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Wolfgang Matz

Die Kunst des Ehebruchs

Emma, Anna, Effi
und ihre Männer

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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für Elisabeth, natürlich

»Diese feinen Unterschiede kapieren die Männer nicht.«
»Es gibt auch Frauen, die die feinen Unterschiede nicht kapieren.«

Hugo von Hofmannsthal

Inhalt

VORSPIEL

Reich mir die Hand, mein Leben!

Leben, Liebe, Kunst

ERSTER TEIL

Die halbe Wahrheit

Männer, Frauen, Männer

ERSTES KAPITEL

Schlechte Karten

Männer 1: Ehemänner

ZWEITES KAPITEL

Auf eine Karte

Frauen: Ehefrauen, Liebhaberinnen

DRITTES KAPITEL

Wer gewinnt, verliert

Männer 2: Liebhaber

ZWEITER TEIL

Die ganze Kunst

Flaubert, Tolstoi, Fontane

ERSTES KAPITEL

Unter den menschlichen Worten das schönste

Gustave Flaubert und Madame Bovary

ZWEITES KAPITEL

Böse Zeichen, furchtbare Worte

Lew Tolstoi und Anna Karenina

DRITTES KAPITEL

Alle Zeichen trügen

Theodor Fontane und Effi Briest

DRITTER TEIL

Die letzten Mohikaner

Frauen, Männer, Frauen

ERSTES KAPITEL

Rosenkrieg, Papierkrieg

Endspiel mit schreibendem Ehepaar

ZWEITES KAPITEL

Schöne neue Welt

Ausweitungen der Kampfzone

DRITTES KAPITEL

Die Erfindung des Privatlebens

Über Sally nicht weniger als Alles

CODA

Die Entdeckung Amerikas

Leben, Liebe, Kunst

Anhang

Nachwort

Bibliographie

Nachweise

Register

VORSPIEL

Reich mir die Hand, mein Leben!

Leben, Liebe, Kunst

Auch, wenn zwei beieinander liegen, wärmen sie sich;
wie kann ein einzelner warm werden?

Prediger 4:11

1.

Wer heiratet, nimmt sich etwas vor, was er sich ohne eine gewisse Portion Optimismus nicht vornehmen würde. Das aber gilt erst für unsere schöne neue Welt, denn wenn zwei sich im neunzehnten Jahrhundert oder davor das Jawort gaben, dann sicher nicht mit Blick nur auf einen Teilabschnitt des kommenden Lebens. Heiraten, das war die Wette auf eine gemeinsame Zukunft, und so feierte man bei der Gelegenheit natürlich ein großes Fest. Heute sind sich die Mitspieler des Ausgangs nicht mehr so sicher, doch trotz alledem, das Leben als Paar ist immer noch ein gewünschtes Ideal, selbst wenn die Paare selber nicht so genau wissen, wie man dies gemeinsame Leben sicher über die Runden bringt. Wer heiratet, der baut darauf, dass er nun etwas hat, auf das er bauen kann. Dass er etwas hat, was ihn schützt gegen die kalte Welt und ihre Zumutungen.

Hoffnung und Enttäuschung, das ist seit alters her das große Thema der Literatur.

2.

»Romane schließen damit, daß Held und Heldin heiraten. Damit müßte man anfangen, aufhören aber damit, daß sie sich wieder trennen, das heißt befreien. Denn das Leben von Menschen so beschreiben, daß man mit der Schilderung der Hochzeit abbricht, ist nicht anders, als beschriebe man die Reise eines Mannes und bräche den Bericht an der Stelle ab, wo er Räubern in die Hände fällt.« Die Literatur hatte zwar immer schon einen Hang zum realistischen Pessimismus, aber Lew Tolstoi, der über Ehebruch nicht nur geschrieben, sondern auch selbst geheiratet hatte, wollte radikaler als jeder andere Schluss machen mit allen Sentimentalitäten, so, als müsse er sich selber jede täuschende Hoffnung austreiben. Am 30. August 1894, also mit sechsundsechzig Jahren, notierte er sich den so witzigen wie rabiaten Satz ins Tagebuch und machte kurzen Prozess nicht nur mit der Ehe, sondern genauso mit einer langen literarischen Tradition. Bis dahin war es nämlich auch anders gegangen, wie es eine der großen Autorinnen des Jahrhunderts vorgeführt hat. Jane Austens Stolz und Vorurteil ist nicht weniger als der kanonische Klassiker jenes Eheanbahnungsromans, dem Tolstoi jetzt den Laufpass gibt; für ihn wäre Austens Roman – der bekanntlich mit der Hochzeit endet – das Kultbuch der Räuber. Und der beginnt mit einem Satz, der genauso apodiktisch ist wie Tolstois, nur schöner: »Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, daß ein Junggeselle im Besitz eines schönen Vermögens, nichts dringender braucht als eine Frau.«

Die Voraussetzung dieser allgemein anerkannten Wahrheit gilt sogar ohne die Bedingung eines schönen Vermögens: Die Ehe sei das Ziel eines jeden Menschen. Und Tolstois Forderung, man möge den Roman dort beginnen, wo Jane Austen die ihren zu beenden pflegte, drückt vor allem anderen den Zweifel aus, ob diese Wahrheit auch ganz kurz vor Anbruch des zwanzigsten Jahrhunderts noch wahr bleibt. Denn Jane Austens Vorstellung bedeutet ja, das Problematische im Verhältnis eines Paares sei der Weg zum Zusammenfinden, und ist dieser einmal erfolgreich zurückgelegt, werde schon nichts mehr schiefgehen. Tolstoi aber denkt das Gegenteil: Zusammenfinden ist nicht schwer, das Zusammenbleiben jedoch das eigentliche Problem. Ganz sicher hat er damit das moderne Lebensgefühl getroffen, das heute noch gilt. Und offenbar löst die Ehe inzwischen keineswegs mehr so einfach jene Probleme, zu deren Lösung sie einst erfunden worden ist. Etwas hat sich geändert, in der Gesellschaft, zwischen Männern und Frauen, etwas, was die traditionellen Sicherheiten aufgelöst hat – ob auch die Wünsche, das ist eine andere Frage.

Aber nicht nur darum geht es im Streit zwischen Jane Austen und Lew Tolstoi, denn die beiden sind keine Soziologen, sondern Schriftsteller, Verfasser von Romanen, Erzähler von Geschichten. Auch an den Romanen, am Erzählen selbst wird sich etwas Wesentliches ändern. Jene Romane, die damit schließen, dass Held und Heldin heiraten, setzten ja von Anfang an dies bestimmte Ende voraus, und das ist, im Großen und Ganzen, ein glückliches. Das weiß jeder Leser, der ein solches Buch aufschlägt. Die anderen Romane aber, wie sie Tolstoi verlangt, die mit der Hochzeit nur beginnen, sind zwangsläufig offen: Wie diese Ehe sich auflöst, wie diese Menschen sich trennen, was sie danach tun werden, all das ist unklar, all das weiß man nicht. So ist der Eheanbahnungsroman ganz natürlich einer, der mit festen Formen spielt, der einen gegebenen Rahmen individuell auszufüllen hat, der bekannte Motive auf neue Art variiert, und dieses neue Spiel mit klassischen Voraussetzungen eignet sich deshalb wunderbar für das komödiantische Fach. Der Eheanbahnungsroman ist als Tragödie nicht denkbar, als heiteres, ironisches Déjà-vu dagegen immer. Nicht aber der Roman, den Tolstoi verlangt: Dort ist das Problematische, das Zerfallende, die Zerstörung eine unvermeidbare Voraussetzung.

