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Edgar Bérillon

Die Psychologie der deutschen Rasse

nach ihren objektiven
und spezifischen Merkmalen
 
oder 
Von Vielfraßen, Fettwänsten
und Stinkstiefeln

Herausgegeben und übersetzt
von Thomas Höpel und Ralf Pannowitsch

 

Mit einem Vorwort von Thomas Höpel

 

 

 

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Die Originalausgabe erschien 1917 unter dem Titel

La psychologie de la race allemande

bei A. Maloine et Fils, Éditeur.

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese

Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

 

 

 

© Wallstein Verlag, Göttingen 2020

www.wallstein-verlag.de

Einbandgestaltung: Marion Wiebel, Wallstein Verlag, unter Verwendung einer Abbildung aus der französischen Originalausgabe.

Sämtliche Abbildungen im Innenteil sind ebenfalls der Originalausgabe entnommen.

ISBN (Print) 978-3-8353-3691-9

ISBN (E-Book, pdf) 978-3-8353-4471-6

ISBN (E-Book, epub) 978-3-8353-4472-3

Inhalt

Feindbilder und Ethnisierung des Gegners
im Ersten Weltkrieg – ein Vorwort
Thomas Höpel

Die Psychologie der deutschen Rasse
Edgar Bérillon

Anmerkungen und Quellen

Feindbilder und Ethnisierung des Gegners
im Ersten Weltkrieg – ein Vorwort

Der Erste Weltkrieg führte den nationalistischen Taumel in Frankreich wie in Deutschland auf neue Höhen. Auch wenn es in der europäischen Bevölkerung ursprünglich keineswegs eine breite Kriegsbegeisterung gab, kam es doch rasch zu einer nationalistischen Mobilisierung breiter Massen.[1] Vor allem das Engagement von Künstlern, Schriftstellern und Wissenschaftlern führte zu einer Ideologisierung des Krieges, zu einer Verfestigung von Feindbildern und nationalen Stereotypen sowie zu einer Radikalisierung des Konflikts und wirkte bis in die Nachkriegszeit hinein. Dieses Engagement war zumindest überraschend, waren doch gerade diese Berufsgruppen zuvor mehr als andere Bevölkerungsschichten in einen immer enger werdenden internationalen Austausch eingebunden gewesen. Aber die »internationale Gelehrtenrepublik« zerbrach nach Kriegsausbruch rasch.[2] Künstler, Schriftsteller und vor allem Wissenschaftler entdeckten ihren Patriotismus und versahen den Krieg mit einem tieferen Sinn.

Selbst wenn einige von ihnen dem Zeitgeist folgten, um größeren Anklang beim Publikum zu finden, lag der hauptsächliche Grund für dieses Engagement im ausgeprägten Krisenbewusstsein, das diese Schicht seit dem Ende des 19. Jahrhunderts erfasst hatte. Das liberale Fortschrittsmodell, das die europäischen Gesellschaften noch in den Jahrzehnten zuvor beflügelt hatte, war in die Kritik geraten. Dichter, Künstler und Gelehrte konstatierten Erstarrung und Niedergang der Gesellschaft, den Zerfall bisheriger Werte, Vermassungstendenzen und eine zunehmend materialistische Kultur. Der Krieg als grundsätzlicher Umbruch der Verhältnisse schien eine Wende zu bringen, die alten Werte wieder aufzurichten und eine Erneuerung der Kultur einzuläuten. Hinzu trat der nationalistische Zeitgeist, der auch an den Künstlern, Schriftstellern und Wissenschaftlern nicht spurlos vorübergegangen war. Das nationalistische Engagement wurde dadurch befeuert, dass der Krieg zu Beginn als national einigendes Band wahrgenommen wurde: Konflikte zwischen Klassen und Schichten in den europäischen Nationen schienen bei Kriegsbeginn zu verschwinden. Das wurde als Wiedergeburt der Nation gedeutet.[3] Bisherige Krisensymptome und Konflikte wurden fortan auf die gegnerischen Nationen projiziert, was zu einer ungeheuren Aufladung der Feindbilder führte. Nicht nur, dass der Gegner nun häufig verteufelt wurde, es mehrten sich auch Stimmen, die die eigene Nation zum auserwählten Volk stilisierten.[4]

