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Dea Loher
Bugatti taucht auf

Dea Loher

Bugatti taucht auf

Roman

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I.
Aus dem Tagebuch
von Rembrandt Bugatti

Dezember 1913

Ich bin mit Elise ausgegangen. Sie lachte mich aus, als ich sagte, was ich mache. Nicht direkt mit einem lauten Lachen, auch nicht mit einem Kichern, das kindisch gewesen wäre und uns beide verlegen gemacht hätte. Aber ich konnte spüren, wie sie zusammenzuckte, und dann lächelte sie mich an und sagte: »Das ist doch kein Beruf!«

Ich vermutete, sie würde abgestoßen sein von der Vorstellung, die sie zuerst haben musste, ich würde Modelle in meinem Atelier stehen haben, unbekleidet, wie soll sie wissen, dass die Anwesenheit eines weiblichen Körpers, der stundenlang zu einer bestimmten Pose gezwungen ist – zweifellos anstrengend für die Frau –, für mich in der Regel unglaublich langweilig ist, weil ich mich so sehr konzentrieren und beeilen muss, die ganze Figur in einer Sitzung zu modellieren, wenigstens im Groben. (Meine Arbeitsweise: ich will, dass sie nach einer Sitzung wieder verschwinden, den Rest schaffe ich aus dem Gedächtnis.) Freilich gibt es auch Ausnahmen. (Das unterschlug ich.)

Überlegte kurz, ihr zu sagen, dass meine Modelle nicht ganz nackt sind, sondern ich sie meistens bitten muss, die Strümpfe anzubehalten; der Anblick schmutziger Füße lähmt mich, und das schlechte Ohr rauscht.

Ich dachte, Elise würde es nicht verstehen oder sie könnte es missverstehen, beschränkte mich also darauf, anzudeuten, dass ich ein Atelier gemietet habe, mit Hugues zusammen, woraus sie wiederum bitte keine falschen Schlüsse ziehen solle – ich glaube, ich verhaspelte mich völlig in diesem Satz –, aber die meiste Zeit nicht dort, im Atelier, sondern im Freien arbeite, und zwar im Zoo, in den Ställen oder außerhalb der Gehege, wo ich die Tiere studiere.

Ich erzählte ihr von der Gruppe Flamingos, die ich gerade für den Bronzeguss fertiggestellt hatte, ob sie sie sehen wolle.

Sie sagte, Flamingos? Ja, meinte ich, Wasservögel mit streichholzdünnen Beinen, die in allen Schattierungen rosa bis hellrot gefiedert sind und mit einem dicken, krummen Schnabel fischen, indem sie den Kopf, der auf einem sehr langen Hals sitzt, quasi verkehrt herum ins Wasser hängen und den Schnabel aufklappen wie einen Topf. Ich versuchte, es körperlich darzustellen, was mir nicht gut gelang; ich sagte, Flamingos seien das zarteste Schönste, was man sich über einem Wasserspiegel vorstellen könne.

Sie sah mich seltsam an, musterte mich verschiedentlich von der Seite und sprach danach nicht mehr viel.

Meine Absätze fangen alle mit »ich« an (kein gutes Zeichen). Ich muss mehr unter Menschen gehen, mehr mehr.

Lud Elise ein paar Mal ins Café ein, nur am frühen Abend, um sie den Freunden vorzustellen, und das letzte Mal war sie nett zu mir; offensichtlich haben Hugues und Walter oder Clemente ein Wort für mich eingelegt; Elise lobte meinen tadellosen Anzug. Sie meinte es sicher gut, aber ich fühlte mich wie ein Hund.

Ich fragte sie, ob sie am Donnerstag zu dem Empfang beim Botschafter Crozier mitkommen wolle. Sie willigte ein.

Der Abend verlief freundlich. Elise lachte viel und schien sich gut unterhalten zu fühlen. Ich weiß aber nicht, ob es ihr ungelegen war, dass man sie und mich dort zusammen sah und in eine engere Verbindung brachte oder bringen könnte, als ihr vielleicht lieb war.

Andererseits: Sie ließ sich von mir nach Hause bringen. Ja, sie bat mich darum. Sie verlangte es sogar, um genau zu sein. Fast wäre ein Befehl draus geworden.

Ich gab ihr nur kurz die Hand, vor ihrem Haus, und ging schnell fort.

Fühlte mich miserabel. Obwohl sie, möglich, hätte ich sie küssen sollen, ich weiß nicht, mir war nicht danach zumute. Überhaupt nicht.

Wenn ich ihr beweisen muss, wer ich bin, welchen Sinn hat das.

Ich bin zerstreut.

Bin zerstreut.

Januar 1914

Dr. V. hat mir neue Tabletten verschrieben wegen des Gehörs. Die Entzündung flammt immer wieder auf, er nennt es nervöse Inflammation. Ich will ihn nicht mehr konsultieren. Es riecht nach Chloroform und Metall und kaltem Rauch bei ihm, sein Assistent hat schwarze Fingernägel, nicht Ränder, es ist vielleicht eine Art Lack oder eine Krankheit?

