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Teresa Präauer

OH SCHIMMI

Roman

 

 

 

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Inhalt

Oh no!

Ninni

Mutter

Rodeo

Zindi

Guadalupe

Lilitha

Sam

Vater

Nie, nie

Oh, Schimmi!

Damn, yes!

Impressum

OH NO!

Was erzählt man sich über die internationalen Weltstädte? Indien, Afrika, Asien! Dass dort die Äffchen die Stadt regieren und dabei nichts anderes tun, als die Menschen zu ärgern. Indem sie den Menschen Sachen stehlen, die Mülltonnen durchwühlen, sich schlecht benehmen. Und hässliche Graffiti sprühen. Aber, so sagt man, diese Affen sind auch ziemlich cool und ziemlich vorwitzig.

 

Es kann also vorkommen, dass ein Reisender, der in Flip-Flops und Safarihose an der hoteleigenen Pool-Bar sitzt, sich schon morgens einen Blue Curaçao bestellt, dass er endlich wieder einmal, anstatt immer übers Tablet zu wischen, die internationale Tageszeitung auffaltet, sich die Sonnenbrille ins Haar schiebt, einen kräftigen Schluck nimmt, dass er die Lektüre der politischen Nachrichten hintanstellt, den Chronikteil und die Motorsport-Beilage stattdessen vorzieht, im Weiteren nach dem Stück Ananas und der kandierten Kirsche an seinem Cocktailglas greifen will und plötzlich, unerwartet, einem felligen Äffchen an den Steiß fasst, das, jetzt sieht er es!, doch tatsächlich seine kleinen Greifhände um die beiden Obststücke gekrallt hat und so, mit unmissverständlicher Geste, die neuen Besitzverhältnisse deutlich macht.

Wollte der Reisende, über diesen bescheidenen Vorfall zuerst erheitert, dann zunehmend verärgert, seinen Blue Curaçao mit den frischen Eiswürfeln und dem schwarzen Trinkhalm zurückerobern, »es handelt sich doch bloß um ein kleines Äffchen, das verscheucht gehört, besser noch erschlagen!«, so wird er sich im Verlauf dieses Vorhabens die sprichwörtlichen Zähne an seinem Gegner ausbeißen.

 

Er wird seine Zeitung fallen lassen, wird beim Sich-danach-Bücken die Sonnenbrille verlieren und wird sich beim Aufrichten den Kopf an der Tischplatte stoßen. Das Äffchen wird sich trollen, nämlich vom Tisch weg und an den Rand des Pools, erst verschreckt, stets jedoch Ananas und Kirsche fest umschlossen. Der Reisende, jetzt ehrgeizig geworden und sich von den anderen Hotelgästen beobachtet wissend, wird dem dreisten Dieb hinterher hechten, er wird dabei freilich, freilich!, auf den vom Äffchen gerade fallen gelassenen Obststücken ausrutschen, er wird so, unter dem lachenden Beifall der Schaulustigen, in den Pool stürzen, wird erst unter- und dann, mit hochrotem Kopf, an der Wasseroberfläche wieder auftauchen, gerade zur rechten Zeit. Zur rechten Zeit nämlich, um beobachten zu können, wie das Äffchen seinen Platz an der Sonne einnimmt, genussvoll die internationale Tageszeitung in der linken, den Cocktail in der rechten Hand, den schwarzen Trinkhalm grinsend bereits zwischen die blitzenden Zähne gesteckt.

Nun, bei unserem Schimmi liegt der Fall nicht ganz so wie bei jenem Äffchen. Der Schimmi nämlich mag beispielsweise überhaupt kein frisches Obst und Gemüse. Er würde den Blue Curaçao trinken, ohne sich um die Ananas zu balgen, und er würde die Eiswürfel dazu lutschen. Er würde vielleicht noch versuchen, durch den schwarzen Trinkhalm in der Waagrechten hindurchzuspucken.

Bei alldem bliebe der Schimmi doch ein Mensch, mit Dollars in der Hose und einem Hemd dazu, das er aufgeknöpft trägt bis zur Brust, wo ein beachtliches Stück Fell zum Vorschein kommt.