Natürlich ist auch jener großen Tradition, für die Jane Austen hier steht, das Problematische in den menschlichen Verhältnissen sehr bewusst, sonst wäre sie keine große Tradition. Das heitere Spiel mit den traditionellen Formen – und der Roman ist eine Form, ganz wie die Ehe – verdankt sich aber dem Wunsch, jedem Zwang zur radikalen Konsequenz und auch zur radikalen Wahrheitssuche auszuweichen; oder besser noch: sogar zu bezweifeln, dass es sie überhaupt gibt, diese radikale, ausschließliche Wahrheit. Radikale Wahrheit nämlich – Tolstoi wiederholt es noch und noch – ist immer kompromisslos. Stolz und Vorurteil ist der Versuch, durch Literatur zu klären, was die Voraussetzungen eines gelingenden Zusammenlebens, einer glücklichen Ehe überhaupt sind, und der Verlauf des Romans erzählt davon, dass dieses Gelingen, das Zusammenleben nur möglich ist als Kompromiss. Wenn das rechte Paar sich am Ende findet, dann waren bis dahin nicht wenige Probleme aus dem Weg zu räumen, sonst hätte man nicht drei, vier- oder fünfhundert Seiten dafür gebraucht, und dieser Weg war der beständige Ausgleich zwischen dem, was ein Leben ausmacht: Traum und Wirklichkeit, Wunsch und Erfüllung, Leidenschaft und Ordnung, Freiheit und Bindung, und all das vor dem Hintergrund der Notwendigkeit, dieses Leben auch materiell über die Runden zu bringen. Der Roman aber will allein dadurch, dass er existiert, beweisen, dass dieser Weg möglich ist.

Die Ehe ist die Wette, das ganze Glück durch einen Kompromiss zu bekommen.

3.

Der Roman beginnt dort, wo etwas im Leben nicht stimmt, und deshalb hat er sich immer schon besonders gern mit den Paaren beschäftigt. Leicht war das Leben als Paar noch nie, nicht einmal bei Adam und Eva, die bekanntlich keine Wahl hatten. Doch ist es immer ein großer Unterschied, mit welchen Paarkonstellationen ein Autor zugange ist; ob mit den sich bildenden oder den zerfallenden, und macht man sich jetzt an die Lektüre der einschlägigen Romane, so gilt auch hier eine Wette: Eine literarische Mode ist nie nur eine Mode, sondern sie verweist genau auf das, was nicht stimmt. Und wenn plötzlich das Zerfallen der Ehe interessanter wird als ihr Zustandekommen, dann müssen auch dafür Gründe zu finden sein.

Drei Frauen des neunzehnten Jahrhunderts, das ist schon vielen aufgefallen, teilen ein so ähnliches Schicksal, dass man fast von einer Mode sprechen möchte: Emma Bovary, Anna Arkadjewna Karenina und Effi von Innstetten, geborene Briest. Sie teilen ihr Schicksal im doppelten Sinne. Zum einen riskieren und verlieren sie ihre Männer, ihre bürgerliche Existenz und dann ihr Leben, weil sie der Versuchung durch einen anderen Mann nicht widerstehen konnten oder wollten. Zum anderen wird die Geschichte ihrer katastrophal scheiternden Lebensläufe zur Handlung dreier Romane, die eingegangen sind in die Weltliteratur. Drei Frauen, drei Romane, drei Autoren bilden eine einsam dastehende Trias, denn auch wenn naturgemäß noch eine Unzahl von Werken die Melodie von Treue und Betrug, Liebe und Verrat in endlosen Variationen durchgespielt hat, weder davor noch danach gibt es diese gleiche Szenerie, die einen ganzen Roman von vorn bis hinten bestimmt: Heirat, Ehebruch, Tod, und das nicht im verdorbenen Adel mit seinen Gefährlichen Liebschaften und nicht in mythischer Ferne, sondern in einem realen, wiedererkennbaren Milieu der bürgerlichen Gegenwart. Flaubert, Fontane, Tolstoi, so weit sie auseinanderliegen mögen, literarisch und biographisch, so nahe sind sie einander doch. Die ersten beiden Folgen von Madame Bovary – laut Émile Zola »die Formel des modernen Romans« und »das definitive Modell des Genres« – stehen am 1. und 15. Oktober 1856 in der Revue de Paris als Vorabdruck. Fontane ist vom 14. bis 22. Oktober in Paris. Ab Ende des Jahres ist der spektakuläre Prozess gegen Flaubert Stadtgespräch, und er endet mit dem Freispruch am 7. Februar 1857. Am 15./16. April erscheint Madame Bovary als Buch. Vom 9. Februar bis 27. März ist Tolstoi in Paris. Mit ein bisschen Mühe hätten sie sich im Café verabreden können, Flaubert, Tolstoi, Fontane.

Emma, Anna, Effi haben keine direkten Nachfolgerinnen gefunden, und daraus könnte man schließen, dass ihre Geschichten, so, wie sie diese gelebt haben, eben nur in ihrer eigenen Zeit gelebt werden konnten, in dem knappen halben Jahrhundert, welches das ihre ist. Der Ehebruch ist im neunzehnten Jahrhundert ein sehr komplexes Wechselspiel von Begehren, Nachgeben und Verrat und deshalb auch zwischen den Rollen von Mann und Frau; so schnell wird nicht immer zu erkennen sein, wer der Auslöser der Affäre ist, wer zieht und wer gezogen wird, wer stößt und wer gestoßen wird; nur wer fällt, das ist immer klar. Diese drei großen Romane sind auch darin einzigartig, dass sie bereits mit dem Titel ihre drei Heldinnen in den Mittelpunkt stellen. Warum eigentlich? Es geht auch anders, wie Tristan und Isolde, Don Juan oder Don Giovanni vorgeführt haben. Emma, Anna, Effi, immer schon weckten sie Interesse und Neugier, und vor allem auch Sympathie und Mitgefühl. Doch dem weiblichen Trio steht ein männliches Trio gegenüber – um genau zu sein: drei Trios. Denn zu den drei Ehemännern und den, wie man sehen wird, vier Liebhabern treten noch die drei Autoren, denn nie darf eines vergessen werden: Wir sprechen von Literatur, nicht von der alltäglichen Wirklichkeit, von Kunstfiguren, nicht von Menschen wie du und ich, und wie die Geschichten ausgehen, das liegt zum Beispiel weniger an Charles und Emma, als vielmehr an Gustave Flaubert. Deshalb werden an alle drei Bücher, an alle ihre Figuren und Handlungen zwei Fragen zu stellen sein: natürlich die nach der Realität, nach der Glaubwürdigkeit, nach der Wahrheit dessen, was da geschieht; und natürlich die nach dem Roman, nach der Literatur, nach der Kunst, die das Geschehen gestaltet.