(Oder es hat ihm jemand den Klavierdeckel zugeschlagen.)

V. meint, mehr Bewegung würde die Melancholie vertreiben.

Selbst bei Regen bin ich draußen, abends stinke ich nach Mist, was will der Mann.

Manchmal schlafe ich im Elefantenhaus. Nachts die Geräusche, beruhigend, beruhigend.

Hugues fragt mich, was ich gerne mag. Geruch von nassem Kautschuk, wie bei Reifen (im Regen, auf Asphalt).

Walter hat mich gefragt, ob ich verliebt bin. Das ist schön von ihm. Er hat nicht gefragt, ob ich ein Verhältnis habe.

Trotzdem konnte ich keine Antwort geben.

Am Abend sagte ich zu ihm, was heißt das genau?

Er beschrieb es mir. Ich habe kein Verlangen danach, Elise zu berühren; gut, ich würde gern mit ihr schlafen, aber dazu dürfte ich sie a) überhaupt nicht kennen oder b) viel besser und länger als jetzt. Eine halbe Vertrautheit ohne Freundschaft macht jedes sexuelle Bemühen schäbig und klein. Was liebevoll sein sollte, wird eine Verrichtung. Wenn ich ein ehrenwerter Henker wäre, würde ich öfters zu Nutten gehen.

Sehnsucht habe ich nicht, im Gegenteil, ich bin unruhiger in Elises Gegenwart und froh, wenn ich wieder allein bin und keine Schmerzen ihretwegen (der vermeintlichen Ablehnung wegen) empfinde.

Was ich sonst dazu sagen könnte, kam mir lächerlich vor und kindhaft.

Also schwieg ich.

Eines aber ist wahr: ich rieche sie außerordentlich gern. (Nasser Kautschuk!)

Wenn sie nicht da ist, stelle ich mir ihren Geruch [fehlt: vor], was sehr schwierig, beinahe unmöglich ist, und seltene Male geschieht es, dass mir ein Duft in die Nase fliegt, der Ähnlichkeit mit ihrem hat, und das macht mich von einem Moment auf den anderen bodenlos traurig.

Gestern beim Spaziergang fragte mich Elise scheinbar nebenher, wie ich von der Kunst leben könne, und wie viel man im Allgemeinen in meinem Beruf so verdiene. Ich freute mich. Erzählte ihr von dem Vertrag mit Adrien Hébrard und seiner Galerie, die mir auf Jahre hinaus alles abnehmen wird, was ich schaffe – die Schwierigkeiten, die dies mit sich bringt, wollte ich ihr für den Moment ersparen –, von der Unterstützung durch den Zoo, dass ich das Kreuz der Ehrenlegion bekommen habe, ich erzählte ihr sogar von meinem Bruder, der die kühnsten und elegantesten Rennwagen konstruiert, die man sich vorstellen kann, und dass er bereits 200 Angestellte hat und im Elsass lebt. (Beschrieb ihr kurz den Elefanten, den ich für ihn formen will, merkte, dass die Figur noch zu unklar ist, brauche wie immer das Material.)

Das schien sie sehr zu interessieren. Ich lachte im Überschwang, Ettore, ich muss ihm schreiben, wir werden dich besuchen, zusammen.

In der Woche darauf, einen Tag, bevor wir mit dem Zug kurzerhand die Reise nach Molsheim antreten wollten, ließ sie mir ein Billett zukommen. Sie hat einen Mann kennengelernt, einen Patrick Poxx aus England, London, und sie wünscht keine vertraulichen Gespräche mehr mit mir.

Vor den Kopf geschlagen.

Wir hatten überhaupt nie vertrauliche Gespräche.

Wie soll ich Walter das erklären, wem kann ich meinen Kummer sagen –

in jeder Hinsicht unzulänglich

Februar 1914

Manchmal stelle ich mir vor, dass niemand etwas über mich weiß. (Keiner kennt mich.) Das Einzige, was man je über mich erfahren wird, was übrigbleiben wird, wenn ich gestorben sein werde, sind die Tiere.

Die Figuren der Tiere.

Sie, die man losgelöst von mir betrachten kann, aber dann so wird betrachten müssen, als würde man mich selbst sehen oder das, was der beste Ausdruck meines Lebens wäre, der getreueste, ohne Rätsel, ohne Geheimnis (sie sind, was sie sind: die Tiere).

Ich kann nichts anderes. Und ich kann so wenig. Wie froh ich war, damals in Mailand, als Vater zugeben musste, dass aus mir kein guter Naturwissenschaftler, kein Ingenieur werden könnte, und mich zu Troubetzkoy auf die Akademie gehen ließ.

[folgen 3 Zeilen durchgestrichen, unleserlich]

April 1914

Hoch über den Köpfen werden Käfige mit Schimpansen von Bord getragen, manche tot, ihre langen Arme hängen durch die Gitter der Käfige, die anderen, die lebenden, hüpfen auf den toten Leibern, kreischend, als könnten sie sie dadurch auferwecken, spielt nicht Unsinn, steht auf, wir sind angekommen, seht sie euch an, da sind sie und gaffen, die Belgier!