Fell? Nein, sehr helles Brusthaar, das, zu manchen Tageszeiten, rot glänzt. Das Gras wächst, die Vögel fliegen, und Wellen schlagen ans Ufer, sagt man. Und was macht der Schimmi währenddessen? Er lacht, und seine Zähne blinken, nein schimmern so golden aus seinem Mund.

NINNI

Wo ich Ninni zum ersten Mal gesehen habe? Im Dschungel der Großstadt! Nicht in Indien, nicht in Afrika, nicht in Asien, aber doch in einer sogenannten Weltstadt. Mehr sage ich dazu nicht, sonst kommt noch einer angereist. Nur so viel, ich wohne in einem Apartment im obersten Stockwerk, es mangelt, wie man so sagt, an nichts.

Ob ich den Luxus mit einem Mädchen teile? Nun, es ist zu erwarten. Haben?! Kann ich jede. Sieh dir allein meine Schuhe an! Ich will aber nicht jede, denn ich kann’s mir aussuchen. Ninni oder keine. Maguro vielleicht. Zindi vielleicht. Guadalupe? Nein. Yu-Mei Chow? Nur im Rotkäppchenkostüm! Nein, Ninni oder keine. Die anderen sind bloß zum Üben.

Wie oft? Mehrmals am Tag, mehr-mals-am-Tag.

Derweil habe ich ja noch meine Mutter bei mir. Ja, ich kümmere mich um sie. Oh no!, sie führt nicht den Haushalt, dafür haben wir Personal eingestellt.

Wofür das zuständig ist? Allfälliges. Saugen, wischen, putzen.

Ob das Personal viel zu tun hat? Nein, bei uns ist alles abgedichtet gegen den Dreck der Großstadt.

Die Luft? Kommt über die Aircondition. Manchmal kommt darüber doch ein Käfer mit. Oder eine Fliege. Durch den Luftschacht.

Nein, die wird dann weggesaugt. Mit einem Mini Hoover. Einmal hat der graue Beton in der Wand einen Sprung bekommen. Ja, ein Grashalm ist dort gewachsen, kräftig, beinah wie ein zartes Ästchen.

 

Der Lebensstil? Die americänistische Art. Ja, so leben wir hier. Bekommt man alles als Importware.

Was? Na, alles. Plantain Schips! Die gesalzenen und gerösteten Kochbananen mit dem Kakadu auf der Verpackung.

Nein, ich esse kein frisches Obst und Gemüse. Die Ladies sind meine Früchte, hoho!

Na, weil es krank macht, aber gesalzen und geröstet ist eine Ausnahme. Eine rare Ausnahme. Durchs Salzen und Rösten werden die Keime und die Fitamine abgetötet. Das ist wie bei den Kartoffelschips.

Das Americänistische? Passt zu mir. Ich kann es mir leisten, und deshalb mache ich es so. Und diese Ninni passt auch zu mir. Ich hab sie einmal gesehen und bin sofort auf den Boden und hab um ihre Hand angehalten. Sie hat mir ihre entgegengestreckt und mich hochgezogen.

Auf Aufforderung hin, ja. Ein Nein sieht jedenfalls anders aus.

Gesagt hat sie nichts, nein. Sie hat ja noch Zigaretten im Mund gehabt. Mehrere gleichzeitig.

Wie es dazu gekommen ist? Ich bin durch die Straßen gestreunt, es ist schon Abend gewesen, und ich hab überall hineingeschaut, wo noch Licht gewesen ist.

Meine Mutter? Die braucht davon nichts zu wissen. Ich war auf den Straßen unterwegs und hab mir alles angesehen. Und die Ninni ist da gesessen, in einem der Schaufenster, nein, eigentlich etwas weiter hinten im Raum. Aber ich hab sie gut sehen können, ausgeleuchtet vom Neonlicht, wie eine badende Königin. Ja, wie auf einem Thron ist sie da gesessen, und sie hat ihre Plastiksöckchen ausgezogen und neben sich gelegt gehabt und die nackten Füße in eine pinkfarbene Waschschüssel gesteckt, aus der heraus es seifig geblubbert hat.

Ich hab das Blubbern nicht hören können, aber ich hab’s durch das Schaufenster gesehen, und ich habe mir, um meinen ersten Eindruck zu überprüfen, im Weiteren die Nase an der Fensterscheibe plattgedrückt.

