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Hendrik Rost

Das Liebesleben der Stimmen

Gedichte

 

 

 

Wallstein Verlag

Inhalt

Handhabe

Heidenspaß

Clash

Nach dem Stolpern

Utah

Morbus

Heidenspaß

Mythos GmbH

Rosinante

Archetypisch

Hausgeburt

Prager Vogel

Katze unter der Zunge

Selected Tweets

Sieben Tage, ein Sommer

Gartenteich

Vom Schreiben in Versen

Alle Sinne bestätigen

Vermächtnis

Honig für den Sturm

Ein Rudel Laute

Keule

Romantik geht in Rauch auf

Westrom, Lummerland, Aleppo

Gartenarbeit

Affekte

Poetenverfügung

Pathos

Gedächtniskunst

Hegeljahre

Ich zog mir eine Zunge

Petrarcas Touristen

Ich zog mir einen Falken

Mandränke

Die gerodete Zunge

Delinquenten

Hänsel und Gretel

Adam schreibt

Anthropozän

Ort und Stelle

Arthur im Jemen

Mit Harry auf dem Kiez

Ein Poster für Vincent

Kyniker

Die Wespen des Vedanta

Heraklit

Scholastik

Aufklärung

Zwischen Magie und Frist

Feuertaufe

Dezemberbild

Lebensfries

Aus der Familie der Stimmen

Belém

Prototyp

Welt ging verloren

Fårö

Ich habe Göttinnen gesehen

Einer dieser Könige

Hotel Athena

Du hier

Wache

Wie ohne Schluss

Passer domesticus

Das verlorene Kind

Kollektion

Kaspardeutsch

Keiner hat Koordinaten

Frei Schnauze

Singsang

Vaudeville im Wald

Zuckeln

Stell dir vor

Sphinx

Frei Schnauze

Mit Jaccottet im TGV

Traumreise

Aus dem Labor

Kindergrafie

An den Knaben Georg

Tilde

Diese ganze Landschaft ist nirgendwo.

           Fernando Pessoa

Heidenspaß

Clash

So, in me, come flinging Forms,

flames, and the flakes of flames.

Wallace Stevens

Ich schaue in die Nacht und der Mond ist da.

Spaziergänger sind da, die ihre Hunde um Ecken

 

scheuchen, schwarzes Täschchen voll Losung

in Händen. Schau und die Geister der Vergangenheit

 

sind da. Schau ins Dunkel und sie sind anwesend.

Ein Kommen, ein Gehen. Schau der Mond, er,

 

wie alle, entstammt einer Kollision, innerlich glühend.

Schau, wie schwer vergänglich ein jedes. Bis oben

 

voll Blut. Anziehung ist erkaltende Wucht. Und ab und zu

sagt ein Alter oder ein Kind, die keiner für voll nimmt,

 

etwas Gravierendes über die Dinge und die Vorstellung,

und das könnte alles ändern – mit blindem Mut.

 

Für Ding und dich und mich, für alle Irdischen. Schau,

wie bleich alles wirkt auf lange Sicht bis zum Stillstand

 

der Kräfte. Schau in die Nacht in den Nächten. Erst

träumt es sich von guten, dann von anderen Mächten.

Nach dem Stolpern

Das Wesen des Steins ist steinhart.

Ich weiß es aus eigener Erfahrung.

Für jeden Einfall gibt es Beweise.

Aber Sachlichkeit ist keine Option,

wenn man am Kinn blutet. Dann

übernehmen andere Kräfte die Kontrolle.

Da liegt er, der Kiesel, unschuldig

seit der letzten Steinigung.

Lange wartete er in einem Vorgarten –

vergessen fast, vergessen

ist fast, was Kieselsein heißt.

Das Wesen des Stolperns ist Inspiration.

Mir fällt nicht gerade ein Roman ein

im Übersprung, aber ohne großes Getue

spüre ich tief im Rachen die Sprache,

sie ist noch intakt, trotz gebrochener

Knochen. Die Töne ruhen da.

Für jeden liegt irgendwo ein Kiesel.

Utah

Auf zweitausend Meter Höhe wächst

dichter Nadelwald und es geht noch

höher, die Felsen sind von dem Grau

schwerer Wolken und es sind Wolken,

in denen parken wir ein und steigen aus.

Die Gegend jenseits aller Staatsgewalt.

 

In der Nacht stehen funkelnde Augen

am Straßenrand – Rehe, so groß wie

unbeteiligte Beobachter, oder doch

eher Apostel vergangener Gläubigkeit.

Am Morgen erwachen wir am Fuße

eines Riffs aus Trümmern von Babel.

 

Wir wandern lange durch einen Canyon

und erreichen einen Wasserfall. Zwei Indianer,

Vater und Sohn, fischen in dem Trog, aber

brechen auf, sobald wir eintreffen. Das Wasser

ist eiskalt, tief und klar. Ich finde die Kurbel

einer Angel am Ufer und laufe den Ute nach.

 

Der Junge sieht durch mich hindurch und

sein Blick reißt mich fort in eine Landschaft

ohne mich. Keinen Tag würde ich überleben in diesen Augen. Sein Undank ist ein Sakrament

wie die Taufe Verstorbener. Ich beiße an.

Morbus

Selig, wer in Träumen stirbt

Clemens Brentano

Hörst du Namen korrodieren, hörst

du, wie sie verbrennen, wie du

nicht mehr bei Trost bist, wenn

Ding und du sich nicht erkennen?

 

Du wolltest was? Wörter wiegen?

Spüren, wie leicht es ist, ein Lied

zu trällern? Wolltest aus Grillen und

Träumen Informationen kriegen –

 

über den Mond vielleicht, die

Stille zwischen Versen, die brüske

Liebe zu den Schemen dort im

Schatten, die Sätze wetzen,

 

wie du Sinne schärfst. Du wolltest

das Glück und die Begriffe zurück

aus ihrem namenlosen Schlaf.

Hörst du? Wie still alles oxidiert.

Heidenspaß

Ein Wanderzirkus lockt mit erhabener Schäbigkeit

als Programm. Zwei verfilzte Kamele angepflockt,

in den Augen die tote Vorstellung einer anderen Wüste.

Und Kinder kreisen auf Rädern in immer engeren Zirkeln

um den Festplatz. Man kann das Türkis der Douglasien

vor den Häusern im Ort sehen, eine fingierte Oase,

Forsythiensignale. Rote und blaue vergilbte Bahnen