Fracht … [durchgestrichen] … Geier, kleine Ziervögel, Papageien, Pfauen; Wildkatzen aller Art, Geparden, Löwen, Tiger, auch Zibetkatzen, selten ein Schakal. Kisten: attention chargement vivant, andere: toxique. Paare, drei, vier, manchmal Rudel von Zebras, Antilopen, die mit Stricken aneinandergebunden sind; auch einen Vogel Strauß habe ich gesehen.

Es kommen auch unexotische Tiere im Hafen an, die Art von Gefangenentransport, die weniger oder gar keine Aufmerksamkeit erregt und nicht aus den Kolonien stammt: Zuchthunde, weiße Pudel für den Zirkus oder einfach nur Kühe und Hühner, Schafe, Schweine, Enten, Gänse, Tauben.

Und alte Pferde. Woher? Aus Irland, hieß es. Von den Bergwerken.

Da verschifft man sie extra hierhin, nach Antwerpen? Lebendes Fleisch, für den Schlachter.

Man kann aber die Rippen zählen.

Sie waren müde und reagierten kaum auf ihre Umgebung. Standen dicht zusammen, drängten sich aneinander auf eine seltsame Art, sie streckten ihre Köpfe über den Hals des anderen und legten ihre Hälse aufeinander, es sah aus, als ob sie ein lebendes Muster flechten wollten mit ihren Mähnen. Der Bewuchs an ihren Fesseln war nicht gestutzt, ausgebleichtes Blondhaar hing über die Hufe bis zum Boden, ihre Mähnen lang und filzig. Ich konnte ihre Augen nicht sehen, aber aus den Bewegungen schloss ich, sie wussten, was ihnen bevorstand.

Irische Windsbräute, in Pferdeleiber gebannt.

Wenn ich Geld hätte, hätte ich sie gekauft, vielleicht, in einen Wald nach Frankreich gebracht, oder zu meinem Bruder in die elsässischen Hügel, und dort freigelassen.

Ich hätte es nicht getan, ich bin nicht romantisch.

Und die Belgier lieben Pferdewurst. Mit Bier.

Nein, die Pferde haben natürlich keine Ahnung von ihrem Schicksal, wie sollten sie.

Nur uns, uns ist es nicht egal, ob wir eines natürlichen Todes sterben oder geschlachtet werden.

Und unsere Gesichter, manchmal, oft, sagen sie, gebt mir Zeit, helft mir ein bisschen, schwarz ist die Kirche um mich.

Aber diese Gesichter wollen wir niemandem zeigen, die Scham versteckt sie.

Mai 1914

Etwas Schreckliches ist passiert. Heute Morgen wussten wir nichts davon, heute Abend sitze ich hier, etwas hat sich verändert, es ist nicht rückgängig zu machen.

Clemente und Walter hatten sich das Auto von Clementes Onkel geliehen, einen Zweisitzer, Walter ohne Erfahrung. Sie sind für eine Woche nach Brüssel gefahren, um Clementes Schwester zu besuchen (der Mann leitet eine Brauerei, sie hat gerade das zweite Kind bekommen). Sie fahren zum Spaß den Boulevard Anspach hinauf und hinunter, Clemente jauchzt, schneller und schneller, hinauf und hinunter zwischen den Häusern, die Passanten sehen hinterher, dann in die Rue du Midi, zum Spaß, hinauf und hinunter, weil es ein sonniger Tag ist und warm, und Clemente ruft, los, wir machen ein Rennen, wir überholen, es sind nicht viele Autos unterwegs außer ihnen, Clemente später: Walter war ganz versunken, Walter – vielleicht hörte er sie gar nicht, er war mit Schalthebel, Gaspedal und Bremse beschäftigt –, Walter, wir müssen überholen, schneller, Clemente ist aufgedreht, sie sagt: ja, ich habe das Lenkrad angefasst, er hat mich ja nicht gehört, ich wollte nur ein Signal geben, wir müssen überholen, er sah mich böse an, kurz und böse, und beschleunigt und zieht auf die andere Straßenseite und überholt und zurück auf die Fahrspur und wir jagen davon, das andere Auto hinter uns lassend, und da – schwarz in der Sonne aufblitzend, schießt der Mann auf seinem Fahrrad auf die Straße, von rechts schießt er plötzlich auf die Straße, aus der einzigen abschüssigen Gasse weit und breit, Walter reißt das Lenkrad herum und steigt mit Wucht auf die Bremse, ein ekliges hohes Geräusch, etwas explodiert in unsere Seite, das Auto scheint einen Moment lang hochzurucken und ein Stück über das Pflaster geschoben zu werden.

Der Mann, der Mann fliegt durch die Luft über uns hinweg und schlägt auf der anderen Seite aufs Pflaster. Sagt Clemente immer wieder.