»Blubb, blubb, blubb«, habe ich dabei, so für mich, gemurmelt, »ihr Seifenblasen, die ihr euch warm und schmierig an die Füße schmiegt und auf der nackten Hornhaut still zerplatzt.« Sehr poeticalisch wurd’ mir da zumut’.

Ja, da hab ich noch gar nicht gewusst, dass die Ninni Ninni heißt. Nie und Nimmer! Shiver, shimmer. Nee, ich dachte, her name was Queen of Pedicure.

Ich habe mir aber einen Namen mit -i- gewünscht. Oder: Ich bin mir sicher gewesen, sie hört auf einen Namen mit -i-. Letztlich kann man hier ja aus jedem Namen einen mit -i- machen, man braucht nur den Buchstaben hinten anzufügen wie an ein Kosewort. Ich sag, wenn ich eine beglücke, dann eine mit -i-. Oder: Wenn ich eine begatte, dann eine mit -i-.

Klar, als ich sie gesehen habe, hab ich sofort gewusst, dieser Frau will ich Kosenamen geben. Ninni ist auf ihrem Thron gesessen, halb gelegen, die Augen geschlossen, und sie hat die Hände seitlich rechts und links über die Stuhllehne hängen gehabt.

Eigentlich hing sie dort als Ganze, die Haut zwar jung und rosig, das Leben aber, ehrgeizlos, bereits wie entwichen aus ihrem Inneren.

Wie ich das sagen kann? Ich hab’s ja gesehen. Und ich erkenne den Unterschied. Ob jemand noch etwas will im Leben oder nicht.

Doch, einen Rest an Willenskraft muss sie aufgebracht haben, um den Weg in Yu-Mei Chows Nagelstudio anzutreten, um sich eben hier den dunklen Haaransatz wieder bleichen zu lassen.

 

Abgesehen davon irgendwelche Zeichen, die darauf hingedeutet hätten, dass sie noch lebte? Ja, sie rauchte Zigaretten, ohne auch nur ein einziges Mal abzusetzen, und mit jedem Zug füllte sich ihr Körper wieder mit Leben – bis zum nächsten Ausatmen, bei dem sie den Rauch wieder aus ihren Nasenlöchern blies. So ging das eine ganze Weile, manchmal wurde ihre abgebrannte Zigarette gegen eine neue getauscht, dazwischen fegte oder pustete man ihr die Asche vom Umhang. Alles aus Polyesterol, aber ich mische mich nicht ein.

Woran ich das erkenne? Am Glanz! Würde das wirklich so rasch brennen, dann wäre diese Ninni aber schon hundertmal abgebrannt. Die Extensions allein!

An jeder Hand der göttlichen Ninni ist noch je eine Asiatin gehangen und hat Ninnis Nägel gefeilt und lackiert und ihre Finger eingecremt und massiert. Sehr schöne Finger übrigens.

Ich hab dem Schauspiel lange zugesehen. Wie die Asia Girls sich gebückt und gelächelt und zwischen den einzelnen Arbeitsschritten immer wieder nach den Füßen in der Waschschüssel gesehen haben, diese irgendwann dann aus dem Wasser genommen und mit einem Handtuch trockengerieben haben, danach mit einem Messerchen die Hornhaut abgezogen, dann die Füße eingecremt und kleine Küsse auf die Zehen gesetzt haben.

Sie küssten Ninnis Zehen? Nein, das gerade nicht, denn das wird hinterher, später dann, meine Aufgabe sein. Die Aufgabe der Asia Girls ist es bloß gewesen, meine Ninni vorzubereiten für mich. Während ich also fest an die kleinen Küsse auf Ninnis weiße Zehen gedacht und mir ausgemalt habe, wie ich danach jeden einzelnen der Zehen in den Mund nehmen und daran saugen würde, vom ersten bis zum zehnten, just da hat Ninni, im Inneren des Nagelstudios sitzend, mich entdeckt, wie ich die Nase ans Fensterglas gepresst und mit dem Mund dort leichte Saugbewegungen erprobt habe.

