatnik wäre ihnen da erwachsen. So willkommen war dieser ihnen jedoch mit Sicherheit nur, weil er trotz langer Haare, Samtjacke und ungeschminkter Redeweise durchblicken ließ, dass er dennoch zur Zunft gehöre. (»Ob Handke will oder nicht: er ist ein Dichter«, das darf heute mit Recht sogar Friedrich Torberg in der Welt feststellen.)

Amüsiert stellt man fest, dass dieses Handke-Bild vom Jüngling mit dem ungewohnten Äußeren und dem gewohnten Inneren sich publizistisch inzwischen bis in der hintersten Provinz durchgesetzt hat; so liest man etwa in einem »Porträt des Tages« im Regensburger Tagesanzeiger über Handke: »Auf den ersten Blick wirkt er wie ein ganz gewöhnlicher Beat-Fan mit seinem langen Haar, seinem karierten Hemd und seinen engen Hosen, bei näherem Hinsehen registriert man außer der ›Verpackung‹ gute Manieren und eine leise, beherrschte Sprechstimme und ist versucht, den ersten Eindruck zu revidieren und zuzugeben, dass man es mit einem gut erzogenen jungen Mann zu tun hat. Doch in Wirklichkeit sitzt uns im Parkhotel Maximilian ein Schriftsteller gegenüber …«

Solche Sätze verändern die Situation unfreiwillig zur Kenntlichkeit, entsprechen dem, was Handke unentwegt freiwillig tut, nämlich das endlich »ganz gewöhnlich« Gewordene wieder mit ungewöhnlicher Bedeutung aufzuladen, das, was dem Zugriff des Kulturbetriebs schon entzogen war, diesem wieder zurückzuerstatten, äußerliche Attribute der Subkultur zur Bereicherung der privaten Kunstproduktion zu verwenden und bereits öffentlich Vermitteltes zu reprivatisieren. Den »ganz Gewöhnlichen« wird dabei suggeriert, einer der ihren habe jetzt sogar das Theater erobert (und also könne am Theater vielleicht doch was dran sein); in Wirklichkeit werden sie und was sie auszeichnet, zum bloßen Spiel-Material degradiert. Wie früher Literaten das Bürgertum ästhetisch ausbeuteten (was diesem immerhin adäquat ist, lebt es doch selbst von Ausbeutung), beutet heute der Literat Handke ästhetisch »die ganz Gewöhnlichen« aus (obwohl sie doch schon im Produktionsprozess ausgebeutet werden). Handke macht ihre winzigen Widerstandsgesten und Freizeit-Fluchtversuche (die ja ohnehin nur der Reproduktion der Arbeitskraft dienen) auf dem Theater für ein bürgerliches Publikum konsumierbar. Er integriert sie und ihre Gegenkultur wieder in die Kultur bürgerlicher Herrschaft.

Bezeichnend hierfür sind etwa die (sich freilich schon durch ihren Chic verratenden) »Regeln für die Schauspieler«, die Handke seiner Publikumsbeschimpfung vorangestellt hat. Da heißt es:

»Die Anfeuerungsrufe und die Schimpfchöre auf den Fußballplätzen anhören. Die Hitparade von Radio Luxemburg anhören. Die Beatles-Filme ansehen. In dem Film ›Der Mann aus dem Westen‹ das Gesicht Gary Coopers ansehen. ›Tell me‹ von den Rolling Stones anhören.«

Und wozu dies alles? Wo daraufhin doch bloß jene, die sich ihre Theaterplätze auch noch jeweils mit fünfzehn Mark subventionieren lassen, mit den paar erwarteten, von nachgemachten Beatles vorgetragenen Sprachschocks bedient werden, die sie für ihr bloßes Kommen verdient zu haben glauben.