Diese Verschärfung von Selbst- und Fremdbildern wurde zudem durch sozialdarwinistische und rassistische Theorien und Vorstellungen radikalisiert. An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hatten sich sozialdarwinistische Perspektiven und rassische Interpretationen und Überlegenheitstheorien in den meisten europäischen Staaten verbreitet. Auch der Antisemitismus erlebte in diesem Zusammenhang in allen europäischen Gesellschaften einen erheblichen Aufschwung. Völker und Nationen wurden subjektiviert; analog zum Überlebenskampf im Tierreich wurde davon ausgegangen, dass sie in Konkurrenz zueinander und in einem Konflikt auf Leben und Tod stünden.[5] Dieser Diskurs sollte die innere Geschlossenheit in den europäischen Nationen stützen, insbesondere gegen die als internationalistisch betrachtete Sozialdemokratie, der man vorwarf, die Gesellschaft zu destabilisieren. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs mündete dies aber auch in eine kaum erträgliche Ethnisierung des Gegners, der als minderwertig dargestellt wurde. Edgar Bérillons Text ist einer der schrillsten solcher Art, aber bei weitem nicht das einzige Zeugnis dieser Entwicklung. Seine Ideen wurden in Frankreich auch nicht als Ergebnis eines überspannten und an Wahnsinn grenzenden Deutschenhasses marginalisiert, sondern vielmehr in Tageszeitungen mit vollem Ernst an ein breites Publikum herangetragen.

Schon Zeitgenossen deuteten den Ersten Weltkrieg als eine neuartige Auseinandersetzung, bei der propagandistische Elemente bewusst und massiv eingesetzt wurden. Der deutsche Diplomat Josef Lettenbaur schrieb bereits 1916: »Mehr als irgend ein Völkerstreit bisher ist es aber ein Krieg von Worten und mit Worten, ein Krieg um die Macht des Wortes.«[6] Die intellektuellen Eliten wurden in Frankreich wie in Deutschland massiv in die Propaganda eingespannt; ein regelrechter Kulturkrieg wurde entfacht.[7] In Deutschland steht für die Einbindung der Historiker in die offiziös geförderte Propagandakampagne der Sammelband Deutschland und der Weltkrieg; in Frankreich könnten als Pendant dazu die vom Historiker Ernest Lavisse herausgegebenen Lettres à tous les Français gesehen werden; zu deren Herausgeberkomitee gehörten u. a. der Soziologe Émile Durkheim, der Historiker Charles Seignobos, die Philosophen Émile Boutroux und Henri Bergson, der Literaturhistoriker Gustave Lanson sowie der Germanist Charles Andler.[8]

Die Entwicklung
der deutsch-französischen Feindbilder

In Frankreich war sofort nach Kriegsausbruch der Gegensatz von französischer Zivilisation und deutscher Barbarei beschworen worden, wie dies schon 1870, wenn auch mit deutlich geringerer internationaler Resonanz, geschehen war. So erklärte der Philosoph Henri Bergson bereits am 8. August 1914 während einer Rede vor der Académie des Sciences morales den Krieg gegen Deutschland zu einem Kampf »der Zivilisation gegen die Barbarei«.[9] Noch vor den deutschen Kriegsverbrechen in Belgien wurde der Kampf in Frankreich als Kulturkrieg gesehen. Die Zeitung Le Matin sprach schon am 4. August 1914 vom »Heiligen Krieg der Zivilisation gegen die Barbarei«.[10]

In diesen Vorwurf stimmten weitere Größen der französischen Geisteswelt ein: Der Soziologe Émile Durkheim glaubte in der deutschen Mentalität die geistige Voraussetzung für den Krieg zu erkennen.[11] Der Historiker Ernest Lavisse, vor dem Krieg noch für seinen weichen Patriotismus bekannt, titulierte die Deutschen nach Kriegsbeginn dann rasch als Barbaren.[12]