Doch was sollte dem Leser ein Roman, würde er seine Figuren nicht auch betrachten wie lebendige Menschen?

4.

Literatur, das ist Produktion von Erinnerung, Wachhalten des Vergangenen. Doch man mache sich keine Illusionen, ein Teil des Vergangenen ist wirklich vergangen, selbst in den großen Werken. Jene Konflikte, die sechs der zehn beteiligten Personen: Emma und Charles Bovary, Anna Karenina und Alexej Graf Wronski, Effi Briest und den Major Crampas ihr Leben kosten, sind von der gesellschaftlichen Wirklichkeit her heute allertiefste Vergangenheit; niemand muss mehr Arsen schlukken, wenn er einen anderen Mann attraktiver findet, niemand wird ausgeschlossen und verachtet, weil seine Frau ihn verlässt, und dass eine Frau oder ein Mann zum dritten oder vierten Mal heiratet, ist längst Normalität und kein Skandal. Und ein Skandal ist weder im sogenannten wahren Leben noch in der wahren Literatur jene Sexualität, welche in den Romanen des neunzehnten Jahrhunderts zwar durchaus ihre große Rolle spielt, aber doch nur unter gerissenen und deshalb um so reizvolleren Vorsichtsmaßnahmen durch den Autor. Zuweilen braucht der nachgeborene Leser bereits gelehrte Hinweise, was denn nun so skandalös gewesen sein soll an dem einen oder anderen Ausritt, der einen oder anderen Kutsch- oder Schlittenpartie, dem einen oder anderen Blick auf einen entblößten Knöchel.

All das ist dahin, natürlich, und deshalb entsteht eine neue Frage: Wie kommt es, dass diese großen Romane trotzdem nichts verloren haben von ihrer Kraft und Faszination? Doch ganz gewiss nicht nur, weil man bei diesen Autoren erfährt, wie es früher einmal gewesen ist. Umgekehrt, offensichtlich enthält auch eine Geschichte, die mit vielen Einzelheiten in graue Vorzeit gehört, auch etwas, was selbst in der schönen neuen Welt der erotischen Freiheit noch gültig ist wie zuvor. Die Ausweitung der Kampfzone ein Jahrhundert nach Lew Tolstois Tod hat auch die Klassiker des Genres nicht unberührt gelassen.

Doch ein Roman aus lange zurückliegender Vergangenheit ist nur dann ein gegenwärtiges Kunstwerk, wenn er auch von unserer Sache spricht.

5.

Viel hat sich geändert, eines nicht: Noch immer ist das Leben als Paar ein gewünschtes Ideal, für das eine Alternative zwar gesucht, aber nicht gefunden wurde, und noch immer ist das Leben als Paar der Ort, wo Glück und Unglück am heftigsten miteinander kollidieren.

Davon erzählen die großen Romane.

ERSTER TEIL

Die halbe Wahrheit

Männer, Frauen, Männer

ERSTES KAPITEL

Schlechte Karten

Männer 1: Ehemänner

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

Lenin

1.

So geht es zu, wenn es schön ist: Nach all der Wirrnis, Aufregung und Verzweiflung im Orchester unterbrechen irisierende Zweiunddreißigstel in den Harfen das accelerando – die große Tür springt auf, doch nein, nicht der Ehemann, der Frühling tritt herein, und bald schon vertreibt ein Wonnemond im zartem Violinenglanz die Winterstürme, überwältigt die Liebe mit hinzutretenden Bratschen und Celli, Oboe und Klarinette die schlechte Welt dort draußen, und als endlich das Pianissimo sich ins rauschhafte Forte steigert, sinken sich auch die Ehefrau und ihr Liebhaber brünstig in die Arme. »Der Vorhang fällt schnell« – fortissimo – »denn es ist hohe Zeit!«, wie der Hagestolz Schopenhauer in seinem Widmungsexemplar angewidert an den Rand schrieb. Der Ehemann schläft nebenan, seinerseits berauscht von jener »Würze«, die ihm die Gattin hineingetan hat in den abendlichen Wein.

Hans Pfitzner war ein bemerkenswerter Komponist, ein bemerkenswerter Dirigent und ein eingefleischter Anhänger Richard Wagners. Zudem war er eine schlechtgelaunte, zänkische Natur, stritt nicht nur mit seinen Feinden, sondern besonders gern mit seinen Freunden. Die Rechthaberei machte nicht einmal Halt vor seinem Abgott. Mag sein, stellte er bei der Inszenierung von Wagners Walküre fest, mag sein, dass all das sein musste im großen Erlösungstheater vom Ring des Nibelungen, all der Mord und all der Totschlag, die Not- und Unzucht und nun auch dieser Ehebruch samt dem im Nebenzimmer schlafenden Gatten Hunding. Denn wären Siegmund und Sieglinde nicht widerrechtlich zusammengekommen, wer hätte dann den Retter Siegfried geboren, um zum Finale die langersehnte Götterdämmerung ins Rollen zu bringen? Ja, es musste wohl sein. Eins aber musste nicht sein: Hundings Haarfarbe. Alle anderen Germanen waren nach Wagners Wünschen blond, Hunding als einziger schwarz. Wo Pfitzner recht hatte, hatte er recht. Hunding spielt die undankbarste Rolle; nicht nur kommt da einer und verführt ihm voller Lust und Leidenschaft und dann auch zu höheren Zwecken die Ehefrau, nicht nur geht ihm das unvermeidliche und bereits gewonnene Duell durch Wotans göttliches Eingreifen doch noch tödlich aus; nein, wo er den größtmöglichen Schaden hatte, da bekam er auch noch den Spott. Pfitzner war zwar Wagnerepigone, zugleich aber ein zutiefst ordentlicher und verheirateter Bürger des zwanzigsten Jahrhunderts. Wenn einer, so folgerte er, schon in allerhöchstem Auftrag seine bürgerliche Existenz nebst Frau und Leben einbüßt, dann soll man ihn für dieses Opfer nicht noch schmähen. Hunding hatte nichts verbrochen, war immerhin ein anständiger Ehemann gewesen und aufrechter Germane, und dass er dem postrevolutionären Erlösungsplan Wagners in die Quere kam, war nun weiß Gott nicht seine Schuld. So sollte man ihm wenigstens das Nötigste gönnen: Anerkennung, Respekt und blonde Haare. Der betrogene Ehemann ist kein Finsterling. Doch wer in die Noten schaut, der sieht, Pfitzners löblicher Einsatz war vergebens: Mochte er dem Sänger auch eine blonde Perücke überstülpen, die kratzige Tuba, das düstere c-Moll machen den Betrogenen zu einem, der zurecht betrogen wurde, ein widriger schwarzer Mann von allem Anfang an.

