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Fritz Rudolf Fries

Dienstmädchen und Direktricen

Roman

 

 

 

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First we take Manhattan,

then we take Berlin.

Leonhard Cohen

Inhalt

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Impressum

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Erstes Kapitel

Nach siebzehn Uhr, an Werktagen, kamen die Blondinen. Sie kamen einzeln, überquerten die Straße, ohne auf den Verkehr zu achten, sie liefen schneller oder langsamer, doch immer so, als würden sie verfolgt oder erwartet, sie verzögerten oder beschleunigten den Schritt, als wüßten sie nicht, was ihnen lieber wäre, verfolgt oder erwartet zu werden. Einige verschwanden in den Eingängen zur Untergrundbahn, andere in Haustüren, die meisten aber liefen wie um die Wette, wobei sie dann und wann auf ihre Armbanduhren schauten, die ihnen genügend oder zu wenig Zeit einräumten, Anschlußzüge zu erreichen oder Abmachungen einzuhalten. Keine stieg in ein Auto, in ein Taxi. Ihr Alter war unbestimmt; die Art, ihr Haar zu tragen oder zu färben, machte sie alterslos. Ich liebte, am Fenster meiner Wohnung in der fünften Etage stehend, die ganz Jungen, in ihrer herausfordernden Körpersprache, in der gewissen Gleichgültigkeit, wohin der Weg sie führte, abgelenkt auch von den Signalen ihres eigenen Körpers, dem Schmerz in den Brüsten, der Unruhe vorzeitiger Regel. Sie bewegten die Lippen, als kauten sie Gummi, lutschten Bonbons oder als sängen sie nur so vor sich hin, und wer immer ihren Weg kreuzte, wurde übersehen. Vor den Auslagen blieben sie zuweilen stehen, und vor den Eingängen der Kinos zögerten sie eine Weile, ob sie sich die Fotos in den Glaskästen und im Kassenraum ansehen sollten.

Warum warte ich jeden Tag auf die Wiederholung ihrer flüchtigen Erscheinungen? Der Beobachter, heißt es, sieht nichts? Unsinn, er blickt in seine eigene Geschichte.

Allah möge mir meinen Mord verzeihen, es war ein Mord aus Liebe, und dazu an einer Ungläubigen. Aber – woran wird auch sie geglaubt haben, wenn nicht an die Liebe? An eine Karriere als Schlagersängerin, Model, Geliebte eines Moguls? All das habe ich ihr versprochen, und es war Lüge. Was mich interessierte, war ihre zarte sommersprossige Haut, ihre sich widerstrebend öffnende blond gelockte Scham. Der Liebesmord im Affekt ist die größte Huldigung des Mannes an die Schönheit und Einmaligkeit der Frau. Ein Satz, der im Koran stehen sollte. Ich fürchte, er steht höchstens in den Aufklärungsbüchern der Christen am Beginn ihrer sexuellen Emanzipation, oder wie immer sie den Zustand der Hemmungslosigkeit nennen, an dem wir heute zugrunde gehen. Die Normalität ist Konsum, verlogene Welt, Diktatur des Mannes über das Weib, wie in unseren, oder Diktatur der Frau über den Mann wie in den angelsächsischen Ländern.

Nach siebzehn Uhr stehe ich am Fenster. Ich sehe, ich wähle aus, ich berausche mich am Licht über den feinen, von ihren Friseusen modellierten Köpfchen, ich erkenne ihren Willen, sich einer Mode untertan zu machen, ich beuge mich aus dem Fenster; gewiß, ich kann mich beherrschen, ich bin kein pfeifender Halbstarker, nur meine Sehnsucht wächst von Tag zu Tag, diese vom Teufel oder von Gott uns gegebene Ergänzung zu unserem spröden Fleisch wieder in Händen halten zu können, ihr Stöhnen zu hören, ihre Säfte um meine Finger zu spüren, endlich mein Glied in ihre Spalte einführen zu können, und möge es ihr schmerzhaft sein –, und im Höhepunkt der Ekstase meine Hände um ihren Hals zu legen.