Anfangs bezog sich dieser Barbarenvorwurf vor allem auf das preußische Militär – Wilhelm II. wurde als »Chef der Barbaren« gebrandmarkt; später wurde diese Charakterisierung auf die gesamte deutsche Bevölkerung ausgedehnt.[13]

Ausschlaggebend für diese Erweiterung war der deutsche Aufruf an die Kulturwelt, der am 4. Oktober 1914, unterschrieben von 93 deutschen Schriftstellern, Wissenschaftlern und Künstlern, erschien. Er richtete sich gegen Vorwürfe der Entente wegen der Gräueltaten, die die deutsche Armee bei der Besetzung des neutralen Belgiens verübt hatte, und sollte vor allem die öffentliche Meinung in den nicht kriegführenden Staaten positiv beeinflussen. Der von Ludwig Fulda – mit offiziöser Unterstützung des Chefs des Nachrichtenbüros im Reichsmarineamt – verfasste Text stieß vor allem in Frankreich auf wütende Reaktionen.[14] Er wurde zudem am 16. Oktober 1914 von einer »Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches« unterstützt, die mehr als 4000 Dozenten unterzeichnet hatten; das entsprach fast dem gesamten Lehrkörper der 53 deutschen Universitäten und Hochschulen.[15] Die Erklärung bekannte sich explizit zur Einheit von deutschem Heer, deutschem Volk und deutscher Wissenschaft und griff damit einen Punkt des Aufrufs explizit auf.[16] Insbesondere der »Aufruf an die Kulturwelt« löste in Frankreich eine Welle von Chauvinismus und Nationalismus aus, bei der deutscher Militarismus, Monarchie, deutsche Wissenschaft und Kunst als Auswüchse eines speziellen Nationalcharakters gesehen wurden. Französische Wissenschaftler nahmen die deutschen Manifeste zum Anlass, mit der deutschen Wissenschaft abzurechnen. In einer Artikelserie im Figaro wurde der deutschen Wissenschaft jegliche Originalität abgesprochen, die eigenen Leistungen wurden dafür in den Himmel gehoben.[17]

Lediglich die französischen Sozialisten hüteten sich, die nationalistische Begrifflichkeit in toto zu übernehmen.[18] In der übrigen Presse wurden alle Deutschen unterschiedslos als Barbaren tituliert; gefangene deutsche Soldaten wurden in Fotoserien wie in einer Verbrecherkartei dargestellt. Sie wurden als »Hunnen« oder »boches« bezeichnet, wobei die Bezeichnung »boche« explizit die Konnotation »feige«, »hinterhältig«, »roh« und »schweinisch« enthielt.

Anders als noch 1870 schwang bei der Kennzeichnung der Deutschen als Barbaren seit 1914 zudem die angesprochene ethnische Komponente mit.[19] Wurde der Begriff zuvor vor allem mit Blick auf die militaristische, adlig dominierte und in dieser Hinsicht wenig moderne Gesellschaftsordnung gebraucht, trat nun der Rassebegriff deutlicher in den Vordergrund. Die politische Rückständigkeit Deutschlands wurde mit anthropologischen Kriterien in Verbindung gebracht. Die deutsche Lebensweise war in dieser Perspektive bis hin zu Kunst und Wissenschaft durch einen ethnischen Defekt charakterisiert.