Die abendländische, europäische Kultur ist eine männliche Kultur, Familie und Ehe sind männliche Ordnungssysteme, durch die sowohl öffentliches wie privates Leben männlich beherrscht werden. Niemand wird das vernünftigerweise bezweifeln, und niemand bezweifelt es mehr. Seltsam nur, dass der entscheidende Repräsentant dieser männlichen Kultur, dass der Ehemann in diesem Spiel doch ziemlich dumm dasteht. Vom frommen Joseph, der Mariens Schwangerschaft entdeckt, auch hier zu höheren Zwecken, über König Marke, der bereits im Titel aller Epen und Opern seinen legitimen Platz an der Seite seiner Gattin Isolde dem Liebhaber Tristan überlassen muss, bis hinein ins bürgerliche neunzehnte Jahrhundert, wo die Dinge noch einmal schlechter liegen. Als Alexej Alexandrowitsch Karenin auf dem Bahnsteig steht, kann er von Glück reden, dass er nicht hört, was seiner Gattin Anna Arkadjewna Karenina bei der Begrüßung so durch den Kopf geht: »›O mein Gott! woher hat er auf einmal solche Ohren?‹ dachte sie beim Blick auf seine kalte und stattliche Gestalt und besonders auf die sie nun verblüffenden Ohrenknorpel, auf denen die Krempe des runden Hutes aufsaß.« Doch das ist noch gar nichts gegen den Auftritt des künftigen Ehemanns der hinreißenden Emma Bovary, und in der Tat, schlechter als für den jungen Charles Bovary können die Dinge gar nicht liegen. Das erste Wort, das der Leser aus seinem Munde vernimmt, ist gar kein Wort, sondern nur ein unverständliches Gestammel: »Schahbovarie«. Für den, der vor Schüchternheit und provinzieller Verstocktheit nicht einmal seinen Namen begreiflich aufsagen kann, ist der Zug schon abgefahren, ehe der Roman überhaupt beginnt.

Gustave Flaubert hat sich entschieden, seinen gehörnten Ehemann bereits als Kind vorzuführen, und der Roman, der eine Madame, also eine verheiratete Frau im Titel trägt, beginnt erstaunlicherweise als Geschichte eines zukurzgekommenen Knirpses. Was Flauberts Erfindungskraft dem armen Jungen zumutet, reicht für ein Leben. Charles verfällt vom ersten Augenblick an dem hemmungslosen Spott seiner Kameraden: seine provinzielle Aussprache, seine linkischen Bewegungen, seine grobschlächtige Kleidung, alles ist grotesk. Und dann noch diese Mütze, Stein des Anstoßes und running gag der slapstickartigen Szene: »Es handelte sich um eine jener Kopfbedeckungen gemischter Natur, welche Elemente der Pelzkappe, der Tschapka, des runden Huts, der Otterfellkappe und der Zipfelmütze in sich vereinte, ja, um eines jener armseligen Dinger, deren stumme Hässlichkeit die gleiche ausdrucksvolle Tiefe besitzt wie das Gesicht eines Idioten. Eiförmig und durch Fischbeinstäbchen gewölbt, begann sie mit einem dreifachen Wurstring; dann kamen abwechselnd, durch ein rotes Band getrennt, Rauten aus Samt und Kaninchenfell; hierauf folgte eine Art Sack, der in einem pappverstärkten, mit kunstvoll gesticktem Litzenbesatz verzierten Vieleck endete, und daran baumelte, als Abschluss einer langen, allzu dünnen Kordel, ein kleines Goldfadenknäuel in Form einer Eichel. Die Mütze war neu; der Schirm glänzte.« Flaubert projiziert in die Beschreibung eines läppischen Dinges mit bösester Sorgfalt bereits den definitiven Charakter einer ganzen Person; wer die Sätze, mit denen er das obskure Objekt seiner denunziatorischen Begierde erschafft, Wort für Wort nachvollzieht, der kann zu keinem anderen Schluss kommen als der enervierte Lehrer: »Und Sie, Neuer, Sie schreiben mir zwanzigmal das Verb ridiculus sumIch bin lächerlich: Von diesem Urteil, von diesem Rufmord durch den Autor, wird sich der Mann nie mehr erholen.

Natürlich, so muss es nicht sein, nicht jeder behandelt die Herren so brutal wie der Normanne Flaubert. Und dennoch, sie alle sind Betrogene, und diese Rolle steht keinem gut. Der Zug des Lächerlichen, mal schwächer, mal stärker, fehlt keinem jener bürgerlichen Haushaltsvorstände, die mit dem treuen Joseph, dem traurigen König Marke das Schicksal teilen; was schon die Namen ausdrücken, mit denen man sie schmückt wie mit den sprichwörtlichen Hörnern: cocu, Hahnrei. Drei Männer werden uns vorgestellt: Charles Bovary, Alexej Alexandrowitsch Karenin und Geert von Innstetten. Charles hat schon verloren. Karenin wird es schwer haben, seine Ohren und das Bild »seiner kalten und stattlichen Gestalt« zu überwinden. Innstetten, »gute Figur und sehr männlich«, verbleibt zunächst in einem abwartenden, freundlichen Zwielicht. Drei Männer werden uns vorgestellt, doch in drei verschiedenen Situationen ihrer Geschichte. Der erste viele Jahre bevor er seine Emma zum ersten Mal erblickt; der zweite als stattlicher Gatte jener Anna, die bereits seinen Namen trägt; der dritte genau in dem Augenblick, als er um die Hand der Siebzehnjährigen anhält, die dann zu Frau von Innstetten wird und erst auf dem Grabstein zurückkehrt zu ihrem Mädchennamen Effi Briest, unter dem sie unsterblich ist.

Flaubert, Tolstoi, Fontane, keiner der drei Romanciers schickt seinen Mann unbelastet in die Geschichte. Und selbst für Innstetten, der im Rahmen einer bürgerlichen Eheanbahnung normal, das heißt gut wegkommt, wird ein Zeichen gesetzt. Nicht er wird hier beschrieben als einer, dessen Schicksal bereits vorentschieden ist, die Szene selbst setzt dieses Zeichen. »Effi, komm«, rufen ihre Freundinnen das Mädchen zurück zum Spiel. Innstetten sinnt. »Er glaubte nicht an Zeichen und Ähnliches, im Gegenteil, wies alles Abergläubische weit zurück. Aber er konnte trotzdem von den zwei Worten nicht los, und während Briest immer weiterperorierte, war es ihm beständig, als wäre der kleine Hergang doch mehr als ein bloßer Zufall gewesen.« Innstetten täte gut daran, die Zeichen zu deuten, denn auch wenn er selber nicht an solche glaubt, der Roman tut es. Effi Briest ist grundiert von vorausweisenden Anspielungen, Bildern, Worten, und bereits dies erste, »Effi, komm«, zeigt überdeutlich, dass Innstetten sich mit der Seinen auf einen Weg macht, auf dem er sie nicht wird halten können. Sonst unendlich viel dezenter als Flaubert, ist Fontane hier in seiner Vorausdeutung geradezu grob; der Lockruf an die frisch verlobte Effi ist ebenso beweiskräftig wie Charles’ naturwidriger Kopfputz. Eins ist sicher: Im Augenblick, da das Spiel beginnt, haben die Ehemänner die schlechtesten Karten.