 

Meine Geduld wird belohnt. Jetzt kommen sie, auf die ich gewartet habe, die drei Schwestern – sind es Schwestern? –, die auf der anderen Straßenseite das Hotel gekauft haben, die Ruine, für eine Mark zu haben, die abgewickelte Entbindungsstation einer anderen Zeit, für 15 Millionen Euro Bankkredit zum Hotel hochzupäppeln, sofern man fünf Millionen flüssig hat. Sie wissen nicht, die blonden Damen aus der Ukraine, aus Bulgarien oder Moldawien, daß ich ihnen das Geld flüssig gemacht habe, oder genauer meine Auftraggeber.

Die Jüngste heißt Laura. Woher ich das weiß? Womöglich habe ich die Gespräche mit ihren Schulfreundinnen belauscht. Die Namen der beiden anderen sind zum Verwechseln, wie ihre Gestalt; denn wer ist Ira und wer Irina? Sie rufen sich beim Namen in ihren unbekümmerten Gesprächen von einer Straßenseite zur andern. Seit Tagen beobachte ich Lauras Gänge durch die Stadt, und wie sie von ihren Verwandten mit Aufträgen ausgebeutet wird.

Zweites Kapitel

Einst gab es Krieg zwischen den Hellen und den Dunklen. Es gibt diesen Krieg noch immer. Nur in einer neuen, kaschierten Form. Die Verwandlung der Braunen und Schwarzen in den hellen Schein der Verführung, der Herrschaft, der Oberklasse – alles eine Frage der Chemie und der richtigen Tinktur. Die Blonden überleben, sagt man in Israel. Gibt es eine Norm für blonde Frauen? Jede Tönung ist anders, wie das Licht, das im Laufe des Tages zu- oder abnimmt. Es ist die Farbe des Erfolgs, in der Liebe, in der Macht, womöglich eine Erfindung des Schwarz-Weiß-Films – die Farbe der Garbo, Sieg des Göttlichen in den Studios von Hollywood, Farbe der Verführung in den Bildern einer Tamara de Lempicka und in diesem verhangenen Berlin die Farbe der Zuversicht, welche die Zuversicht der Werbung ist.

Laura auf ihren Wegen durch die Stadt entdeckt die Friseursalons, in die man sie nicht schickt. Sie hat ihre Aufträge in den Kaufhallen zu erfüllen, in diesen Paradiesgärten und Oasen der Steinwüste. Ihre Schwestern, oder wer immer sie sind – das Komitee hüllt sich in Schweigen –, sind dabei, ein Hotel einzurichten, 80 Betten, schätze ich, da braucht es Bettwäsche, Matratzen, Decken. Es soll ein einfaches Hotel werden, eher ein Landgasthaus für Durchreisende. Am Ende werden sich die Völker hier einnisten, deren Vorboten die drei Frauen sind, man wird die Küche und ihre Angebote danach ausrichten müssen, die Mehlspeisen und Borschtschsuppen des Ostens anbieten, den Hammelbraten des Orients und die Süßspeisen des Südens für den Schluß einer abgerundeten Mahlzeit, und wer wird den Kaffee so zubereiten, wie man ihn in Lissabon, Istanbul oder Odessa trinkt?

Mein Auftrag wird sein, mich bei der Auswahl der Köchinnen, Köche, Zimmermädchen und Putzfrauen nützlich zu machen, um künftige Bastionen ausbauen zu können, denn auf die Gäste wird am Tag X kein Verlaß sein.

Noch ist diese künftige Herberge zwischen Park und Stadtbahn eine Ruine. Einst mischten sich die Schreie der Frauen und der Kinder hier mit den Sirenen der Stadtbahn. Wie viele Kinder kamen hier zur Welt: Irgendwo wird es vermerkt sein. Wird man die Bettgestelle der Wöchnerinnen gebrauchen können? Wohl kaum. Von meinem Fenster aus beobachte ich die Entrümpelungsaktion, von Ira und Irina angeleitet, beide in Overalls steckend. Sind es Schwestern oder Mutter und Tochter?