Er hatte einen Hut auf, sagt sie, ich habe es gesehen, er trug einen Strohhut. Wo ist der Hut jetzt. Wie heißt der Mann. Er hat nichts falsch gemacht. Wir standen quer auf der Straße. Er war sofort tot, sagt Clemente. Es war so. Wir konnten es sehen. Wir saßen im Auto, jeder auf seinem Platz, dann machten wir die Türen auf und stiegen aus und standen auf der Straße neben dem Auto, und wir sahen den Mann, wie heißt er, auf dem Pflaster liegen. Und ich schwöre, jeder von uns beiden wusste in diesem Moment, dass er tot war. Gerade eben hatte er noch gelebt, jetzt, dreißig Sekunden später, war er tot. Nicht, weil er sich nicht bewegte, und nicht, weil es unbequem aussah, wie er dalag, aber wir spürten, dass etwas passiert war, das nicht widerrufbar war. Ich sah Walters Gesicht an, neben mir, ich sah sein Gesicht an, damit ich nicht mehr die Straße ansehen musste und den Mann, der dort lag und von dem wir nicht wussten, wie er hieß. Walter bewegte die Hand und wischte einen Faden Blut fort, der aus seiner Augenbraue gelaufen kam.

29. Juni 1914

Während ich im Atelier an dem Elefanten arbeitete, kam Hugues hereingestürzt, eine Zeitung in der Hand. »Auf dem Balkan knallts«, sagte er. Was das heiße. In Sarajevo seien der Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau erschossen worden. Es heißt, ein Student war es, er wird als bosnischserbisch bezeichnet und soll Nationalist sein. Angeblich hat er versucht, Zyankali zu schlucken. Er wollte erreichen, dass die Wiener abziehen und Serbien herrsche.

Der Elefant steht aufrecht auf den Hinterbeinen, die Vorderbeine in der Luft; in einer ersten Form hatte ich ihm einen Baumstamm gegeben, an dem er sich mit den Vorderfüßen abstützte; dann nahm ich den Baumstamm weg und es sieht aus, als ob der Elefant tanzt. Es wird eine kleine Bronzefigur, nur einen viertel Meter hoch, aber groß genug für einen Kühler. Ein Elefant für ein Auto.

Der Elefant soll dich begleiten, Ettore, das wünsche ich mir, darum bitte ich dich.

Er ist das Lebendigste, was mir gelungen ist,

die Lebensfreude

etwas Besseres [unleserlich] nicht für dich

Juli 1914

Elise ist blind. Sie hat mich nie gesehen, sie kennt nur meine Stimme. Auch Patrick hat sie nie gesehen, auch von ihm kennt sie nur die Stimme. Sie hat also meiner Stimme nicht den Vorzug gegeben, und ich weiß nicht, was sie hört, wenn Patrick spricht, oder was er sagt, mit seiner anderen Stimme, die sie glauben macht, sie liebe ihn.

So oft habe ich mir vorgestellt, wie ich ihre Hände auf den Löwen oder Tiger legen würde, der Löwe oder Tiger, der erst noch zu formen wäre, und sie mit ihren Fingern ahnen könnte, besser, als ich es je sehen würde, wohin die Linie sich schwingen müsste.

Anfang August 1914

So viele sinnlose Dinge, täglich, die Hauptarbeit besteht darin, sich der Sinnlosigkeit entgegenzustemmen, dem »vergeblich« irgendetwas entgegenzusetzen, und seien es dumme [unklar, evtl. auch »dünne«?] kleine Tierfiguren.

Ich höre nicht mehr so gut, glaube ich. Früher habe ich die Elefanten trompeten hören, auch wenn ich vorne in der Großen Halle war oder hinten im Aquarium. Heute höre ich sie erst, wenn ich bei den Flamingos, bei den Vögeln oder bei den Affen bin. Und die Elefanten, so viel kann ich sagen, trompeten laut, wenn auch nicht oft.

Das Ultimatum, das die Deutschen der belgischen Regierung gestellt hatten, ist gestern abgelaufen. Heute sind die ersten Truppen über die Grenze marschiert. Wie können sie die belgische Neutralität einfach ignorieren? Was wird Ettore tun, im Elsass, was soll aus ihm und seiner Fabrik werden, wenn die Franzosen in den Krieg eintreten?

Ende August 1914

Ich sollte schon längst fertig sein mit dem Panther. Hugues, Walter und die anderen, oft sind sie … [unleserlich] … oder erstaunt, weil ich schnell bin, schneller als sie, das sagen sie oder es kommt ihnen so vor, für mich ist meine Langsamkeit eine Bürde, eine der größeren.

Wie viel Zeit habe ich

noch

Es kommt mir so vor, seit ich in Antwerpen bin – seit 1907, macht also sieben Jahre –, als würde sich die Zeit immer mehr verlangsamen; anfangs, das erste halbe Jahr, die ersten vier Monate oder zwei, da beschleunigte sich alles. Bis ich die erste Gruppe der Pferde fertig hatte, seither geht es wenig, zu wenig rasch, die Sekunden bleiben stehen, sie balancieren auf der Spitze, bis eine umfällt, es vergeht eine Stunde voller Atemzüge.

Ein Tag

Soldaten kommen zurück.

Erst die Pferde, jetzt die Soldaten.