Die Entscheidung, wie ein Charakter, eine Figur gezeichnet wird, liegt einzig und allein beim Autor. Doch innerhalb des Romans nimmt keiner der drei die Sache auf seine Kappe. Flaubert schiebt den Bericht von der einleitenden Mützennummer einem rätselhaften kollektiven Unbewussten zu: »Heute wäre es keinem von uns mehr möglich, sich auch nur im geringsten an ihn zu erinnern.« Die im »Wir« umfassten Mitschüler sind keine Individuen, sie bleiben ein Personalpronomen, und auch das ist rasch verschwunden. Doch was ihnen gelingt mit diesen wenigen Sätzen, ist nicht weniger als die – wenn auch sehr paradoxe – Beglaubigung eines kollektiven Urteils: Charles Bovary gehört nicht zu uns, er ist dumm und schon vergessen, bevor das Buch nur recht beginnt. Die Daumen weisen nach unten, und eines Tages wird seine Ehefrau Emma sich dieser Mehrheit anschließen, was bleibt ihr anderes übrig, das neunzehnte wird ein demokratisches Jahrhundert. Anders Tolstoi und Fontane; in ihren Bildern – »kalte und stattliche Gestalt« hier, »gute Figur und sehr männlich« da – ist er von Anfang an spürbar: der Blick der Frau. Anna ist’s, die Karenin dort am Bahnsteig warten sieht, und es ist Effi, die auf Innstetten schaut, der in wenigen Minuten um ihre Hand anhalten wird. Und so teilen dann am Ende doch alle drei dasselbe Schicksal: Sie sind nicht einfach Männer, sie sind Ehemänner, die wir im Blick ihrer Frauen sehen. Wie weit sie sich freizumachen vermögen von diesem Blick, das werden die Geschichten zeigen.

2.

Natürlich fragt man sich, was von diesen Männern zu wissen ist, darüber hinaus, dass sie verheiratet sind. Ein Ehemann ist nicht einfach ein Mann, der verheiratet ist. Ein Ehemann, hier sind sich die drei Romane einig, ist eine andere Spezies Mann. Ein Mann, das ist ein biologisches Geschlechtstier. Ein Ehemann ist ein gesellschaftliches Wesen. Die Gesellschaft beruht auf Ehe und Familie, das sagen die Sonntagsreden, doch ist die Aussage wahrer, als es mancher Redner weiß. Eine Gesellschaft ist ein unendlich komplexes Gebilde, das in seiner ungeheuren, unüberschaubaren Größe funktioniert, weil es absteigend in immer kleinere Gebilde sich aufgliedert. Die kleinste gesellschaftliche Einheit ist nicht der Mensch, sagt Bertolt Brecht, sondern zwei Menschen. Und so wie das gesellschaftliche Ganze beständig damit beschäftigt ist, einen Ausgleich zu finden zwischen der Mechanik des Funktionierens, des miteinander Kooperierens und aneinander Vorbeikommens von unendlich vielen Individuen einerseits und andererseits den unmittelbaren Bedürfnissen, Verfasstheiten und Obsessionen jedes einzelnen dieser Individuen, kurz: zwischen dem unpersönlichen Gesellschaftsapparat und dem zutiefst persönlichen Seelenleben, genau so funktioniert auch die Ehe, oder sollte sie zumindest funktionieren. Beruht die Gesellschaft auf Ehe und Familie, so kommt innerhalb der Ehe noch ein Moment hinzu, die Liebe. Und genau hier liegt der Unruhefaktor im gesellschaftlichen Uhrwerk, in der gefährlichen Tatsache, dass dies so komplexe Gebilde Gesellschaft, von dem Sicherheit und Stabilität des Lebens all ihrer Mitglieder abhängen, zum mitentscheidenden Bauteil das unsicherste, instabilste und aller Erfahrung nach flüchtigste Element hat, die Liebe.

Die Ehe der Karenins und der Innstettens wird auf ähnliche Weise geschlossen. Ein Mann in den besten Jahren hält an um die Hand einer Frau in den besten Jahren; die Männer um die vierzig, die Frauen rund zwanzig Jahre jünger. Warum die besten Jahre einer Frau zum Heiraten um die zwanzig liegen, für einen Mann eher beim Doppelten, das demonstriert Effi Briest am genauesten, wenn auch mit einer irritierenden Neigung zur Pikanterie. Als Geert von Innstetten Effis Hand erbittet, ist er achtunddreißig und damit auf den Tag genau so alt wie Luise von Briest, seine erwünschte Schwiegermutter. Der Schwiegervater in spe dagegen tritt auf als »ein wohlkonservierter Fünfziger von ausgesprochener Bonhommie«. Diese exakte Chronologie spielt ihre erhebliche Rolle, handelt es sich doch diesesfalls um eine ménage, die auf sehr ungewöhnliche Weise zu einer à quatre gemacht wird. Innstetten und Luise erlebten zu der Zeit, da sie in Effis jetzigem Alter waren, eine romantische Affäre, von der Fontane nicht allzu viel verrät. Offenbar hatte der junge Mann ernsthafte Absichten, doch die beteiligten Eltern kamen, noch ernsthafter, zum Schluss, dass an deren Verwirklichung beileibe nicht zu denken sei. Luise war heiratsfähig, doch Kandidat Innstetten, gleichen Alters, eben nicht; er mochte Zuneigung mitbringen und Liebe, ihm fehlte genau das, was ihn zu einem ernsthaften Bewerber gemacht hätte: die gesellschaftlich gefestigte Position, die eine Familiengründung erlaubt. »›Er war ja noch viel zu jung‹«, so gibt die interessierte Effi die Saga an ihre ebenso interessierten Freundinnen weiter, »›und als mein Papa sich einfand, der schon Ritterschaftsrat war und Hohen-Cremmen hatte, da war kein langes Besinnen mehr, und sie nahm ihn und wurde Frau von Briest …‹« Ob tatsächlich sie es war, die junge Luise, die ihn nahm, und nicht doch eher die vernunftbegabten Eltern, das lässt Fontane im Dunkel. Ganz deutlich aber macht er, dass jenes »viel zu jung« kein biologisches Alter meint, sondern nur ein soziales. Mit zwanzig kann man verliebt sein, bitte schön, doch Verantwortung für Familie und Gesellschaft übernehmen, das kann man nicht; man hat Träume, aber keine Pläne. Siebzehn Jahre später präsentiert sich derselbe Innstetten in derselben Familie als derselbe Heiratskandidat – nun aber für die Tochter. Die Familie schlägt ein, das Schicksal zu. Erst jetzt ist auch er im besten Alter: noch von guter Figur und sehr männlich, wie gesagt, doch gesellschaftlich so gestellt, dass die Sache Hand hat und Fuß.