Meine Auftraggeber kümmern sich nicht um derlei Feinheiten. Mit Sorge kalkuliere ich, daß am Ende der Kredit nicht reichen wird und der ganze Kasten aussieht, wie aus einer Sofioter Vorstadt hergeholt, gemütlich und von Wein- und Knoblauchschwaden durchzogen, aber es wird nicht das sein, was sich die Zugezogenen unter westlichen Verhältnissen vorgestellt haben, zumindest die Bar im Foyer muß mit Spiegelglas und einer Batterie Flaschen blenden, und sei es, daß man die Flaschen mit gefärbtem Wasser füllt, und die Werbetableaus müssen viel nacktes Fleisch zeigen und strahlende Blondinen, die Gläser mit diesem blonden deutschen Bier hochhalten.

Zu überlegen wäre, in Absprache mit meinen Auftraggebern, ob ich mich nicht als Installateur anbieten sollte, an statt Laura nachzustellen und die Aufmerksamkeit von Kaufhausdetektiven und verkappten Polizisten zu erregen. In diesem Land, wo Kinder mehr als sonst auf der Welt von ihren Eltern mißhandelt werden, hat die Polizei ein besonders scharfes Auge auf jeden einsamen Passanten gerichtet, zumal auf einen, der wie ich seine dunkle Herkunft nicht verbergen kann. Und so wechsle ich die Straßenseite, wenn ich Laura aus einem Kaufhaus kommen sehe, mit Prospekten und Werbematerial beladen, und ich drehe mich um, schaue ins nächste Schaufenster, um ihr Spiegelbild zu erhaschen und zu sehen, in welche Richtung sie jetzt geht.

Drittes Kapitel

Suchen Sie Arbeit? Ich stehe in dem zugigen Durchgang zwischen Straße und Hinterhof. Ich lasse mir Zeit mit der Antwort. Die Frage ist auf deutsch gestellt worden, vielleicht, daß sie in einer anderen Sprache wiederholt wird, welche die Nationalität der Frau preisgibt. Die Frau trägt ihren Overall, dazu einen Turban um das strähnige Blondhaar gewickelt, es muß Irina sein, und ich könnte meinen Namen nennen, um sie zu nötigen, den ihren zu nennen. Aber Irrtum, ich schweige, und sie wird ihren Namen nicht nennen, sie ist die Chefin, die künftige Direktrice. Ich starre sie an, tauche frech in diese sehr kalten blauen Augen, in diesen Raubtierblick, die ganze Gestalt hat etwas maskulin Sportliches, eine Leichtathletin, die in Sofia oder wo sie herkommt ein paar Medaillen gewonnen und das vergoldete Blech für die Fahrkarte nach Deutschland angelegt hat, im Verkauf an einen Sammler.

Ja, sage ich, ich suche Arbeit.

Was können Sie? fragt Irina, und ihr Blick bleibt hart, und ich merke, ich muß auf der Hut sein, sie hat das Mißtrauen eines Mannes, die Chefin, keine Frau. Würde bei dieser Frage, Was können Sie, nicht mit ihren Gedanken abschweifen, ihre Phantasie eine Weile aus den Augen schauen lassen, die sich zu einem Blinzeln verführen lassen würden, zum sekundenlangen Öffnen eines Türspalts.

Alles, sage ich und schaue mich noch einmal um.

Anpacken, sagt sie, hier geht es zunächst um Dreck, Schutt und Müll, es ist unglaublich, was wir hier alles gefunden haben.

Und bezahlt haben, sage ich, den Müll bezahlt haben. Vielleicht ließe sich einiges verkaufen, die Deutschen sind groß im Verwenden von Ersatz, das, was man heute Recycling nennt.

Versuchen Sie’s mal, sagt sie, und Sie sind unser Mann.

Ich lache und halte ihr die Hand hin, die sie zögernd annimmt.

Ich heiße Irina, sagt sie.

Ich heiße Achmed, sage ich. Es ist der erste Name, der mir ohne nachzudenken einfällt.

Marokkaner? fragt sie.

Ja, aber aus Ceuta.

Also Spanier, sagt sie.