Lüttich wird bombardiert, die Deutschen sollen eine monströse Kanone haben.

Aus Leuven haben sie über tausend Menschen verschleppt, heißt es, zivile Bürger.

Jeden Tag neue Verwundete. Sie bringen sie in den Zoo, in die Marble Hall, die Schwerverletzten werden im Erdgeschoss untergebracht, die noch selber gehen können, kommen nach oben, Stufe für Stufe, sie stützen sich auf das Geländer, die Treppe ist breit, aber so hoch. Walter und ich, wir melden uns beim Roten Kreuz. (Es ist jetzt nicht die Zeit, Tiere zu formen, sage ich zu Clemente, die mich fragt, warum, wahrscheinlich hat sie Angst um Walter, diese Dummheit, dieses kleine gepresste Flehen in ihrer Stimme ertrage ich nicht, ich würde am liebsten eine der Vasen in ihrer Wohnung auf dem Boden zerschmettern.) Walter: Ich glaube, er sieht es als Buße für den getöteten Mann und nimmt es als die Strafe, der er de jure entgangen ist?

Die Tiere sind wichtig, die Skulpturen nicht.

Die Kranken immerhin, sie leben noch.

Schusswunden, Stiche tief ins Fleisch (Säbel, Messer, Bajonette), Granatsplitter.

Es soll Tränengas geben.

Gas, ich werde den Leutnant P. fragen, wie sie das einsetzen und wie es wirkt.

Ich sehe, dass sie Mund und Mund öffnen und öffnen, rechts höre ich kaum etwas wegen der lymphatischen Inflammation, gewöhne mir an, den Kopf auf die linke Seite zu drehen, egal wer mit mir spricht oder an wem ich vorbeigehe, Hugues sagt zu mir, ich sehe argwöhnisch aus, ich erkläre es ihm oder versuche es, die Seite, die ich scheinbar abwende, wende ich in Wirklichkeit zu, ich verdrehe mich im Gehen, verkrümme mich, da kommt der seltsame Vogel in Schwarz, sagen sie hinter mir, immer in Schwarz, oder neben mir, aber ich höre es nur, wenn ich zufällig auf der richtigen Seite aufmerksam bin.

Sollen sie froh sein, das Weiß der Sanitäter – jetzt auch unseres – ist erschreckend, jeden Fleck, jede Farbe macht es sichtbar, wie Malerkittel sehen sie aus, die Farben nicht von der Palette, sie kommen aus den Körpern.

Da ist ein Junge, dem sie die Nase weggeschossen haben, ein Gazestreifen wird über die Öffnung gelegt und beidseits auf den Wangen festgeklebt, solange die Wunde nicht verheilt ist und sich infizieren könnte. Ich frage mich, wie sie je verheilen soll, das Loch wird bleiben, er wird Luft nie mehr filtern können. Frage, ist das überlebensnotwendig; Antwort, vermutlich nicht. Im Ärztezimmer im ersten Stock das Handbuch der Kriegschirurgie, ich stecke es ein, nehme es mit nach Hause; am andern Morgen bringe ich es zurück; was, wenn der Arzt nachschlagen muss?

Hugues sagt, sie geben Laute von sich, unentwegt, Schreie nicht, das Morphium wirkt, solange wir haben, geben wir, aber ein Stöhnen, zu leise für mein Gehör, die Last will wegge[unleserlich, evtl. furzt] werden.

September 1914

Manchmal wache ich in der Nacht auf und weiß nicht, wo ich bin. Manchmal träume ich und weiß im Traum nicht, wo ich bin. Manchmal wache ich im Traum auf und weiß, es ist ein Traum, aber ich weiß nicht, wer ich bin. Ich brauche verschieden lange, um meine Verwirrung verstreichen zu lassen, ohne dass ich panisch werde; ich habe versucht, mir anzutrainieren, nicht panisch zu werden. Ich versuche, mein Denken zu verlangsamen und ganz sachte zur Lösung der einen, einzigen Frage zu bewegen: wer bin ich und wo? Meistens gelingt mir das in einem akzeptablen Zeitrahmen, sagen wir, innerhalb einer halben Stunde. Wahrscheinlich sind es in Wirklichkeit nur wenige Minuten. Kompliziert wird das alles nur dann, wenn ich zufällig auf die Uhr sehe, und sie zeigt eine Uhrzeit an, die nicht stimmt, die ich aber zufällig für richtig halte. Beispielsweise, ich weiß, wer ich bin, aber nicht wo, und da ich weiß, wer ich bin, ist mir bewusst, dass ich um 15.00 Uhr am Bahnhof sein müsste. Die Uhr zeigt 15.00 oder ich lese die Uhr so, als würde sie 15.00 zeigen, in Wirklichkeit, wie sich später herausstellen wird, nachdem ich überstürzt aus der Wohnung und auf die Straße gelaufen bin, ist es erst 9.00 Uhr morgens, und deshalb trage ich einen Schlafanzug.