Sieht man für den Augenblick noch ab, wovon kaum abzusehen sein wird, nämlich vom Hautgoût der Frivolität, wenn eine Mutter ihren einst wohlgelittenen Verehrer zum Schwiegersohne nimmt, ist eine solche Eheschließung durchaus die Norm. Wer geneigt ist, hier den Triumph der zwanghaften gesellschaftlichen Konvention über die authentischen freien Gefühle zu sehen, der verkennt, dass die bürgerliche Ehe eben genau dies ist und nichts anderes sein konnte: Konvention. Eine Konvention, die das Ineinanderwirken von individuellen und kollektiven Bedürfnissen regelt. Die individuellen Bedürfnisse indes sind keineswegs ausschließlich die des Gefühlslebens, also Liebe oder gar Leidenschaft; die individuellen Bedürfnisse sind vor allem anderen die materielle Absicherung im Familienverband und die dauerhafte Absicherung des Familienverbands durch die Fortpflanzung des Ehepaars. Wenn dann noch Zuneigung dabei ist oder im Lebensgang erst entsteht – wie schön! Voraussetzung oder gar Anstoß ist sie nicht. Innstetten beweist es und Karenin genauso: Um als Ehemann in Frage zu kommen, genügen nicht individuelle Qualitäten, es braucht mehr und vor allem anderes. Die mögliche Gattin besitzt als Voraussetzung die Fortpflanzungsfähigkeit und ihre grundsätzliche Ebenbürtigkeit in sozialer Hinsicht; was ansonsten ihr Leben als Frau betrifft, so verlässt man sich meist auf learning by doing; ein riskantes Prinzip, wie sich zeigen wird. Der Ehemann dagegen hat seine Qualifikation vorher zu beweisen.

Die Idee der bürgerlichen Ehe in ihrer Verbindung von natürlichen und gesellschaftlichen, und das heißt rechtlichen Elementen hat erst das neunzehnte Jahrhundert auf den Begriff bringen können. Immanuel Kants berühmte Definitionen aus der Metaphysik der Sitten vermeiden durch prosaische Genauigkeit jede romantische Überhöhung: »Geschlechtsgemeinschaft (commercium sexuale) ist der wechselseitige Gebrauch, den ein Mensch von eines anderen Geschlechtsorganen und Vermögen macht (usus membrorum et facultatum sexualium alterius)«; und genauer gefasst: »die Ehe (matrimonium), d. i. die Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts zum lebenswierigen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften.« Die Vernunft der Aufklärung verweist unmissverständlich auf den konkreten Kern der Ehe, aber ebenso auf die Konsequenzen, die sich ergeben aus dem eingegangenen Vertrag. In der sozialen Institution Ehe und Familie verwandeln sich die biologischen Eigenschaften in soziale, und es zeigt sich, das Eherecht ist vor allem eines: der Versuch, den natürlichen Gebrauch der Geschlechtsgemeinschaft in eine Form zu überführen, die den unverzichtbaren Regeln gesellschaftlichen Lebens entspricht. Wer würde für wessen Lebensunterhalt zu sorgen haben, ohne die Ehe? Wer würde für die Folgen haften, sprich: für die Kinder? Liebe könnte da nicht weiterhelfen. Nein, die Ehe ist kein Instrument zur Steigerung der Liebeserfüllung, sie ist »die Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts«, mit allen Voraussetzungen und Konsequenzen, die das in einer komplizierten Gesellschaft nach sich zieht.

Der Ehemann also ist nicht einfach ein Mann, er ist die Verkörperung des ehelichen Prinzips. Der Ehemann definiert den gesellschaftlichen Rang der Familie, und zwar über seinen Beruf, und über diesen Beruf sichert er nicht nur die materielle Existenz, er entscheidet, wo die Familie lebt auf der allgemeinen Skala zwischen Mangel und Luxus. Wie groß die Familie auch sei, der bürgerliche Ehemann ist in ihr der einzige, der einen Beruf ausübt. Er ist zwar beileibe nicht der einzige, der arbeitet, das nicht, denn wenn es nicht gerade um die Spitzen der Gesellschaft geht, ist die Haushaltsführung mit Domestiken verschiedenster Art eine umfangreiche Arbeit eigenen Ranges. Eine bezahlte Arbeit jedoch ist sie nicht, und so ergibt sich der Lebensstandard der Frau nicht aus der eigenen Arbeit im Haus, sondern wiederum aus der ihres Mannes da draußen. Und auch die sozialen Beziehungen der Eheleute speisen sich ganz allgemein aus zwei Quellen: aus dem Familien- und Verwandtschaftsverband und aus dem beruflichen Umfeld des Mannes. Der Ehemann ist also nur zum Teil ein Individuum, oder anders gesagt, der Ehemann hat in seiner individuellen Persönlichkeit das zu leisten, was die Gesellschaft als Ganzes leistet: die Durchdringung und, möglichst, den Ausgleich von gesellschaftlichen Ansprüchen und persönlichen Bedürfnissen. In Körper und Seele des Ehemannes vollzieht sich jener Arbeitsprozess, der die individuellen Impulse, Begierden, Träume, Wünsche, Abneigungen, Obsessionen und so weiter dergestalt zurichtet, dass sie den gesellschaftlichen Mechanismus, der das Leben jedes einzelnen Individuums absichert, nicht mehr stören oder gar zerstören – in der Regel, denn nicht immer verläuft dieser Prozess reibungslos. Für diesen Fall gibt es die Romane.