In gewisser Weise, wie meine Vorfahren. Bis man uns vertrieb.

Also sind wir beide Emigranten, sagt sie, und merkt, daß sie zu weit gegangen ist mit diesen Geständnissen. Zum Glück kommen jetzt einige der Arbeiter, die sie zum Entrümpeln angestellt hat, und ich kann ihnen zu Hilfe eilen und mich nützlich machen und die zerbrochenen Möbelstücke hinaustragen und auf den Lastwagen packen.

Ich spüre ihre Blicke und hoffe, sie denkt, daß sie mir soviel Geschicklichkeit und Muskelkraft nicht zugetraut hätte. Sie nickt mir zu, und ich nehme es als Unterschrift zu einem Vertrag, den wir nicht eingehen werden.

Um die Mittagszeit kaufe ich beim Türken über der Straße ein paar Kleinigkeiten, um sie zum Essen einzuladen, in der Hoffnung, die anderen beiden Damen des Hauses zu sehen. Irina greift zu, beißt in das belegte Fladenbrot und nimmt die angesäuerte Milch. Die beiden anderen bleiben unsichtbar.

Sie denken an alles, sagt sie.

Immer, sage ich und besorge uns zwei Klappstühle, die ich so aufstelle, daß wir uns gegenübersitzen. Ihre langen Beine kommen erst jetzt zur Geltung, auf diesem niedrigen Stühlchen sitzend. Fast stoßen wir uns mit den Knien an, und ich rücke, Gentleman, der ich bin, mit meinem Sitz ein wenig zurück.

Viertes Kapitel

Meine Wohnung aufzugeben, wird mir nicht erlaubt. Sie ist der ideale Beobachtungsposten, jeder Rückzug von meiner Seite wäre Fahnenflucht, und meine Argumente ziehen nicht, ich sei im Hotel gleichsam im Innern der feindlichen Festung und sozusagen hinter den Linien. Wer spricht von feindlicher Festung? Es geht den Auftraggebern um eine Immobilie, und meine Gedanken behalte ich für mich, daß in heutiger Zeit Geschäft Krieg ist und Krieg Geschäft. Angeboten hatte mir die Chefin, die Prinzipalin, eine Kammer unterm Dach des künftigen Hotels, eine Kammer, wie sie in Zukunft den Dienstboten des Hauses eingeräumt werden wird, und das hätte ein längeres Zusammensein ermöglicht und ein Kennenlernen der anderen beiden Damen, von denen ich jetzt weiß, daß Laura Irinas Tochter und Ira Irinas Mutter ist.

So bleibt mir mein Fenster, meine Beobachtungen fortzusetzen. Die Wohnung mit ihren drei Zimmern, Küche und Bad, ist, was die Einrichtung betrifft, eine Standardeinrichtung. Einem Schläfer mag sie genügen, und die Unpersönlichkeit der Einrichtung mag mit dem Bilderverbot des Islam zu tun haben und erinnert doch mehr an die Slums von Tanger und Ceuta, in der Kahlheit und Kühle der weiß getünchten Wände, dem wenigen, von Sprüngen verunzierten Geschirr, dem makellos sauberen Bad, den Koran dekorativ neben dem Fernsehapparat und die letzte Nummer des Playboy unterm Kopfkissen. Ich blättere vor dem Einschlafen in dem Heft. Vor Jahren war das Fotografieren und Zeigen von Schamhaar verpönt, jetzt ist auch dieses Tabu aufgehoben, und beinahe jedes Foto zeigt die enthüllten rasierten Schöße (das Wort Möse widerstrebt mir), die in ihrer Haarlosigkeit, bestenfalls läuft raupenhaft über die Spalte ein Haarstrich, etwas Infantiles haben, wie überhaupt Infantilität das Kennzeichen dieser Gesichter ist, dieser meist blonden Frauen und Mädchen, deren Mütter und Großmütter so stolz auf ihre errungene Gleichberechtigung waren. Als Fotograf hätte ich mich einführen sollen, ich bin sicher, Laura hätte nicht widerstehen können und sich vor mir ausgezogen für ein Handgeld, das ihr etwas Unabhängigkeit von ihrer Mutter und Großmutter erlaubt hätte. Jetzt ist es zu spät, jetzt bin ich der Mann fürs Grobe, den Irina angestellt hat, der sich anstellig zeigt und der sich noch qualifizieren wird, wenn es um die Einrichtung und um die Anstellung von Personal geht. Ich werde versuchen, meine Leute draußen zu lassen, und mich lrina als Empfangschef empfehlen, polyglott, gut aussehend, im schwarzen Anzug, weißem Hemd, Seidenkrawatte.