In vielen großen französischen Zeitungen erschienen nach Kriegsbeginn Artikel, die darlegten, dass die Deutschen nicht wie die Franzosen wären, sondern einer besonderen »Rasse« angehörten. Die deutsche Rasse habe eine ethnische Anlage zum Barbarentum. Die Journalisten beriefen sich dabei auf das schon 1866 erschienene Buch Le caractère allemand par la physiognomie von Adolphe Desbarolles. Aber auch renommierte Wissenschaftler der Zeit waren sich nicht zu schade, diesen Diskurs aufzugreifen. Der Psychiater Edgar Bérillon, der sich mit Studien zur Hypnose, zum Gehirn, zur Behandlung von Alkoholismus und Neurasthenie einen Namen gemacht hatte und seit 1900 an der École de Psychologie in Paris lehrte, trat dabei besonders hervor. Im April 1915 hielt er vor der medizinischen Gesellschaft von Paris einen Vortrag über die »Stinkende Bromhidrose der deutschen Rasse«. Der gesamte Text wurde in den Bulletins et mémoires de la société de médicine de Paris abgedruckt, einige Abschnitte überdies in der Tageszeitung Le Temps, die auch in der Folge immer wieder die Erkenntnisse Bérillons veröffentlichen sollte.[20] Le Temps war nicht irgendein randständiges Skandalblatt, sondern eine der wichtigsten Zeitungen der Dritten französischen Republik, eine Zeitung, die großen Wert auf politische Unabhängigkeit legte. Sie war antiklerikal und politisch dem konservativen Flügel der Republikaner zuzuordnen.

In fast der gesamten französischen Presse schien der Gegensatz von Deutschland und Frankreich als ethnisch bedingt angesehen worden zu sein. In der Illustration heißt es dazu, der Deutsche sei der »völlig verworfene und bösartige Untermensch, der die Schande der ganzen Art geworden ist. Er ist der degenerierte Boche.«[21] Bei der Illustration handelte es sich um eine der ersten französischen Zeitschriften, die nach der Jahrhundertwende durch den massiven Einsatz von Fotos ihre Auflage erheblich steigern konnten; 1910 erschien sie trotz eines relativ hohen Preises in einer Auflage von 125.000 Exemplaren.[22]

Die Ursache für diese Art der Berichterstattung wird von französischen Historikern darin gesehen, dass sich die Zeitungen der Volksmeinung angeschlossen hätten, um genügend Absatz zu finden.[23] Mit Blick auf Bérillons Ansichten meinte der französische Historiker François Cochet 2014 beschwichtigend, sie würden lediglich deutlich machen, wie gering damals das wissenschaftliche Niveau der Medizin gewesen sei.[24] Französische Psychologen des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts haben seine Ausführungen dagegen viel grundlegender in Frage gestellt und als Wahnvorstellungen und ideologisch geprägte Unvernunft beurteilt, die schon zu Bérillons Lebzeiten eher dem Reich der Groteske zugehörten als dem der Wissenschaft.[25]

Bérillon war nicht der einzige Wissenschaftler, der solche Töne anschlug. Auch andere Vertreter der französischen Geisteswelt hieben in die gleiche Kerbe. Der französische Historiker G. Lenotre,[26] der 1932 sogar Mitglied der Académie française wurde und schon 1902 mit dem Prix Berger ausgezeichnet worden war, ließ sich in seiner Kolumne in Le Temps mehrfach über die Rassemerkmale der Deutschen aus, u. a. über ihre Gefräßigkeit, die kennzeichnend sowohl für Männer als auch für Frauen sei, über ihre Trunksucht und ihren Unverstand.[27] Zudem behandelte er ausführlich den unerträglichen Geruch der Deutschen, der sogar beim Überfliegen einer deutschen Stadt bemerkbar sei und den er als Warnung der Natur charakterisierte.[28] Bei diesen schmähenden Texten stützte er sich wiederholt auf Erkenntnisse Bérillons, den er stets als eine wissenschaftliche Koryphäe präsentierte.