Doch wie auch immer, ohne Spuren bleibt er nie. Karenin und Innstetten, beide heiraten erst, als sie beruflich schon auf der sicheren Seite sind, und beide wollen noch deutlich weiter. In dem, was man heute das »emotionale Leben« nennen könnte, werden beide als beschädigt gezeichnet, zumindest als reduziert. Am deutlichsten Innstetten – wobei man sich fragt, ob Fontane das auch so sah. Wie kann einer, sagt sich jedenfalls der heutige Leser, wie kann einer mit Innstettens Lebenserfahrung von achtunddreißig Jahren ein Mädchen heiraten wollen, das da hinten im Garten mit den Freundinnen auf der Schaukel sitzt? Wie kann einer hier, wo die soziale Ebenbürtigkeit gesichert ist, so sehr verzichten wollen auf jede menschliche Ebenbürtigkeit in Erfahrung und Erwartung, aber auch in jenem Temperament, in jenem Lebensgefühl, das unmittelbar zusammenhängt mit dem Alter eines Menschen? Denn an Reife und Unreife, Offenheit oder Abgeklärtheit, jugendlicher Unbedingtheit oder mühsam erworbener Kompromissfähigkeit liegt es doch, wie einer in das Leben schaut, das vor ihm liegt: in ein weites Feld ohne Grenzen, oder in ein Land, wo Wege und Äcker bereits abgesteckt sind. Und wie kann ein Mann von Anfang an darauf verzichten wollen, dass seine Frau ihn auch in dieser notwendigen Begrenztheit, in diesem Leben nach dem Realitätsprinzip verstehen möge – denn eines ist sicher: Dieses Kind, das so gerne nachgeben würde, jenem lockenden »Effi komm«, zurück zum Spiel der Freundinnen, das kann ihn nicht verstehen, den »Baron Innstetten, schlank, brünett und von militärischer Haltung«. Und er selbst? Dass er diese Ehe überhaupt für möglich hält, zeigt vor allem eines: An das Bild einer auch menschlich gleichrangigen Gemeinschaft zwischen Mann und Frau hat er offenbar nie gedacht in seinem Leben. Oder vielleicht doch, seinerzeit mit Luise? Wie also kann es einem ernsthaften Mann von Statur, von Lebenserfahrung und Bildung überhaupt genügen, zusammenzuleben mit einem so unreifen Ding, wie es dort auf dem Kinderspielplatz turnt? Denn im Genügen dieses Zustands, hier liegt die zu beantwortende Frage.

3.

Der Bildungsroman, der einen Mann zum Ehemann macht, er hinterlässt seine Spuren, und um so mehr, wenn Störungen auftreten. Da kann es nämlich geschehen, dass ausgerechnet dieselben lebensklugen, bürgerlich korrekten Qualitäten, die ihn einst bestens zur Ehe qualifizierten, ins Gegenteil umschlagen und ihm plötzlich als persönliche Defekte vorgerechnet werden. Des jungen Innstetten leidenschaftliche Liebe zu Luise reichte ganz entschieden nicht; nun aber, nachdem er in achtzehnjähriger Seelenarbeit seine Leidenschaften und die Forderungen der Gesellschaft in militärischer Haltung zur Deckung gebracht hat, da wird das Ergebnis im Krisenfall gegen ihn verwendet; »er hatte viel Gutes in seiner Natur und war so edel, wie jemand sein kann, der ohne rechte Liebe ist«, wird Effi ihm nachrufen, als alles längst vorüber ist. Ohne rechte Liebe? Woher weiß ausgerechnet diese Effi so genau, was rechte Liebe wäre? Und doch scheint etwas dran zu sein, erhebt doch ihre Geschlechts- und Schicksalsgenossin Anna fast wörtlich den gleichen Vorwurf: »Sie dachte: ›Er liebt? Kann er denn lieben? Wenn er nicht davon gehört hätte, dass Liebe vorkommt, würde er dieses Wort niemals gebrauchen. Er weiß ja nicht, was Liebe ist.‹« Und sogar Emma spürt gerade angesichts von Charles’ ständigen Liebesbezeugungen den dringenden Wunsch, sie könne ihm das Gegenteil vorwerfen: »Es wäre ihr recht gewesen, hätte Charles sie geschlagen, dann hätte sie ihn leichter verabscheuen, sich an ihm rächen können.« Was dran ist, von Seiten der Frauen, wird noch zu fragen sein; aber was ist dran für diese Männer, denen – wie man’s macht, ist es verkehrt – kollektiv die Diagnose droht, sie spürten nicht die wahre Liebe?

Lieben diese Männer ihre Frauen? Kann man dieses Verhältnis Liebe nennen, selbst wenn man in Rechnung stellt, dass von ihnen, als Ehemännern, ultimativ verlangt wurde, sie mögen gefälligst Handfesteres vorweisen als verliebte Blicke? Fragt man nach dem Beginn der Eheschließung, so kann, das macht wiederum die ausführliche Effi Briest am deutlichsten, von Liebe keine Rede sein. Effi und Innstetten kennen sich kaum, und nicht viel anders ist es wohl bei Anna und Karenin. Nein, als Innstetten Effi zur Frau begehrt, folgt er ganz sicher keinem tiefen, persönlichen Gefühl, er bevorzugt diese eine Frau vor allen anderen nicht deshalb, weil er sie schöner, attraktiver, klüger, charmanter, mit einem Wort: liebenswerter fände als alle anderen Frauen. Er folgt vielmehr der bürgerlich aufgeklärten Vernunft und sucht eine Partnerin zum wechselseitigen Gebrauch ihrer Geschlechtseigenschaften, der biologischen wie der sozialen. Und nicht reine Leidenschaft, sondern praktische Vernunft hat ihn dazu gebracht, der Familie seiner einstigen Flamme einen Besuch abzustatten und deren geschlechtsreife Tochter in Augenschein zu nehmen. Wer hier unbedingt Berechnung und Gefühllosigkeit finden will, verkennt, was Ehe im neunzehnten Jahrhundert ist, und folgerichtig sehen weder die Eltern Briest noch, nota bene, Tochter Effi anderes darin als Normalität, und zwar reizvolle, vielversprechende Normalität. Zeit zur Prüfung verlangt keiner, was vielleicht ein Fehler ist, trotzdem nicht ungewöhnlich: »Noch an demselben Tage hatte sich Baron Innstetten mit Effi Briest verlobt.« Noch einmal: Ist das Liebe? Sicher nicht. Aber hat irgendjemand Liebe verlangt in diesem Augenblick? Sicher nicht. Auch Effi geht keineswegs davon aus, Liebe sei Voraussetzung zur Ehe, und auch sonst niemand, die Karenins so wenig wie die Briests. Aber hätte irgendeiner erklärt, Liebe spiele in der Ehe überhaupt keine Rolle? Zum dritten Mal: Ganz sicher nicht! So bleibt nur der Schluss, dass alle überzeugt sind, eheliche Liebe sei etwas, was zu erwerben ist, herzustellen, zu schaffen im Verlauf dessen, was eher durch Vernunft als durch Leidenschaft begonnen wird, der Schluss, dass Liebe und eheliche Liebe durchaus zwei Paar Stiefel sind.