Vorerst geht es darum, dem Haus einen Namen zu geben, der im Hotelregister eingetragen wird und in Leuchtschrift an der Fassade erscheinen soll.

Fünftes Kapitel

Das ist endlich die Stunde der Reunion, des Familiennachmittags am Gartentisch, starker Kaffee aus kleinen braunen, mit Rhomben und Dreiecken verzierten Tassen; süßer Kuchen, den Irinas Mutter selber gebacken hat. Sie bringt den Kuchen auf einem Tablett, reicht mir im Vorbeigehen die linke Hand, mehr als drei Finger bekomme ich nicht zu fassen, Irina macht sich nicht die Mühe, mich vorzustellen, ein Domestik mehr, man kennt ihn längst, man hat sich gesehen. Frau Ira ist noch immer eine schöne Frau; neben ihrer Tochter sitzend fällt die Ähnlichkeit noch mehr auf, nur daß die Ältere zur Fülle neigt und mit der Nachlässigkeit des Alters ihre an sich gut verteilten Massen in einen Kimono gezwängt hat. Auf dem Kopf trägt sie eine Art Turban, wie ihn meine spanische Großmutter trug, bevor sie konvertierte und meinen Vater heiratete; dieser ist mit einem Stein, einer Agave geschmückt und verleiht der so Geschmückten die Insignien einer Respektsperson. Denn wer ist hier die Chefin, die Ältere oder die Jüngere?

Laura durchquert mit kindhaften Sprüngen den Garten, sie trägt weiße Kniestrümpfe zu ausgefransten Shorts, die nichts weiter sind als abgeschnittene Jeans; dazu die üblichen Sneakers und ein Hemd mit einem in kyrillischer Schrift verfaßten Aufdruck, den ich nicht lesen kann. Also starre ich auf die Schrift und eigentlich auf ihre kleinen spitzen Brüste unter dem dünnen Hemd. Sie würdigt mich keines Blickes, der Kaffee entlockt ihr einen Laut des Ekels, so daß sie noch einmal aufspringt und mit einer Flasche Limonade zurückkommt, die sie, den Kuchen mit spitzen Fingern in den Mund schiebend, aus der Flasche trinkt.

Der Garten ist der nach und nach umgestaltete Hof und von der beauftragten Gärtnerei in eine kleine Oase verwandelt worden mit einem Springbrunnen, ein paar rachitischen Palmen in Kübeln: den Blumen der Jahreszeit. Über uns der preußisch blaue Himmel, dann und wann zerschnitten von den Kondensstreifen der in Tegel landenden Linienmaschinen.

Mama Ira schaut jedesmal, wenn sie ein Flugzeug hört, nach oben. In Sehnsucht oder weil sie das gurgelnde Geräusch der abgebremsten Turbinen stört?

Ein schöner Ort, sage ich, und Laura schaut kurz auf, als sähe sie mich jetzt zum ersten Mal.

Irina steckt sich eine Zigarette an. Sie trägt Jeans und einen eierschalenfarbenen Sweater, die Lippen geschminkt und um die kalten Augen ein noch kälteres Blau.

Also, Wundermann, sagt sie zu mir: Was ist Ihnen eingefallen. Wie nennen wir unser Kind?

Laura schaut hoch: Kind? sagt sie.

Kind, wiederholt Irina, unser Hotel, es muß einen Namen haben, wie ein Kind, und es hochzupäppeln macht die gleiche Arbeit, wie ein Kind hochzupäppeln. Stimmt’s, Mama?