 

»I-i-i-iii!«, muss sie geschrien haben, danach zu schließen, wie breit sie ihren Mund gezogen hat, und ich habe es ja beinah bis auf die Straße hinaus hören können, nur übertönt vom Lärm der Autos draußen. Und sie hat mit dem Finger auf mich gezeigt und weitergeschrien, und die kleinen Asiatinnen haben allesamt, es sind ja in etwa ein Dutzend im Raum gewesen, ihre hellblauen und pinkfarbenen Arbeitsgeräte fallen lassen und sind, mit weit aufgerissenen Augen, in meine Richtung gestürmt. Mich hat es dadurch geradewegs fortgeschleudert, vom Gehsteig hinunter, beinah in den Autoverkehr hinein, weil plötzlich ein derart starker Luftzug nach außen hin geblasen hat und somit eine Art von Gegendruck entstanden ist. Ich bin regelrecht zurückgeworfen worden, weg von der Scheibe, von wo sich mein angesogener Mund zuvor mit einem Plopp! gelöst gehabt hat. Ich bin rücklings auf dem Asphalt gelandet und habe so die schillernden Klebebuchstaben auf dem Schaufenster erst richtig lesen können: Yu-Mei Chow. Gel-Nägel, Fancy Nails und French Manicure. Ohne Voranmeldung.

 

Erst als mich die zirka zwölf Asiatinnen, mitten unter ihnen wohl die Nagelstudio-Besitzerin Yu-Mei Chow selbst, bereits am Boden liegen gesehen haben, haben sie sich eingebremst.

»Der ist doch bloß ein kleiner Junge!«, haben sie gerufen, obwohl sie selbst natürlich viel kleiner gewesen sind als ich, aber so liegend hab ich wohl wirklich nicht wie der ausgewachsene Mann ausgesehen, der ich bin.

»Wieso habt ihr so große Augen?«, habe ich jetzt, weil mich ein gutes Dutzend Augenpaare angestarrt hat, gefragt. Diese Frage muss meinen jungenhaften Eindruck noch verstärkt haben, zumindest doch einen rotkäppchenhaften, sofern solche Asia Girls das Rotkäppchen aus dem Märchen überhaupt kennen. »Kennt ihr Rotkäppchen?«, habe ich sie also gleich noch gefragt.

»Natürlich kennen wir Rotkäppchen«, hat Yu-Mei Chow, jetzt bin ich mir sicher gewesen, dass es sich bei ihr um die Besitzerin gehandelt hat, in strengem Tonfall geantwortet, um umstandslos fortzufahren: »Ich gehe selbst auf Gonwenzenz.«

»Auf Conventions? Als Rotkäppchen?«, habe ich gefragt, man sagt dazu erstaunt.

»Als sexy Rotgäppschen«, hat Yu-Mei Chow geantwortet, ungerührt.

Da schau an, hab ich mir gedacht, die geht also verkleidet auf diese Messen, die Frau Chow. Lässt die jungen Mädchen abends noch im Laden schuften, während sie, ein Privatvergnügen, an ihren Kostümen näht. Frau Chow als Rotkäppchen, das muss ich mir im Internet ansehen! Die trägt sicher einen passenden Schlip dazu unter ihrem roten Röckchen!

»Als sexy Rotkäppchen also«, wiederhole ich Frau Chows Worte, und die Asia Girls sehen mich an. »Wow!«, füge ich deutlich vernehmbar an, um meinem insgeheim gehegten Zweifel an Frau Chows Sexiness rasch etwas entgegenzuhalten.

»Unsere Augen«, fügt Yu-Mei Chow jetzt, nach einer kleinen Gesprächspause, sachlich an, »haben wir durch Eingriffe vergrößern lassen, um im Verdrängungskampf bestechen zu können«.

»Bestechen?!«

»Bestechen.«

»Ach so, um im Verdrängungskampf bestehen zu können«, sage ich, noch lauter, und will mich aufrappeln, um den zwölf neugierigen Asiatinnen meine wahre Größe zu zeigen, aber Yu-Mei Chow hat ihren gepolsterten Turnschuh bereits auf mein Hosenbein gestellt gehabt und hat mich so auf dem Boden festgehalten. Spricht, als hätte sie den Mund voll Bananen und Klebreis, beherrscht aber den neoliberalischen Diskurs! Verdrängungskampf also.