Diese Dinge gehören schließlich zu einem normalen Leben; es wäre unwahrscheinlich, dass ein Gehirn jederzeit Träumen und Wachen, Wunsch und Erfahrung voneinander unterscheiden kann. Dennoch wünsche ich mir sehr, ich hätte eine klarere Form, was mich und meinen Aufenthaltsort betrifft. Ich wünsche mir, mich besser wiederzuerkennen, jederzeit. Zu wissen, wo ich bin und warum. Weil mir dies nicht gelingen kann, würde ich mich am liebsten in einen Olivenbaum verwandeln.

Elise hat sich mit diesem Engländer verlobt, Mr. Poxx, und letzte Woche bekam Walter als Einziger, aber stellvertretend für uns alle, die Heiratsanzeige. Sie wohnen jetzt in London und auf dem Land in Berkhamsted, und das Wetter ist für diesen Herbst ausgezeichnet. Mr. Poxx arbeitet bei einer Bank, und Elise wird einstweilen keiner Tätigkeit nachgehen, die sie außer Haus führen würde. Der Garten scheint groß zu sein. Nichts vom Krieg.

Oktober 1914

Der Botschafter Crozier drängt mich, fortzugehen mit ihm. Ich muss wohl. Die dt. Truppen werden jeden Tag in der Stadt erwartet. (Crozier wird nach Paris gehen, ins Außenministerium.)

Ettore schreibt mir, er hat seine Familie schon nach Mailand gebracht, ich soll sie dort treffen. Ob seine Fabrik stehen bleibt. Oberstes Ziel der Franzosen: Elsass zurückerobern.

Mitte November 1914

Drei Wochen in Mailand, schon werde ich unruhig. Ettore treibt die Sorge um die Fabrik, er denkt nur an die Arbeit, die Erfindungen. Ein paar Autos hat er nach Italien gerettet, Motorenteile im Elsass zurückgelassen, sie im Molsheimer Garten vergraben. Wie wichtig ihm diese Dinge sind.

Ich beneide ihn um seine [unleserlich, evtl. Haftung oder Haltung] in der Wirklichkeit.

[3 Worte durchgestrichen]

Tue ich das?

Ende November 1914

Ich kann nicht in Mailand bleiben. Es ist alles kindlich und Vergangenheit. Ich will wieder nach Paris, ein Atelier finden, untertauchen, arbeiten, alleine sein.

Ettore sagt, er kommt nach. Er wird mit Barbara und den Kindern in ein Hotel ziehen, das sei praktischer, und er will für die französische Regierung arbeiten (Motoren für Kriegsflieger, soweit ich es verstanden habe). Es gelingt mir nicht, ihm zu widersprechen.

Ich versuche, von den Verwundeten zu sprechen, versuche, von den Verwundeten zu sprechen.

April 1915

Ich musste sie mit meinen Händen spüren, das Fell, die Federn, die Schnauze, den Schnabel, die Krallen, die Hufe, ich musste sie nachformen und beeilte mich, sie lange anzusehen. Stunden. Tage. Jede Linie. Jetzt bin ich weit fort.

Ich wäre gern ein anderer gewesen, einer, für den nicht das Leben voller Tücken und jeder Tag voller Hindernisse ist.

Mai 1915

… dass alles immer weitergeht, Frühling nach Winter nach Sommer nach Frühling undsofort, endlos, das hat mich erschreckt, solange ich denken kann. Für manche Menschen mag diese Routine des Wiederkehrenden tröstlich sein, für mich ist sie der Beweis, dass es kein Entkommen gibt.

September 1915

Heute Vormittag habe ich in der Kirche Sainte Madeleine zufällig Minerva getroffen. (Die Minerva aus Mailand, die ich seit Jahren, ca. zwölf, nicht mehr gesehen habe.) Hätte sie nicht erkannt, sie sprach mich an, sie hat erst vor kurzem einen Artikel über meine Arbeit (Ausstellung bei Hébrard) gelesen und freute sich, mich wiedergefunden zu haben. (Das sagte sie, wiedergefunden – »retrouvé«.)

Ihre Eltern sind schon vor dem Krieg nach Paris gezogen. Der Vater arbeitet bei einer Privatbank, Minerva hat mir alles erzählt, ich habe keinen Sinn für die Details dieser Geldgeschäfte, aber Minerva ist an allem interessiert, auch an der Börse. Sie ist wie früher, nur größer. Mir kommt es tatsächlich so vor, als sei sie um ungefähr 10-15 cm gewachsen. (Sie trug lange Hosen, die die Schuhe verdeckten.) Sie war so groß wie ich, aber beinahe größer. Es war seltsam. Ich fragte sie nach einer Weile, ob ihr das auffalle. Sie lächelte und gab zu, eine Gliederverlängerung gemacht zu haben. Die Beinknochen werden durchtrennt, zwischen Metallschienen gespannt und mittels Schrauben immer mehr auseinandergezogen, man zwingt den Knochen, mitzuwachsen. Bei ihr hat es gewirkt. Ich wusste nicht, ob ich ihr glauben sollte.

Es muss fürchterlich schmerzen, sagte ich.

Nur wenn ich stehe oder gehe, sagte sie.

