Choi Seung-Ho
Autobiographie aus Eis
Gedichte
Aus dem Koreanischen
von Kyunghee Park
und Kurt Drawert
Mit einem Nachwort
von Kurt Drawert
Wallstein Verlag
Die Übersetzung und Veröffentlichung dieses Buches wurde gefördert vom Korean Literature Translation Institute, Seoul, Korea
Originaltitel:
(Orûmui chasôjôn, Segyesa, Seoul 2005)
© by Choi Seung-Ho
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© für die deutsche Ausgabe
Wallstein Verlag, Göttingen 2011
www.wallstein-verlag.de
Vom Verlag gesetzt aus der Stempel Garamond
Umschlaggestaltung: Susanne Gerhards, Düsseldorf
Foto: Fotolia © Eric Isselée
Druck: Hubert & Co, Göttingen
ISBN (print) 978-3-8353-0976-0
ISBN (eBook, pdf) 978-3-8353-2172-4
ISBN (eBook, epub) 978-3-8353-2184-7
I Unpersönlicher Tod
Roter Körper
In der Nacht des lächelnden Kapitalismus,
das geschminkte Lepragesicht erhoben,
hängt, im roten Licht der Lampe
in einer großen Metzgerei, der Klumpen Fleisch
von einer alten Hure an einem spitzen Haken.
Blut rinnt aus dem geschächteten Körper,
von Äxten gevierteilt, in dieser und in jeder Nacht,
in der das Fleisch zerschnitten und geschunden wird,
um dann verpackt zu werden als eine Ware.
Im Hintergrund der Nacht der Schrei
des toten Embryos nach seiner Mutter,
so dumpf und so leise wie auf dem Grund
eines Meeres aus Blut, das täglich
durch den Abfluss geht, im roten Lampenlicht
der Metzgerei, mit einer Babyhure
am kapitalistischen Haken.
Vergnügungen in der weltlichen Stadt 1
Sexszenen, zu peinlich
für eine Firstclass-Schaupielerin
und übernommen von einem Double.
Eine Frau, nackt wie ein Brathuhn
auf die Leinwand geworfen,
als gesichtsloser Körper verkauft
zur Betäubung der Sinne.
So, in der Finsternis des Kinos,
bin ich, der Zuschauer, im Verlangen
gefangen, vom Trug betäubt,
und da ist auch Erregung,
vom Trug hervorgerufen,
die Zeit vor den Augen
wie einen in Stücke
geschnittenen Film, wissend,
dass die Dinge auf der Leinwand
ein Trug sind, und doch dieser Rausch,
bei der Betrachtung, bis zum Ende,
bis die Leinwand meiner Netzhaut entleert ist,
bis die Zunge meiner Augen zerstört ist.
Vergnügungen in der weltlichen Stadt 2
Eben noch laut klagend, macht sich die Frau
mit der Geldtasche am Gürtel ihres Trauergewandes
an die Gewinn- und Verlustrechnung
der Nacht.
Von aller Last befreit erst mit dem Tode
und ihrer Beute entledigt – die größte Trauer
gilt dem größten Dieb -, mit leeren Händen
und nackt wie die Bettler, liegen die Menschen
im Leichenkühlraum.
Ihre münzrunden Augen verdrehend
und sich die Köpfe zerbrechend,
welche Karte welcher Farbe sticht,
berauscht vom Spaß am Kleingeldsammeln
und hämisch feixend, durchzechen die Spieler
die Nächte des Todes.
Die Nacht wird durchgemacht
inmitten der Leichen,
bis die Mäuse mit den Zähnen knirschen
und die Sprossen aller Leitern brechen
und der König des Todes erschöpft den Kopf
zur Seite legt, noch erhoben die Hand,
und in der Hand seinen stinkenden Span für die Zähne.
Dürftig bedeckt von einer Matte aus Stroh
liegt die Leiche in der Kälte, die noch
den Atem der Lebenden beschlägt.