 

Und das war der Moment, in dem Ninni höchstselbst aus dem Nagelstudio gekommen ist. Es war, als wäre das Neonlicht mit ihr mit herausgetreten auf die Straße. Sie hat noch silbernes Alu im Haar gehabt, das hat den Eindruck von Helligkeit noch verstärkt. Magisch! Magic! Magicalometrical!

Ich habe zuerst gar nichts herausgebracht, ich habe stattdessen, schockstarr, darüber nachgedacht, ob eine Nagelstudio-Angestellte denn überhaupt befähigt ist, Haare zu färben, habe aber im den beiden Professionen gemeinsamen Arbeitsmaterial, nämlich Horn, sehr schlau!, die Antwort gefunden: Natürlich.

Schimmis Gesetz: Haare sind aus Horn, und Nägel sind aus Horn, alles das hat aber nichts mit horny zu tun. Obwohl mir das Wort nun doch nicht zufällig eingefallen sein kann. Ninnis Haare sind, das ist wiederum eine Ausnahme, nicht aus Horn. Der dunkle Haaransatz ja, aber an diesen Ansatz aus Horn hat Ninni sich blonde Strähnen aus Polyesterol kleben lassen, sogenannte Extensions.

Manche Extensions wiederum sind ja tatsächlich aus Horn, sie stammen von indischen Frauen, die im Tempel gebetet und sich den Schädel rasieren lassen haben. Das indische Haarmaterial ist sehr wertvoll, es wird gewaschen und gebleicht zu uns gebracht, in die entwickelten Industrieländer.

Ninni hat ihre spärlichen Dollars aber nicht in Echthaar aus Indien investiert gehabt, sondern in Polyesterol aus Schina. Und bei Yu-Mei Chow lässt sie es weiter bleichen und an manchen Stellen hellblau, rosa und türkis färben, so wie die Mähne des Spielzeugponys, mit dem sie als kleines Mädchen gern gespielt hat.

Woher ich das alles weiß? Ich gebe zu, ich weiß es nicht. Aber ich habe Augen im Kopf, mit denen ich sehen kann, und ein Hirn, mit dem ich denken kann.

Yu-Mei Chow ist weiterhin auf meinem Hosenbein gestanden, wild entschlossen, meinen Namen herauszufinden. Ich habe also mitgespielt, denn ich wollte nicht, dass das Rotkäppchen den eleganten Anzugstoff meiner grauen Hose zerreißt.

»Wie lautet dein Name, Jungemann?«, hat Yu-Mei Chow also gefragt, nicht fähig, die grammatikalistische Form des höflichen Siezens anzuwenden. Die steht auf mich, habe ich mir trotzdem gedacht, während sie weiter auf mir stand, sonst würde sie mich ja wieder loslassen.

»Ich bin der Schimmi«, habe ich dann endlich gesagt. Ich meine dabei ganz und gar nicht gewimmert zu haben, obwohl der gepolsterte Turnschuh der Frau Chow zunehmend an Softness eingebüßt hat.

»Frau Ninni«, hat daraufhin Yu-Mei Chow, nun des Siezens fähig, gesagt, »wollen Sie den Namen von de’ Jungemann notieren?«

Und da ist mir aufgefallen, dass das Leben aus Ninnis Körper nicht mehr entwichen ist, da sie doch beinah ein wenig die Luft angehalten hat bei meinem Anblick. Ich bin mir ab diesem Zeitpunkt, ja Augenblick, sicher gewesen, dass es, bezogen auf Ninni, nur diese zwei Möglichkeiten gibt: Entweder trägt sie gar keinen Schlip oder, im Gegenteil, einen sehr auffälligen. Hibiskusblütenpink.

»Schimmi?«, hat Ninni, freilich demonstrativ desinteressiert, gefragt.

»Das bin ich!«, habe ich gerufen. »Getauft englisch: Jimmy, genannt deutsch: Schimmi.«

»Nein, Frau Chow, ich notiere mir diesen affigen Namen nicht«, hat Ninni, mit arroganter Visage, gespottet. »Den merk ich mir so.«

»Für die Bullizei«, hat Frau Chow gesagt.

Wow!, erst mal. Denn Frau Ninni merkt sich meinen Namen. Und ab da erst hab ich gewusst, dass sie eben Ninni heißt. Vielleicht hab ich dann doch noch ein bisschen gewimmert, damit Yu-Mei Chow endlich ihren Fuß von meiner Hose nimmt, mich aufstehen lässt und außerdem davon absieht, die Polizei zu rufen.