Derartige Charakterisierungen dienten dazu, die Deutschen als Rasse für minderwertig zu erklären. Auch die Tageszeitung Le Temps griff wiederholt Bérillons Argumente auf und berichtete nicht nur über den abscheulichen Geruch der Deutschen, sondern auch darüber, dass die Exkremente der Deutschen um ein Drittel giftiger seien als die der Franzosen,[29] dass sie anatomisch eine gänzlich andere Rasse seien, was ihre kriminellen Handlungen erkläre,[30] und dass sie vor allen anderen Dingen seit jeher an ihrer Gefräßigkeit zu erkennen seien.[31]

Auch Maurice Barrès sprach schon im September 1914 von der »moralischen Minderwertigkeit der deutschen Nation, der Fesseln angelegt werden müssen«,[32] und erklärte, die »deutsche Rasse müsse ihre Taten sühnen«.[33]

Der französischen Zivilisation wurde die deutsche Kultur gegenübergestellt, wobei Kultur als Gegenteil von dem dargestellt wurde, was in Frankreich als zivilisiert oder kultiviert galt. Die deutsche Kultur sei materialistisch, unproduktiv und utilitaristisch, sie stehe im Widerspruch zur Individualität, sie sammle und kopiere lediglich die Errungenschaften, die in anderen Ländern entwickelt worden seien. Bérillon hat dies unter der Bezeichnung »Mimikry« zu einem weiteren Rassemerkmal der Deutschen gemacht.

In Deutschland wurde auf diese Gegenüberstellung postwendend reagiert. Der Gegensatz zwischen deutscher Kultur und französischer Zivilisation wurde ins Positive gewendet: In Deutschland gebe es einen echten Individualismus, der bereit sei, sich der Gesamtheit unterzuordnen, in Westeuropa hingegen einen degenerierten Individualismus, der nur auf die egoistische Durchsetzung eigener materieller Ansprüche hinauslaufe.[34]

Die Mobilisierung rassistischer Ressentiments war Teil eines allgemeinen Propagandafeldzugs in den am Krieg beteiligten europäischen Staaten, auch wenn nicht alle Wortmeldungen so radikal wie die von Bérillon waren. Werner Sombart interpretierte den Krieg als den »Lebenskampf der nach Entfaltung strebenden Volksindividualitäten«.[35] Hinter diesen Volksindividualitäten und dem Gegensatz von »im innersten Wesen feindlichen Volksseelen«[36] verbarg sich auch ein rassistischer Unterton.

In Deutschland war Friedrich Meinecke einer der wenigen, die es kategorisch ablehnten, den Krieg zu einer Auseinandersetzung von Rassen und Kulturen zu erklären.[37] Trotzdem rechtfertigte auch er den deutschen Kriegseintritt als Verteidigungsmaßnahme.

Jürgen von Ungern-Sternberg hat darauf hingewiesen, dass gerade die übersteigerte Propaganda und die mit rassistischen Argumenten erfolgte Verurteilung von deutscher Kunst und Wissenschaft zu einer Abwehrreaktion bei deutschen Intellektuellen führten, die im Gegenzug die wohlbegründeten Vorwürfe wegen der deutschen Kriegsverbrechen in Belgien rundweg als Lügen in Frage stellten.[38]

Allerdings gab es auch auf deutscher Seite klare rassistische Anspielungen, wenngleich sie nicht genauso breit entwickelt wurden, wie dies Bérillon mit Blick auf die angeblich niedere deutsche Rasse tat.

Großbritannien und Frankreich wurde vorgeworfen, die »weiße Rasse« zu verraten, weil beide Nationen farbige Soldaten gegen die Deutschen zum Einsatz brachten und die Briten überdies die Japaner zum Kriegseintritt gegen Deutschland veranlasst hatten.[39] Der Kulturhistoriker Karl Lamprecht hat ausgehend von den Rassen und der Kulturentwicklung Deutschlands der teutonisch-germanischen Rasse die Führungsstellung in Europa zuerkannt. Sie habe den Kampf zu führen gegen die Barbaren aus Russland und werde dabei unterstützt vom »lateinischen Slawentum« – Polen, Tschechen, südslawischen Völkern –, das vor allem von den Deutschen in die europäische Kultur geführt worden sei. Die Briten rechnete Lamprecht nicht länger zur teutonisch-germanischen Rasse, weil dort keltische Einflüsse immer dominanter geworden und die germanischen Volksteile von »Verfallsmomenten« gekennzeichnet seien. Das Romanentum wiederum sei schwach und inzwischen vor allem auf Frankreich beschränkt.[40] »Die Germanen unter deutscher Führung werden […] zum zentralen Volke der alteuropäischen Welt […] zum Weltmachtsvolke.«[41] Die These vom Niedergang der germanischen Rasse in England wurde auch vom Archivar des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchivs, Mathieu Schwann, propagiert, der das Germanentum in England von einem »schweren inneren Verfalle« betroffen sah.[42]