Ein Leichenbestatter schafft die Kleider
fürs Jenseits heran, das Ohr an den Mund
des Toten gelegt, prüfend, ob der noch wissen will,
was folgt, und ob es etwas anderes gibt
als dieses Nichts in dieser Kälte.
Aber der Leichenkühlraum bleibt absolut still.
Vergnügungen in der weltlichen Stadt 3
Zusammenhanglose Schäume
treten über Ränder langer Gläser,
o bodenlose Seouler Nacht,
die tiefer, nein, die flacher wird.
Paradise-Shopping-Nacht,
die mich in eine Flasche stopft
mit Schnaps, auf dass die Weiber
begehrenswert werden.
Die Klimpermusikanten kommen,
die Nachtarbeiter, Fledermaussänger
spannen nach Sonnenuntergang
ihre Flügel auf, die Karaokeband kommt.
Wo jetzt wohl der Traum
des jungen Leichnams hängt?
Wie Seifenblasen treibt die Nacht
vor sich hin, das Keyboard
lässt lärmend alle Wände verschwinden,
und dann ist da nichts mehr,
kein Unten, kein Oben, kein Schimmer
am Horizont, nur grölende Leere,
in der sich die Gläser wie von selber
nachfüllen und der Alkohol
in Strömen fließt, bis die Körper
in der Luft zu tanzen beginnen.
Und so leben wir später,
mit Essensresten, die zu Abfall werden,
mit leeren, umgestürzten Flaschen,
mit dem Erbrochenen, das uns geblieben ist
für diesen einen wahrhaftigen Morgen.
Getränkeautomat
Ich drücke den Knopf für Kaffee
und wollte doch Orangensaft –
o Macht der Gewohnheit!
Die Macht der Gewohnheit
zieht mich hinab und verführt mich
wie ein Hypnotiseur, lässt aus mir
einen Schlafwandler werden,
der durchs Nebelland
der Gewohnheiten wandelt.
Ich denke, ich sollte wach sein,
den vernebelten Kopf klar werden lassen,
und trinke, so unerwartet, Kaffee.
Der Getränkeautomat ist,
sobald man die Münze ihm
in den Schlitz wirft, wie eine Hure,
oder wie eine Goldkirche, und wer
ist sein Zuhälter? Die Wirkung des Geldes
ist bekannt, gleichviel,
ob dieser Hurenautomat dir einen Becher
saccharinsüße Lust schenkt
oder göttlichen Orangensaft.
Die Uhren
Der kahlköpfige Mann im Uhrenladen ist von Uhren umstellt. Surrende Zahnräder, zitternde Sekundenzeiger. Oft vergleicht er sie mit Egeln oder Vampiren, die einem langsam das Blut aus den Adern saugen, bis der Körper trocken und steif wie ein Dörrfisch zu Boden sinkt. Und das alles geschieht ohne Schmerzen, denn die Zähne der Zeit im eigenen Fleisch spürt man nicht. Zahnradgetriebe und Zeiger, alles frisst sich in dich hinein, und das Uhrenband an deinem Handgelenk schließlich, es legt dich in Fesseln. Uhren müssten richtigerweise Vampirwecker heißen oder Blutegelzähler. Doch wie heißen sie? Kuckucksuhr, denn das ist ein wohl schönerer Name. Die Kuckucksuhr macht Kuckuck, wenn es schneit, Kuckuck, wenn man zu einer Beerdigung geht, und ihr Kuckuck ist nur ein Kuckuck aus Plastik. Aus dem Inneren ihrer kleinen Maschine aber tickt beharrlich die Blutsaugerzeit. Denn jeder wird alt und sinkt eines Tages ausgetrocknet und mit blutleeren Adern zu Boden. Nur der Kahlkopf im Uhrenladen wirkt manchmal sehr jung. Vielleicht, weil er seine Uhren verkauft, als Geschenke zum Schulabschluss, zu einem Geburtstag oder zur Hochzeit. Jede Uhr weniger im Geschäft ist ein Vampir am Hals eines anderen, oder ein Egel am Handgelenk, wie man es will.