Die Asiatinnen, bis auf ihre Chefin, haben mich mittlerweile ja mehr mitleidig als feindselig angesehen. Ein paar unter ihnen haben auch diese hohen Töne ausgestoßen, wie man sie im Internet hören kann, wenn solche Mädchen zart angefasst werden.

Das mit den Tönen? Das hab ich recherchiert. Für den Job. Wozu denn sonst?

 

Yu-Mei Chow ist in ihren gepolsterten Turnschuhen wieder zurück ins Nagelstudio stolziert, sofern man in gepolsterten Schuhen stolzieren kann, nicht ohne mir vorher ein zweites Mal mit der Polizei zu drohen, falls ich ihre sogenannten Kundinnen weiter belästigen würde.

»Belästigen?«

»Begaffen!«

Beg-, beg-, begaffen also. Ninni hat mich böse angesehen, hat mir aber doch ihre schönen Finger entgegengestreckt oder sie mir zumindest ehrgeizlos entgegenfallen lassen, nachdem ich ja sehr darum gebeten habe. Ja, sie hat mir ihre Hand gegeben. Und ich habe sie gehalten und gespürt, wie kühl sie gewesen ist. Kühl, aber eingecremt.

Als ich mich dann an der erbettelten Hand von Frau Ninni wieder aufgerichtet habe, hat sie nun endlich sehen können, wie groß ich wirklich bin. Da hat sie Augen gemacht, obwohl man das unter ihren falschen Wimpern so gar nicht gesehen hat. Intuitivisch hab ich es doch wahrgenommen. Sie hat dann, so impressed, auf der nackten Sohle kehrtgemacht und ist, grußlos, Frau Chow ins Innere des Nagelstudios gefolgt. Frau Chow hat ihren Mädchen gedeutet, sich umgehend hineinzutrollen, und die haben ohne Widerrede ihre Arbeit sogleich wieder aufgenommen.

Ach, wenn sich ein Dutzend junger Asiatinnen in ein Nagelstudio trollt, das ist ein Anblick! Zwei von ihnen sind allerdings dann doch noch stehen geblieben und haben mit ihren auch sehr falschen Wimpern geklimpert.

»Welchen Lack hat Frau Ninni gewählt?«, habe ich, mein Trick!, so süß und interessiert wie möglich gefragt und dabei auf die Klebeschrift im Schaufenster gedeutet. Als hätte ich nicht ohnehin genau gesehen, welche Manicure Frau Ninni gewählt hat.

»Goldenen. Mit kleinen Schtickers darauf«, hat eine der beiden geantwortet.

»Welche Schtickers?«, habe ich, nun etwas dringlicher, gefragt, und gespürt, wie bei der Erinnerung an die Schtickers auf Ninnis goldenen Nägeln, die mir ja als erstes aufgefallen sind, mein Daumen jetzt, erst langsam, dann merklich, angeschwollen ist.

Der Daumen? Ja, weil ich darüberstreichen möchte, mit meinem opponierbaren Daumen über Ninnis aufgeklebte Fingernägel. U-u-u!

»Aus der Tropical Edition«, hat eine der zwei Asiatinnen mit geschäftigem Stimmchen geantwortet.

»Kokosnüsse, Äffchen und Palmen«, hat die andere pflichtschuldig ergänzt.

»Ah«, habe ich gesagt und meinen Daumen in den Mund gesteckt wie ein Monchhichi, um seine Schwellung für mich zu behalten. »Fliegt Frau Ninni denn hernach in die Karibik?«, hab ich dann noch gefragt, um noch mehr über sie zu erfahren. Ich dachte zudem, wenn ich das Wort hernach sage, klinge ich, auch mit Daumen im Mund, rechtschaffener.

Da hat aber die strenge Frau Chow den beiden noch einmal gedeutet und gepfiffen. So gepfiffen, dass wir jetzt alle drei gewusst haben, das würde das letzte Mal gewesen sein, bevor sie den beiden Mädchen den Job kündigen würde, die alte Sklaventreiberin.

Also habe ich zugesehen, dass ich das Weite suche. Polizei benötige ich dafür auch keine, ein Taxi nach Hause hat doch entschieden mehr Komfort.