Wir küssten uns, noch auf der Straße. Es geschah alles rasch und ohne Überlegen. Ich hätte sie am liebsten sofort mit nach Hause genommen und ausgezogen. Ich nahm sie mit nach Hause, und ich zog sie aus, nicht mal Zeit, die Vorhänge zu schließen, und sie ging mit und sie ließ sich ausziehen, und sie zog mich aus, und ich ließ mich auch ausziehen.

Drei Tage. Ich dachte zum ersten Mal, wie es wäre, ein Kind zu haben, oder sogar viele, und noch mehr, Rausch, Familie. Ein Gefühl wie nie vorher. Herzhämmern, und Blut tost im ganzen Körper.

Vielleicht kommt das Intensive, weil wir uns nicht neu sind, sondern uns von früher kennen und uns jetzt wiederentdecken (redécouvrir). Was habe ich vermisst. Das Vertraute tut so wohl, es ist wie in Honig und Ziegenmilch zu baden.

(Ich habe keine Ahnung, wie es ist, habe ich noch nie gemacht, aber ich werde es herausfinden.)

Der Himmel ist hoch und ich kann durch ihn hindurchfliegen.

Oktober 1915

Minerva sagte, ich solle mit zu ihr nach Hause. Ihre Familie ist sehr reich. Ich wusste nicht, was ich anziehen soll. Ich musste mir Geld bei Ettore leihen, für ein Hemd. Ich wollte, dass es etwas Besonderes ist. Ich wollte es aus cremefarbener Seide. Als ich es beim Schneider anprobierte, erschien mein Gesicht im Spiegel gelb.

Es sollte ein Abendessen im Familienkreis sein, wie man so sagt. Minervas Bruder Roberto hatte seine Verlobte eingeladen, ich habe ihren Namen vergessen, sie sind schon seit drei Jahren verlobt, oder vier oder fünf, seit sehr vielen Jahren sind sie verlobt, und bald wollen sie heiraten. Clarice, die jüngere Schwester, hatte einen Freund mitgebracht, den sie Pelle nannte und der Schwedisch und ein irgendwie lallendes Französisch spricht (als hätte er eine Verdickung in der Zunge). Aber beim Essen benahm er sich normal. Und Minerva hatte mich eingeladen. Und Alexandre. Sie stellte uns vor: »Das ist mein Geliebter Alexandre, und das ist mein Geliebter Rembrandt.« Alle lachten, auch Alexandre. Es schien nicht das erste Mal zu sein, dass sie ihn vor der Familie so nannte. (Sie sagte wirklich »mon amant«.) Niemand schien etwas dabei zu finden.

Ich lachte nicht, Minerva fragte mich, warum ich ernst wäre; ich sagte, ich müsse mich aufs Essen konzentrieren.

Während des Hauptgangs sagte Monsieur Pellotti zu mir: »Da Sie jetzt der Geliebte meiner Tochter sind, sollten Sie eines wissen: bei uns zählt die Emotion, immer die Emotion, das Herz, der Respekt.« Ich nickte. Er: »Wir haben sehr viel Geld, mein Lieber (mon cher), noch mehr Geld als wir in Italien hatten, und wie es aussieht, und wenn alles gut geht, werden wir nach dem Krieg noch einmal mehr haben, aber eines ist gewiss: das Geld zählt, das Geld zählt, es ermöglicht uns, Menschen zu sein.«

So einen Unsinn redete Pellotti; wenn er mein Vater gewesen wäre, hätte ich mich geschämt. Fehlte noch, dass er sagte, Geld heilt unsere Gedanken oder etwas Ähnliches.

Und dann fragte er mich: »Und was zählt für Sie, Rembrandt, was ist das Wichtigste in Ihrem Leben?«

Ich war drauf und dran zu sagen, »meine Arbeit, die Kunst«, aber damit hätte ich einen Verrat begangen, und ich fand, dass die Schüsseln mit Rinderbrühe, die Platten mit dem Fleisch der Schweine, die Crème brulée, das Porzellan, die Teppiche und die Lüster (und die Gesellschaft dieser Leute) einen Verrat nicht wert waren, und selbst Minerva, von der ich in diesem Augenblick nichts mehr wollte, als dass sie wieder jung wäre, 19, und wie früher, oder in einer anderen Familie aufgewachsen, und die möglicherweise einen Verrat wert wäre, wäre aber nicht diesen Verrat wert.

Und deshalb sagte ich: »Die Zeit. Ich glaube, die Zeit ist mir das Wertvollste.«

Sie schwiegen. Niemand sagte etwas darauf. Sie aßen unbeteiligt weiter, und es war so, als hätten sie mich nichts gefragt und ich hätte nichts geantwortet.

(Aber später sollte es viel schlimmer kommen.)