Selbst die deutschen Sozialdemokraten stilisierten den Weltkrieg mit Blick auf die russische Despotie als Kampf von »Kultur« und »Barbarei«.[43]

Besonders dezidiert rassistisch argumentierte der Arzt Ludwig Wilser, der dem Gesamtvorstand des Alldeutschen Verbandes angehörte. Den Ersten Weltkrieg charakterisierte er als »Ansturm minderwertiger Völkerhorden auf die höchstentwickelte, vorwiegend im Deutschen Reiche, der gegebenen Vormacht aller Germanen, vertretenen [sic!] Menschenart«.[44] Die germanische Rasse sei zur Weltherrschaft bestimmt, weil andere Rassen nicht die gleiche Bildungsfähigkeit besäßen: das betreffe »Neger« und Südeuropäer gleichermaßen.[45] Die Renaissance und den Kulturaufstieg von Italien, Frankreich und Spanien führte er auf das Wirken von dort tätigen Germanen zurück.[46] Den Engländern wiederum warf er Verrat am Germanentum vor.[47]

Edgar Bérillon und die
»Psychologie der deutschen Rasse«

Bérillons Thesen waren nicht nur das Ergebnis eines ungenügenden medizinischen Wissens, sondern auch einer ausgeprägten Germanophobie. Edgar Bérillon kam 1859 in Saint- Fargeau im Département Yonne als Sohn eines Lehrers zur Welt. 1870 erlebte er in der Nachbarstadt Joigny den Einmarsch preußischer Truppen mit. In einem Klima starker germanophober Propaganda entwickelte der junge Bérillon einen ausgeprägten Deutschenhass.[48] Er studierte in Paris bei den medizinischen Koryphäen seiner Zeit, Paul Bert, Jean-Martin Charcot und Amédée Dumontpallier, und promovierte im Jahr 1884 mit einer soliden Studie über die »Funktionale Unabhängigkeit der beiden Gehirnhälften«. 1887 begründete er die »Zeitschrift für Hypnose« (Revue de l’hypnotisme), die später in »Zeitschrift für angewandte Psychologie« (Revue de psychologie appliquée) umbenannt wurde. Er leitete von 1886 bis 1937 die Pariser Nervenklinik in der rue Saint-André-des-Arts und lehrte als Professor an der Pariser École de psychologie.[49] 1886 gründete er das Institut psychophysiologique sowie die Gesellschaft für Psychotherapie und vergleichende Pathologie (Société de psychothérapie et de pathologie comparée).[50] Er veröffentlichte eine Reihe von wissenschaftlichen Texten zu Nervenkrankheiten, darüber hinaus auch einige zu etwas abgelegeneren Themen. Er konzentrierte seine Arbeit zudem auf die zur damaligen Zeit im Aufwind befindliche experimentelle Hypnose, die zu Therapiezwecken genutzt wurde. In dieser Eigenschaft galt er als eine Koryphäe in Frankreich und auch darüber hinaus. Er leitete mehrere internationale Kongresse zur experimentellen und therapeutischen Hypnose.[51]

Beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges meldete sich Bérillon, getrieben vom Hass auf Deutschland, freiwillig an die Front, wurde aber aufgrund seines Alters abgewiesen. Er richtete daraufhin in den Räumen der École de psychologie eine besondere Ausbildungsstätte ein, die im Laufe des Ersten Weltkrieges insgesamt 3000 Krankenschwestern und Sanitäter heranbildete.[52]