Abschied vom Kaffeeautomaten
Zur Abenddämmerung steht der kahlköpfige Firmenangestellte, der die vormittags mit seiner Aktentasche hinaufgestiegene Treppe wackligen Schritts wieder herabgestiegen kam, allein vor einem Kaffeeautomaten. Daneben ein Mülleimer, so groß wie ein Rettichtopf, mit schmutzigen Pappbechern, an denen keine Knospen sprießen. Zur Abenddämmerung häufen sich gebrauchte und entleerte Dinge im Mülleimer, der fast schon am Überlaufen ist. Der Angestellte, der über zahlreiche an Brust, Hüfte und Hinterteil befestige Taschen verfügt, zählt sich die benötigten Münzen zurecht, die auf seiner alten Handfläche liegen. Dabei blickt er über seine dicke, talg- und staubüberzogene Brille hinweg. Dann schlürft er den heißen, schwarzen Kaffee, und es ist, als sauge er an den Brüsten einer Hure und als würde er gleich auch noch den Automaten verführen. Dann geht er, aber er geht, als wäre es der Abschied von einer Geliebten, nach der er sich mehrmals noch umdreht. Eine Erwiderung der Liebe ist von diesem kalten Kasten jedenfalls nicht zu erwarten. Verbittert und schwankend geht er die Treppe noch weiter hinab. Nein, diese Treppe ist kein Weg, sondern ein Gleichnis für Wiederholung und Müdigkeit. Und ein Angestellter ist auch kein Dichter. Ein Dichter kann ein Angestellter sein, aber ein Angestellter ist ganz sicher kein Dichter. Er gelangt auf die Straße, in der es schon dämmert, und sieht an dem Gebäude empor, in dem er bis heute gearbeitet hat. Morgen werden andere an seinem Schreibtisch sitzen und die Unterlagen wälzen, die er bis eben gewälzt hat. Dann streckt er seinen dürren Arm aus und winkt sich das letzte Mal ein Taxi.
Vorstellung von Fischmenschen
Vom U-Bahnhof Yangjae
in Richtung Maljukkôri-Markt
kriecht, den Körper unterhalb der Hüfte
in ein Laken aus Gummi gewickelt, ein Mann.
Die Langsamkeit, mit der er sich bewegt
und seine Schale mit den Bettelmünzen
über das Pflaster schiebt, ist nervend
und quält das Zeitgefühl.
Ich denke, dass es sich im Falle des Mannes
um einen Fischmenschen handelt.
Das sagt mir meine amphibische
Vorstellungskraft. Sie sagt,
wenn es Menschen mit Fischleibern gibt,
gibt es sie auch mit Fischköpfen.
Ich stelle mir weiterhin vor,
zwei solche Wesen,
oben Fisch und unten Mensch,
und unten Fisch und oben Mensch,
heiraten, in der Tiefe des Meeres,
und es gibt sogar Fotos darüber.
Selbst noch im Anzug und Brautkleid,
niemand könnte grotesker sein, einsamer,
als dieses Paar. Verlorener noch
als der Mann mit seinen Bettelmünzen.
Sandmenschen
Der Gürtel eines Königs des Baekje-Reiches, heißt es, sei verziert gewesen mit einem Schild, das einen Prachtkäfer zeigt. Staatsbeamte und Offiziere, Hofdamen und gemeines Volk hätten vor diesem Gürtel die Häupter gesenkt. Aber es gibt sie nicht mehr, und den Baekjekönig ebenso nicht.
Einen Sandmenschen hat es früher ebenfalls nicht gegeben, und auch in Zukunft wird er nicht existieren. Zwar gibt es Menschen, die so weich sind wie Sand, aber aus Sand sind sie nicht gemacht. Sand fällt auseinander. Sand verrinnt.
Dann gibt es mürbe, eingefallene Mumien, die aussehen, als wären sie aus Sand. Aber gibt es Embryos aus Sand? Mit den Wüstenmäusen verhält es sich ebenso. Viele werden zu Sand, aber aus Sand geformt sind sie nicht. Im Sand enden die Körper, die aus Sand nicht gemacht sind,