Integration von Subkultur in die kulturelle Privatproduktion ist im übrigen bei Handke permanent und nicht nur in seiner Theaterarbeit zu beobachten. Ob er nun Western wie Der Galgenbaum (mit Gary Cooper) oder Sacramento (mit Randolph Scott) minuziös nacherzählt und ihnen damit eben jenes befreiende Moment, das sie auf dem Weg vom verhärteten Begriff zum sinnlichen Bild eroberten, wieder raubt; ob er die Aufstellung des 1. FC Nürnberg vom 27.1.1968 oder die japanische Hitparade vom 25. Mai 1968 in seinem Buch Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt unter die dem Obertitel entsprechenden bedeutungsvollen Texte mischt und damit noch einmal verdinglicht, was an Sport oder Schlager sowieso nur als Marktwert überleben durfte; ob er die Technik des Kriminalromans, deren befreiendes Moment gerade im puren Modellcharakter liegt, in seinem Roman Der Hausierer mit Tiefsinn belastet und ungenießbar macht; ob er das juristische Vokabular oder allgemeine bürokratische Vermittlungsformen in Texten wie »Zugauskunft« als rein formale Mittel, als Gags, verwendet, ohne zu bedenken, dass sich in ihnen gesellschaftliche Zwänge abbilden; oder eine Paraphrase zu Kafkas Prozess schreibt und dabei versäumt, was allein sie legitimieren könnte und was etwa Andy Warhol mit seiner Mona Lisa gelang, nämlich Bedeutungen auszuräumen statt sie noch einmal zu reproduzieren; ob er in den Interviews, die er so freigiebig gibt, anbiedernd von den Flippern in seiner Wohnung spricht, als hätte auch er keine anderen Befreiungsmöglichkeiten; ob er in einem Band mit dem treuherzigen Titel Deutsche Gedichte zwanzig zugeklebte Couverts präsentiert, in denen man schließlich unter anderem die Anfangszeiten der katholischen Gottesdienste in Garmisch oder eine Obstpreisliste vom vergangenen Herbst finden kann und zugleich die anspruchsvolle Theorie dieser Buchform dazu: Immer pointiert Handke das vorgefundene Material und macht es damit wieder esoterisch (so dass es noch nicht einmal den freilich auch bloß ästhetischen Wert des poème trouvé oder object trouvé behält), immer unterwirft Handke es einem »künstlerischen Anspruch«, immer verleiht er der Subkultur wieder jene Aura und Autorität, jene falsche Einzigartigkeit, deren Liquidation fortgeschrittene Kulturkritik und ästhetische Praxis doch zu Recht besorgten. Karlheinz Bohrer spricht treffend von der »zwanghaften Artistik … in die Handke sich immer mit Rilkescher Reinheit einschließt«, und von der »totalen Esoterik einer neuen Innerlichkeit«. Und Hellmuth Karasek meinte, bevor er zu Handke überlief, in seiner Kritik des Romans Die Hornissen, dass Handke sich stets »den Eindruck erschleicht, vollkommen up to date zu sein«.

Das bedeutet, dass Handke immer noch die Rolle akzeptiert, die diese Gesellschaft dem sogenannten »Avantgardisten« angewiesen hat, der die materiellen Produktionsverhältnisse auf die geistigen überträgt und dementsprechend versucht, im künstlerischen Konkurrenzkampf der Stärkere zu bleiben, »der Einzigartige«, der Originelle. Momentan, wir wissen es, ist man am ehesten up to date und einzigartig, wenn man Subkultur-Elemente »wieder in Kultur verwandelt«, wie Witold Gombrowicz ein solches Verfahren mit verständlicher Verachtung benennt. Handkes zwanghafte Artistik und sein Versuch, stets up to date zu sein, lassen sich logisch nur erklären aus einem totalen Desinteresse an allem Gesellschaftlichen – soweit es nicht mit Sprache zu tun hat. Reinhard Lettau hat in einem Spottgedicht schon einmal auf dieses Desinteresse hingewiesen:

 

Der Dramatiker Peter Handke,

unterwegs nach einem Interesse,

begegnet

der Sprache,

dann dem Senator Franz Burda aus

Offenburg, endlich

sich selbst.

»Nach innen«, seufzt er, »geht

der geheimnisvolle Weg.«

 

Der Sprache gilt tatsächlich Handkes einzig nachweisbares Interesse, er hat die Sprache zum Thema fast aller seiner Texte gemacht. Was aber lässt sich den Sprachproblemen, wie sie sich ihm stellen, entnehmen?

Zunächst einmal, dass sie anscheinend die einzigen Probleme sind, die Handke kennt. Wenn man Handke glaubt, sind Wörter die schlimmste, die einzige Bedrohung für die Menschheit. Das trifft sich insofern gut, als dieser Ansicht von Berufs wegen auch die Literatur-Makler, die Kritiker, zuneigen müssen; ergriffen stellen sie deshalb vor jedem neuen Handke-Text neu fest, dass wieder einmal überzeugend bewiesen worden sei, dass wir uns »in der Zwangsjacke der Sprache« befänden: »Während wir, indem wir uns ausdrücken, fröhlich die Sprache als freie Wildbahn unserer Gedanken, Wünsche, Triebe betrachten, zeigen Handkes Texte, wie wir in der Sprache eingepfercht werden, wie Sätze uns umpflocken, wie wir uns in grammatikalische Modelle begeben wie in Zwangsjacken« (Hellmuth Karasek in der ZEIT). Gesegnet, wer sich, bis Handke kommt, stets fröhlich auszudrücken vermag und sich nichts Schlimmeres vorstellen kann, als »von Sätzen umgepflockt« zu werden.