»Top 123 im Tower XY«, hat mir eines der beiden Asia Girls dann im Weggehen noch zugeflüstert.

Nein, ich werde die wahre Türnummer hier nicht preisgeben. 123 ist ein Code, XY die Verschlüsselung. Sollte dies nämlich die Adresse von Ninni sein, die mir die Asiatin soeben verraten hat, dann brauche ich dort keine anderen Mannsbilder.

 

Ja, ich hätte schon vorher einfach aufstehen können. Ich hätte dieser Frau Chow, die ein Dutzend Mädchen schwarz bei sich arbeiten lässt und in einem sogenannten Nagelstudio nicht nur Nägel feilt, sondern auch Haare färbt und Phetaminnis verkauft, die Konzession entziehen lassen können. Ja, das hätte ich. Ich hätte denen allen zeigen können, mit wem sie es zu tun haben, wenn sie es mit Schimmi zu tun haben. Ohne Voranmeldung!

Aber klar, der Stärkere bleibt souverän. Schimmi sagt: So kommt man ans Ziel. Hätte ich das giftige Rotkäppchen um seine Existenz bringen sollen? Die restlichen Girls zu mir nach Hause holen? Einer jeden die kleinen Zehen abbeißen? Die kurzen Beinchen lecken, bis hinauf zum rohen Sushi, rot wie Thunfisch?

Nein, Frau Chow soll weitermachen wie bisher. Zumindest so lange, bis ich Ninnis Adresse verifiziert habe. Wie geht der Spruch? Gibt für mich keinen Grund, jemanden im Ring umzubringen, außer diejenigen haben’s verdient. Frau Chow stolziert schon noch einmal durch meine Gasse, die eine Autobahn mit dem Namen A1 ist.

 

Und falls es wirklich Ninni ist, die im Tower XY wohnt, dann wohnt sie ja exakt gegenüber. Ein Kilometer Luftlinie! Dann würde ich mich, mit einem Fernrohr ausgerüstet, einfach vor den Fernseher legen und, wenn einmal auf tausend Sendern nichts Spannendes läuft, sehr entspannt hinübergucken zum Nachbarturm.

Und falls dort, statt Ninni, doch das schwatzhafte der beiden Asia Girls wohnen würde, na, auch dann würde ich mich eines Abends aus dem siebzehnten Stockwerk hinunterbequemen und hinaustreten auf die achtspurige Autobahn, die meinen Tower verbindet mit dem Rest der Welt. Ich würde ein Taxi anhalten, würde mich auf der A1 zum Nachbarturm hinüberkutschieren lassen und dann dort an der Tür klingeln. Beste Anbindung!

»Hallo, meine kleine Maguro!«, würde ich in die Gegensprechanlage rufen, »hat dich die alte Schinesin sehr gequält? Oder bist du ohnehin einiges gewohnt?«

Und Maguro würde mich in den Tower lassen, sie würde ihrerseits im siebzehnten Stockwerk die Apartmenttür öffnen, sie würde bei meinem Anblick kichern und springen, dieses ahnungslose Manga-Mädchen.

Nee, ich würde ihr kein Haar krümmen.

Im Fernsehen, da hab ich einmal einen Baum mit reifen Mangos gesehen. Ein Teil der Früchte ist bereits am Boden gelegen, im Gras, und schon sind die blöden Wespen in den Löchern gehockt, die sie mit ihrem Mundwerkzeug in die Schale geschnitten hatten. Manche sind dort, im aufgebrochenen Fruchtfleisch, beinahe ersoffen. Vor lauter Gier! Das kann mir nicht passieren, nicht mit frischem Obst und Gemüse.

MUTTER

Mein Name ist Schimmi, und ich wohne mit meiner Mutter in einem Apartment im siebzehnten Stock. »Jim, mein Sohn«, flüstert sie manchmal. Wenn sie jemanden mitgebracht hat. Dann schickt sie mich doch vor die Tür. Will mich plötzlich loswerden. Und ruft gleich wieder bei mir an. Wirft mich hinaus, und meldet sich sofort darauf, besorgt. Hasst mich, liebt mich, hasst mich, liebt mich. The man you love to hate: Hier bin ich.