Nach Tisch gingen Roberto und seine Verlobte auf die Terrasse hinaus, wo sie sich, ohne zwischendurch Luft zu holen, eng umschlungen küssten, stundenlang, wie es schien. Clarice und Pelle küssten sich auch, und zwischendurch rauchten sie zusammen jeweils eine Zigarette – sie zogen abwechselnd daran – und spielten Billard, sie benutzten abwechselnd dasselbe Queue. Und Minerva küsste Alexandre im Sitzen, damit es ihren Beinen nicht so weh täte. Wir saßen zu dritt auf dem Sofa im Billardzimmer, sie in der Mitte natürlich, Minerva wollte auch mich küssen; die Eltern, eine Tante und eine sogenannte Schwiegermutter (wessen weiß ich nicht) saßen im Salon und sahen durch die geöffnete Tür herüber, und es fehlte nur, dass sie uns zuwinkten und sich dann auch alle küssten.

Ich stand auf und lief weg.

Am andern Tag erst merkte ich, dass ich meinen Mantel dortgelassen hatte. Mein Kopf brannte. Ich bekam Fieber und legte mich ins Bett.

Minerva schickte einen Boten, ob es mir gutgehe. Sie wollte sich für nichts entschuldigen. Sie liebe mich, ich hätte ihre Liebe ganz, zum Glück sei das so, dass die Liebe für zwei Menschen ja eine verschiedene und unteilbare sei, und dass sie – die Liebe – deshalb praktischerweise so oft zu vergeben sei, wie man es zeitlich noch handhaben könne.

Ich beruhigte mich.

Vielleicht hatte Minerva recht. Ich wollte nicht egoistisch sein.

Ich schrieb ihr, es sei nichts zu vergeben. Sie solle mir bitte meinen Mantel schicken. M.s Antwort: Hol ihn dir doch!

November 1915

Ich habe Minerva wiedergetroffen. Ich sagte ihr, sie könne so viele Männer lieben, wie sie wolle, aber ob diese meine Freunde werden könnten (oder müssten), das wisse ich nicht, ich bräuchte ein wenig Zeit, um mich an den Gedanken zu gewöhnen.

Minerva fragte mich, ob ich einen anderen Mann lieben könnte.

Mein Kopf brannte. Ich fragte sie, was genau sie damit meinte.

Sie sagte, alles.

Ausschließen könnte ich es nicht, war meine Antwort.

Minerva küsste mich auf das schlechte Ohr, sie küsste das Ohr lange und leidenschaftlich oder was sie dafür hielt. Es war hinterher nass, zerbissen und tat weh. Ich fühlte mich ausgehöhlt.

Nachts träumte ich von Soldaten ohne Beine. Sie lagen in der Marble Hall und schrien und zeigten ihre Stümpfe, manche umwickelt, manche blutig, ohne Verband.

Sie schrien ganz leise, aber unter großer großer Anstrengung; sie versuchten, so laut wie möglich zu schreien, aber es gelang ihnen kaum ein Flüstern.

Es ist bitterkalt und es schneit, aber Minerva bestand darauf, dass ich den Mantel selber abholte.

Also ging ich hin, wieder am Abend. Wieder waren alle da, die Eltern Pellotti hatten in der Halle auf mich gewartet, so schien es. Monsieur Pellotti sagte, »cher Rembrandt, Sie kommen, um Ihren Mantel abzuholen, bitte gerne, suchen Sie ihn doch.«

Ich sah ihn sprachlos an wie in einem Traum.

Ich fasste an mein Ohr.

Madame Pellotti, über meine Schwerhörigkeit im Bilde: »Lieber, Sie haben recht gehört, wir wünschen uns, dass Sie ihn suchen. Und wir werden Ihnen dabei helfen.«

Roberto, der dazugekommen war, ergänzte: »Wir machen ein Spiel daraus.«

Clarice: »Ja, lasst uns spielen.«

In diesem Moment holte Monsieur Pellotti seine Brieftasche aus der Innentasche des Jacketts, nahm ein paar Scheine heraus und legte sie auf den Tisch für die Visitenkarten; an der Größe konnte ich erkennen, dass es sich um 100-Francs-Scheine handeln musste. Es sah so aus, als ob er eine Belohnung ausloben wolle für den, der den Mantel finden würde. Aber im selben Moment wies ich mich innerlich zurecht, ich dachte, ich hätte verleumderische und unchristliche Gedanken, und ich schämte mich fast.

Minerva trat auf die Galerie hinaus, sie sah zu uns herunter, sie machte keine Anstalten, zu uns zu kommen; sie rief mir von oben zu: »Du kannst das Geld nehmen, mon amant, nimm es, und gehen und dir davon mehr als einen Mantel kaufen, das kannst du, du kannst das Geld nehmen und gehen, denn du weißt nicht, ob du deinen Mantel wiedererkennen würdest, wenn du ihn finden würdest, oder was einer der anderen mit ihm tun würde, wenn er ihn vor dir findet –.«

Ich war zu verwirrt, um über den Vorschlag nachdenken zu können, stattdessen sagte ich: »Wo ist Alexandre?«

Minerva beugte sich über die Brüstung und sagte: »Er spielt nicht mehr mit. Du bist allein übrig.«

Aber da tauchte Alexandre hinter ihr auf und stellte sich, als ob nichts gewesen wäre, neben sie.