Kann man das, was jetzt vom Zusammenleben der Paare berichtet wird, als solche Liebe betrachten? Für die Ehemänner gilt, dass dieses Zusammenleben eben nur einen Teil ihres Lebens ausmacht, der andere ist der Beruf. Gleich ob in Petersburg oder Kessin, ein öffentlich Bediensteter, die Karriere im Ministerium vor Augen, ist ein beschäftigter Mann, und für das Familienleben bleibt oftmals wenig Zeit – diese Klage ist keine Erfindung des geschwindigkeitssüchtigen zwanzigsten Jahrhunderts. Und auch ein Landarzt in der französischen Provinz ist unaufhörlich unterwegs. Die drei Herren entledigen sich dieser doppelten Pflicht jedoch mit mehr als Anstand; keiner nutzt die häufigen Abwesenheiten zu Eskapaden wie Anna Kareninas Bruder, Stepan Arkadjitsch Oblonski, ein großer Freund des Seitensprungs, den Tolstoi ausdrücklich als schlechtes Beispiel vorführt für das, was trotzdem zur ehelichen Normalität gehört. Fontane gibt dieser Zeit des gemeinsamen Lebens sehr viel Raum: Landrat Innstetten und seine Frau leben als ländliche Honoratioren ein angenehmes Leben, und auch wenn der Autor stets die Unterschiedlichkeit der beiden spüren lässt, wie sie allein schon das Alter vorgibt, wird auch Effi nicht als unglückliche Person gezeichnet. Gewiss, sie klagt über ihres Geert allzu häufige Abwesenheiten, während derer ihr das düstere Wohnhaus erfüllt scheint von Spukgestalten. »›Meine liebe Effi‹«, so erläutert ihr Mann, Landrat vom Scheitel bis zur Sohle, »›meine liebe Effi, ich lasse dich ja nicht allein aus Rücksichtslosigkeit oder Laune, sondern weil es so sein muß; ich habe keine Wahl, ich bin ein Mann im Dienst, ich kann zum Fürsten oder auch zur Fürstin nicht sagen: Durchlaucht, ich kann nicht kommen, meine Frau ist so allein, oder meine Frau fürchtet sich.‹« Dem kann und will Effi sich nicht entziehen, und doch wird sie auf die eine oder andere Weise immer wieder darauf zurückkommen.

Ist Innstetten deshalb lieblos? Nach der Geburt des Töchterchens Anna erholt die junge Mutter sich im märkischen Elternhaus, das sie im Innersten wohl immer noch als ihr eigentliches Heim empfindet. Und doch gibt es ihr den Anlass, ihrem Gatten nach der Rückkehr einen kleinen Vorwurf zu machen: »›Ja, Geert, wenn du nur ein bißchen Sehnsucht gehabt hättest, so hättest du mich nicht sechs Wochen mutterwindallein in Hohen-Cremmen sitzen lassen wie eine Witwe‹«. Effi spricht, wie es fast die Pflicht einer Ehefrau ist, als aber Innstetten ihr mit leichtem Spott und starkem Recht Koketterie vorwirft, erfährt der Dialog eine plötzliche Wendung ins Zweideutige, wie es nicht häufig vorkommt zwischen Eheleuten, jedenfalls nicht zwischen diesen Eheleuten. Mit einem Male sagt Effi, dass sie ihrem Geert den förmlichen Landrat in Wahrheit gar nicht abnimmt; er sei eigentlich »ein Zärtlichkeitsmensch und unterm Liebesstern geboren«, und der Rest sei Formalie: »›Du willst es bloß nicht zeigen und denkst, es schickt sich nicht und verdirbt einem die Karriere.‹« Ist das dieselbe Effi, die demselben Geert dann Jahre später kategorisch jede »rechte Liebe« abspricht? Und ist es derselbe Ehemann, der hier mit einem Lächeln und Zustimmung antwortet? Effi tut nichts anderes, als dass sie, einem Impuls des Augenblickes folgend, ihren Mann als den idealen Ehemann zeichnet, als einen, der hinter der bürgerlichen Außenseite ein potentieller Liebhaber geblieben ist. Und Innstetten will sich genau darin erkannt sehen. Hätten sie es besser treffen können miteinander?

Das Gespräch bricht ab nach ein, zwei Wendungen, durch das Hinzutreten des Dritten, bricht aber auch ab aus noch zwingenderen Gründen. Effi und Innstetten haben sich mit Worten wie »Kokette«, »Zärtlichkeit« oder: »Du hast was Verführerisches« auf ein Parkett begeben, das für den Ehealltag wohl deutlich zu glatt ist. Im Gegenteil, Fontane und Tolstoi zeichnen das tagtägliche Leben mit großem Einfühlungsvermögen gerade so, dass es für diese Art von Zweideutigkeiten keinen Raum lässt – und ihrer, wichtiger, auch gar nicht bedarf. Die eheliche Liebe bedarf der koketten Anzüglichkeiten nicht, und jede ausdrückliche Anspielung auf Erotisches und überhaupt auf Gefühle bekommt zwischen den Eheleuten zwangsläufig einen Hauch des Peinlichen. Am deutlichsten hat das Tolstoi gesehen. Als Anna von ihrer Moskaureise zurückkehrt, auf der sie die gefährdete Ehe ihres Bruders kitten sollte, wird sie auf dem Bahnsteig von ihrem Mann erwartet: »Als er sie erblickte, ging er ihr entgegen, die Lippen zu seinem üblichen spöttischen Lächeln verzogen, die großen müden Augen gerade auf sie gerichtet.« Er begrüßt sie mit den Worten: »›Ja, wie du siehst, dein zärtlicher Gatte, zärtlich wie im Jahr nach der Eheschließung, hatte das brennende Verlangen, dich zu sehen‹«. Karenin pflegt gewohnheitsmäßig einen Konversationston, der das, was er sagt, sofort zu dementieren scheint, einen »Ton des Spotts über diejenigen, die quasi tatsächlich so redeten«. Im Fortgang der Geschichte macht Tolstoi immer deutlicher, dass, anders als es auf den ersten Blick erscheint, Karenin sich hier eine Meta-Sprache erfunden hat, um genau das aussprechen zu können, was auszusprechen ihm peinlich ist: dass er seine Ehefrau Anna liebt wie im Jahr der Eheschließung. Nur weil er es als Parodie ausspricht, kann er das Ernstgemeinte sagen. Seine Sprache der Liebe ist eine Regel, die im Regelwerk der Ehe jene leidenschaftlichen Ergüsse ersetzen soll, die dort keinen Platz mehr haben; Voraussetzung, dass dieses Regelwerk funktioniert, ist jedoch das Einverständnis beider Partner. Im Großen und Ganzen – und anderes kann im pragmatischen Lebensentwurf »Ehe« nicht verlangt werden – scheint bei den Karenins und den Innstettens dieses Einverständnis dazusein, und bei den Männern nicht einmal mit wirklichen Einschränkungen.

Und wo bleibt Charles Bovary bei alledem? Nun, mit diesem Tölpel hat es seine ganz eigene Bewandtnis. Ausgerechnet dieser »Schahbovarie« unter seiner Narrenkappe, so wenig attraktiv, so lächerlich er uns vorgestellt wird, ist zunächst einmal der einzige, der die Erfahrung des Heiratens gleich doppelt machen darf. Bekanntlich hat die Mutter ihrem Sprössling nicht nur zum Medizinstudium verholfen, sondern auch zu der finanziell einträglichen Madame Héloïse Dubuc, ihres Zeichens Gerichtsvollzieherwitwe in Dieppe, deren Rente von zwölftausend Livre dann doch mehr zählt als ihre fünfundvierzig Lenze. »