Nun wäre es natürlich absurd, etwas dagegen einzuwenden, dass einer der Sprache misstraut; doch Handkes Misstrauen ist auf eine Weise formalisiert, die erkennen lässt, dass er gleichzeitig die Sprache maßlos überschätzt. Heideggers Meinung: »Der Mensch spricht nur, indem er der Sprache entspricht«, teilt Handke offenbar vollkommen. Kein Zweifel besteht für ihn darüber, dass der Sprache das Primat vor der materiellen Realität zukommt. In einer gerade im Spiegel publizierten Rezension (in der er, ohne das ausdrücklich anzumerken, für das Buch eines Freundes Propaganda macht, das er selbst zum Suhrkamp-Verlag brachte) schreibt er: »Die Sätze (machen) immer deutlich, daß das, was man bis jetzt als Leser für die unschuldige Wirklichkeit gehalten hat, von Syntax Vorgeformtes ist.« So ein Satz funktioniert freilich nur, wenn man akzeptiert, dass wir bisher alle von der Vorstellung ausgingen, die Wirklichkeit sei »unschuldig«. Dass sie es nicht ist, wussten wir zur Not vor Handke. Wenn Handkes Kaspar zum Schluss des gleichnamigen Stückes (das ursprünglich bezeichnenderweise »Sprachfolterung« heißen sollte) feststellt: »Schon mit meinem ersten Satz bin ich in die Falle gegangen«, geht Handke nicht nur in die Falle einer Metapher (die er doch mit Recht ablehnt), er suggeriert auch, dass es mit dem Nicht-Sprechen schon getan wäre. Dass es vielleicht möglich wäre, gesellschaftliche Verhältnisse zu schaffen, aus denen eine andere Sprache resultiert, ist bei ihm jedenfalls nirgends zu erfahren. Er insistiert beharrlich darauf, dass sich erst die Sprache ändern müsse, wenn die Welt sich ändern solle. Er scheint tatsächlich überzeugt davon, dass die Entfremdung, welche sich in unserer Sprache niederschlägt, sich auch sprachlich aufheben ließe.

Der SDS beispielsweise ist für Handke allein deshalb unannehmbar, weil »seine Sprache« (hat er eine einzige?) »schamlos« und »unverständlich« sei, als ob sie, wenn sie schamhaft das reproduzieren würde, was ohnehin alle zu verstehen gezwungen sind, diesem noch Widerpart leisten könnte! Doch Handke, ungeheuer harmlos, meint: »Man könnte sich mit den Zielen identisch erklären und sich einer APO-Gruppe anschließen; diese Sprache hält mich davon ab.« Davon abgesehen, dass man sich, wenn man schon mit der Sprache so feierlichen Umgang pflegt, wohl kaum »mit Zielen identisch erklären« kann, ist die Sprache, mit der Handke es halten könnte, noch nicht gefunden – beziehungsweise nur als erfundene, als »Privatsprache« vorstellbar (mit einer solchen kam allerdings schon Wittgenstein, auf den Handke sich so gerne beruft, nicht zurecht). Der von Wittgenstein propagierten »vollkommenen Sprache«, an die offenbar auch Handke glaubt, hielt schon in den dreißiger Jahren Christopher Caudwell entgegen, dass sie, gäbe es sie, »gänzlich nutzlos« wäre, denn »das Wort hat eine subjektive und eine objektive Seite, doch diese beiden existieren nicht im Wort an sich und in der Kontemplation, genausowenig, wie eine Pfundnote an sich als Papier und Druck existiert; sie existieren nur als gesellschaftlich-dynamischer Vorgang im Wort, so wie eine Pfundnote nur im Tausch existiert«, das heißt auch, die Sprache lässt sich nur dialektisch erfassen. Der Traum von der vollkommenen, der »sauberen Sprache« ist freilich nicht nur die Fiktion eines Idealisten, sondern als solche eben auch ein Stück Ideologie von schlechtester Herkunft; es verbirgt sich dahinter »falsche Unmittelbarkeit«, eine Art Traum vom »einfachen Leben«, das allerdings so gänzlich unvermittelt, ursprünglich und ordentlich sich überhaupt erst – worauf Adorno im »Jargon der Eigentlichkeit« hingewiesen hat – nach der Abschaffung der Sprache, mit Hilfe der »Sprachlosigkeit von Zeichen und Befehl« durchsetzen ließe.

Wer wie Handke von der »Sprache selbst« redet, muss wohl doch etwas mit jenen gemein haben, die gern vom »Menschen selbst« oder vom »Menschen als solchem« reden, denen es um sein »Wesen« zu tun ist und um sein »Sein« anstatt um seine materiellen Lebensbedingungen, jene, die dem »Phantom des unpolitischen oder ›natürlichen‹ Menschen« (Marx) verfallen sind. »Daß jedoch der werdende Mensch nicht im Naturraum, sondern im Raum der Menschheit, dem Befreiungskampf, eigentlich Gestalt gewinnt, daß man ihn an der Haltungnicht ReinheitReinigungdie