Mama Ira nickt; so geistesabwesend sie ausschaut, so scharf hört sie hin.

Zur blauen Oase, sagt sie, ein schöner Name.

Irina schüttelt sich; das ist nicht Hawaii.

Ich hatte mir eine längere Argumentation zurechtgelegt, im Hinblick auf die zu erwartenden Gäste, im Hinblick auch darauf, daß wir Gäste auch aus Ostberlin haben werden, die schon einmal in den Ferien in Bulgarien waren.

Zum Goldenen Strand, sage ich, und wiederhole die Worte auf bulgarisch. Der Türke von gegenüber hat sie mir beigebracht. Mutter und Tochter lachen und die Mama klopft mir anerkennend auf den Arm, indes ihre Tochter ihr einen Blick schickt, der besagt: Laß das, Mama, hier verteile ich die Belohnungen und den Tadel.

Was soll denn das heißen, mault Laura. Man erklärt ihr den Namen eines der berühmten Strände an der Schwarzmeerküste, ein Stück Heimat, ein Streifen Urlaubssehnsucht.

Gold, denke ich, Synonym für blond, es war mir noch gar nicht eingefallen. Laut sage ich: Strand ist ein anderes Wort für Heimat, die Reisenden, übers Meer gekommen, wenn sie die Küste sehen, ob nun als Fliehende, Verfolgte, Schiffbrüchige, auch wenn sie in des Wortes genauer Bedeutung gestrandet sind, sie haben doch festen Boden unter den Füßen und also Hoffnung. Ein Hotel mit einem solchen Namen gibt Hoffnung, und wenn die Küche so gut ist wie Mamas Kuchen – ich verbeuge mich in ihre Richtung –, fühlt man sich wie zu Hause.

Mama lächelt, und ich weiß, wenn ich Irina gewinnen will, muß ich Ira den Hof machen, und will ich Laura nicht aufgeben, muß ich Irina Liebe beteuern.

Unser Herr Professor, sagt Irina anerkennend. Er hat mich überzeugt.

Macht doch, was ihr wollt, sagt Laura, ich geh ins Kino, dort hab ich jede Menge Heimat.

Sie spricht längst den Jargon der Stadt und benimmt sich wie ihre Mitschülerinnen.

Die beiden Älteren möchten sie zurückhalten. Mama seufzt resigniert; Irina verabschiedet ihre Tochter mit einer heftigen Handbewegung. Wer ist die Schönste im ganzen Land? Sobald Laura uns verlassen hat, gibt es darauf nur eine Antwort.

Einverstanden, amigo, sagt sie: HOTEL ZUM GOLDENEN STRAND.

Gut, sage ich, nur hat es Konsequenzen.

Geld? fragt Mama.

Nicht unbedingt. Aber das Foyer, das Restaurant müssen in den Farben dem Namen entsprechen. Beige und blau, eine gute Mischung. Irina macht sich Notizen.

Unser clever boy hat recht, sagt sie. Morgen geht es in Auftrag, und Sie werden zum Oberaufseher der Malerbrigade ernannt.

Ich schicke ihr einen Blick, in welchem sich Dankbarkeit mit Begehren mischt. Sie lächelt zurück und schüttelt ein wenig den Kopf. Heißt es nein? Ali, mein Türke belehrt mich, daß die Bulgaren eine andere Zeichensprache haben, so daß man mit ihnen in die gleichen Mißverständnisse verwickelt wird wie Hund und Katze. Wedelt der Hund mit dem Schwanz, nimmt die Katze es als Affront, und umgekehrt. Schüttelt eine Bulgarin den Kopf, heißt es ja, es sei denn, sie übersetzt ihre Zeichensprache in die des fremden Landes.

Ich bedanke mich für den schönen Nachmittag, sage ich, erhebe und verbeuge mich.

Wollen Sie auch ins Kino? fragt Mama und kneift ein Auge zu.

Nein, nein, sage ich, ich muß zu einer kleinen Versammlung meiner Glaubensbrüder.

Glaubensbrüder hat er auch, sagt Mama.

Der Herr der Ringe